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Flüchtlings-Camp auf dem Berliner Oranienplatz

Impressionen nach dem Spaltungsversuch der Landesregierung

Svenja Spunck / William Reed, REVOLUTION Berlin, Infomail 738, 26. März 2014

Anfang der Woche wurde von SprecherInnen von CDU, SPD, Grünen und dem Refugee-Camp am Oranienplatz ein Vorschlag unterbreitet, der zur Lösung des Konflikts beitragen soll. In der Realität geht der Senat jedoch auf keine der ursprünglichen Forderungen der Refugees ein. Die zentralen Punkte dieses „Angebots“ sind die erneute Prüfung der Asylanträge und eine Duldung für diesen Zeitraum, Deutschunterricht und die Anerkennung der Berufsausbildung. Jedoch muss diese mit offiziellen Dokumenten nachgewiesen werden, was bei den teils dramatischen Umständen der Flucht jedoch oft schwer möglich ist. Diese Schritte werden aber nur eingeleitet, wenn die Geflüchteten die Zelte und Hütten auf dem O-Platz selbst abbauen und gemeinsam in ein vom Senat ausgewähltes Haus in Berlin-Kreuzberg ziehen.

Die Berliner Zeitung schrieb, dass nur 27 von 467 eingetragenen Refugees keinerlei Vorteile aus diesen Verhandlungen ziehen könnten und 80% der BewohnerInnen des O-Platzes und der besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule diesem Vertrag zustimmen würden. Um uns selbst einen Eindruck von der Lage zu verschaffen, waren wir heute auf dem O-Platz und haben uns mit einem der 9 SprecherInnen unterhalten, die für die Verhandlungen mit dem Senat delegiert worden sind.

Er stellte zunächst richtig, dass 8 von 9 Delegierten den Vorschlag ablehnten. Die Zeitungen berichteten fälschlicherweise von 2 bis 4 der insgesamt 6 bis 7 Delegierten, die dem Vorschlag angeblich zugestimmt hätten. Allein diese Tatsache zeigt, wie unglaubwürdig die aktuelle Medienkampagne gegen den Oranienplatz ist. Das Ziel dieser Desinformation ist, die Bewegung zu spalten - in jene, die nach monatelangem Protest keine Energie mehr haben, und jenen, die weiterhin für die ganze Gruppe kämpfen wollen.

Außerdem, so wurde uns berichtet, seien es weitaus mehr als nur 27 Menschen, die ohne Papiere auf dem Platz sind und deshalb kein Asylverfahren bekommen. Der Delegierte war bestürzt darüber, wie die Zeitungen lügen. Die fortschrittlichste Forderung, das Recht auf Arbeit, und damit die einzige Chance, sich in die Gesellschaft zu integrieren, werde weiterhin ignoriert. Er betonte, es sei egal, wo man wohne, solange man abhängig von den Almosen des Senats sei.

Der Fakt, dass die ursprüngliche Hauptforderung „Bleiberecht für alle“ nicht mehr diskutiert werde, wie er berichtete, drückt aber unserer Meinung nach auch die Schwäche und die damit einhergehende Defensive der aktuellen Bewegung aus. Vor einigen Tagen gab es ein Treffen aller Camp-BewohnerInnen, auf dem deutlich wurde, dass viele gegen den Vertrag seien, da für sie keine Verbesserungen entstehen würden und die Räumung des Camps, die durch die Refugees selbst organisiert werden soll, einen Rückschritt für die Protestbewegung darstelle.

Der Grund, weshalb der O-Platz besetzt wurde, waren die Umstände, unter denen geflüchtete Menschen in Deutschland leben müssen und öffentlich angeprangert werden. Man wollte die Diskussion darum aus den Lagern in den Kiez bringen. Der Senat will sie nun wieder hinter verschlossene Türen verbannen. Lediglich das Infozelt soll vorerst geduldet bleiben. Der Vorschlag des Senats ist ein Trojanisches Pferd mit dem Hardliner  Henkel (CDU) im Inneren. Es trägt die Spaltung in das Camp am Oranienplatz. Womöglich werden dadurch sogar physische Auseinandersetzungen beim Abbau des Camps provoziert. Die herrschende Klasse tut das, was sie am besten kann: teilen und herrschen. Vollkommen richtig sagte uns der Delegierte: „Erst wenn alle Refugees mit den Verhandlungen einverstanden sind, räumen wir den O-Platz!“

Sie freuen sich über jede Form von Solidarität und wollten daher auch am 22. März an der Berliner Anti-Repressionsdemo teilnehmen, da sie sich als Teil der betroffenen Unterdrückten sehen.

Welche Perspektive, welche Organisierung braucht die Bewegung?

Unserer Meinung nach darf das Camp nur abgebaut werden, wenn alle BewohnerInnen mit dem Vertrag einverstanden sind. Trotzdem sehen wir es kritisch, wenn für rund 500 Geflüchtete kurzfristig Verbesserungen erreicht werden, während zehntausende weiterhin unter dem strukturellen Rassismus leben und hunderttausende an den Grenzen oder durch  Hunger, Krieg und Krise sterben. Das Camp ist zu einem Symbol dieses Widerspruchs geworden, aber die Forderungen können nur dann erfüllt werden, wenn der Protest sich mit anderen sozialen Kämpfen verbindet. Vor allem brauchen wir die Einheit der unterschiedlichen linken Kräfte, die diese Bewegung unterstützen und aufrecht erhalten. Nur so kann ein gemeinsamer Gegenangriff gegen die Zuspitzung von Seiten des Senats und gegen die Krise, in der die Bewegung steckt, geführt werden. Dies soll und kann jedoch nicht die alleinige Aufgabe der Refugees sein - es ist eine Aufgabe der gesamten  Linken und letztlich der Arbeiterbewegung, die politisch für diesen Kampf gewonnen werden muss.

Die Konsequenzen der politischen Praxis eines Teils der eher anarchistisch oder libertär geprägten „Supporter“, die den politischen Kampf um die Gewinnung von Arbeiterparteien und Gewerkschaften für die politischen Forderungen der Flüchtlinge verweigern und die Isolation der Bewegung damit zementieren, zeigt sich nun auf dramatische Weise. Denn die Verleumdungskampagnen der Regierung und der Medien können nur gebrochen werden, wenn nicht nur ein kleiner Kreis aus AktivistInnen - wenn auch mit aufopferungsvoller Arbeit - dem entgegen wirkt. Auch die zentralen Forderungen der Refugees werden nur durch die Überwindung der Spaltung in Refugees und „deutsche ArbeiterInnen“ umgesetzt werden können. Will man das erreichen, kann man allerdings die gegebenen Organisationen der Arbeiterbewegung - auch wenn man deren aktuelle Führungen ablehnt - nicht umgehen. Man muss stattdessen einen konsequenten Kampf um sie und in ihnen führen, um ihre Basis für die berechtigten Forderungen ihrer geflüchteten Brüder und Schwestern zu gewinnen.

Wir schlagen deswegen allen Initiativen, Organisationen, AktivistInnen und solidarischen GewerkschafterInnen eine gemeinsame Gegenkampagne mit einem gemeinsamen Flugblatt, mit Veranstaltungen und Ständen in allen Stadtteilen Berlins vor, die sich direkt an die Bevölkerung wendet, um über die aktuelle Situation aufzuklären. Eine erste gemeinsame Initiative könnte der Aktionstag, der vom Refugee-Schul- und Unistreikbündnis, an dem auch wir uns beteiligen, am 4. April organisiert werden soll, sein, um SchülerInnen über die Probleme und Ziele der Refugees aufzuklären.

Das Ergebnis einer solchen Kampagne würde im besten Fall die bessere Vernetzung, letztlich ein stadtweites Aktionsbündnis aller Initiativen, die aktuell viel zu oft nebeneinander her arbeiten, sein, die in Richtung des 17. Mai in Berlin eine Großdemonstration zum Beginn des “Marsches nach Brüssel” organisieren.

Letztlich müssen natürlich die Flüchtlinge am Oranienplatz selbst entscheiden, ob sie den Oranienplatz weiter besetzen wollen oder welche Kompromisse sie bereit sind einzugehen. Die gesamte Linke sollte sich aber dazu aufgefordert sehen, ihre eigenen Standpunkte, taktische und strategische Überlegungen zu artikulieren und sie gemeinsam mit den Flüchtlingen zu diskutieren. Die Aussage, dass eine solche breite und offene Debatte „bevormundend“ gegenüber den Flüchtlingen sei, hilft der Bewegung und auch den Flüchtlingen nicht. Im Gegenteil: es führt zur Stagnation und Isolierung der politischen Entwicklung am Oranienplatz. Sollte die Bewegung auf diese zentralen Fragen keine Antwort finden, dann wird sie ernsthafte Schwierigkeiten bekommen - möglicherweise auch scheitern.

Doch das Potential für Solidarität und eine breite Bewegung gegen die reaktionären Asylgesetze und den gesellschaftlichen Rassismus gibt es. Das haben die Großdemonstrationen von Hamburg bis Berlin gezeigt. Es muss nur politisch nutzbar gemacht werden!

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