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Left Unity-Konferenz in Britannien

Ein Schritt rückwärts, zwei nach vorn

K.D. Tait, Infomail 718, 11. Dezember 2013

Am 30. November wurde eine neue politische Organisation gegründet, die sich für eine radikale Alternative zu Einsparmaßnahmen, Arbeitslosigkeit und Krieg einsetzen will. Die OrganisatorInnen verkündeten, dass sich mehr als 1.200 Menschen als Gründungsmitglieder haben registrieren lassen.

Nach 6 Monaten nahmen etwa 500 GenossInnen an der Gründungskonferenz von Left Unity (LU = Linke Einheit) teil, die einer gemeinsamen politischen Plattform, der Gründungserklärung und den Zielen zustimmten. Das stellt an sich bereits eine Errungenschaft dar.

Eine bedeutende Stärke der Tagung stellte die verhältnismäßig hohe Beteiligung von weiblichen und behinderten AktivistInnen dar. Doch das fast vollständige Fehlen von Schwarzen und ethnischen Minderheiten, die geringe Anzahl Jugendlicher verdeutlichen, dass vor der politischen Konferenz, die im Frühjahr stattfinden soll, Anstrengungen unternommen werden müssen, dies auszubügeln. Ein weiteres Plus lag in der allgemein positiven und solidarischen Atmosphäre.

Kampf gegen unterdrückerisches Verhalten

Der erste Tagesordnungspunkt war ein Antrag der Ortsgruppe Lambeth aus Süd-London, den Entwurf „Politik für Schutzzonen“ zur weiteren Diskussion und Abänderung an die Mitgliedschaft zu verweisen. Das Schaffen einer internen Kultur bezüglich der Grundsätze beim Vorgehen gegen unterdrückerisches Verhalten ist eine der wichtigsten Aufgaben, die vor uns liegen. Es war ein Gradmesser für die Ernsthaftigkeit, mit der das Treffen dies einschätzte, dass sie auf dem Mitgliederrecht beharrte, eine ausführliche und gründliche Diskussion zu führen, bevor die politische Entscheidung gefällt wurde.

Obwohl Kritik an der ausufernden Debatte und unrealistischen Tagesordnung legitim ist, sollte sie nicht von der Würdigung ablenken, Abänderungen formulieren und Entwürfe kritisieren zu können. Das stand in grellem Kontrast zur mittlerweile normal gewordenen Praxis auf Versammlungen linker Parteien, Kampagnen oder jüngst der „People‘s Assembly“, wo wirkliche oder vermeintliche „Promis“ den Großteil der Redezeit für sich beanspruchten. Die Abwesenheit prominenter SprecherInnen gestattete der Konferenzbasis, auch Gehör zu finden.

Ein negativer Aspekt, auf den eine behinderte Genossin hinwies, war der Mangel an vernünftigen Pausen zwischen den Sitzungen. Wenn zukünftig Zeit für gesonderte Treffen für Teilnehmende aus sozial unterdrückten Gruppierungen (caucuses) eingeplant würde, gewährte es diesen GenossInnen, ihre Diskussionsbeteiligung und ihren Umgang mit umstrittenen Themen so zu verbessern, dass sie nicht ausgeschlossen werden.

Ein weiteres entscheidendes Manko der Tagung lag darin, dass die Behandlung einer großen Anzahl Anträge zum Gründungsdokument soviel Zeit verschlang, dass die geplante Sitzung zu Kampagnen-Schwerpunkten ganz gestrichen werden musste. Großteils war das unvermeidlich, denn die Vorlage war unnütz lang, kompliziert und schwerfällig und enthielt ausgesprochen gefährliche Vorschläge (wie das Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit, um es zukünftig zu ändern). Diesen musste man entgegentreten und die meisten wurden gestrichen, was aber viel Zeit kostete.

Die Plattformen

Das Versagen, Kampagnen und politische Schwerpunkte festzulegen, bedeutet: LU besitzt keine unmittelbare Strategie, ihr Eingreifen in den kommenden Monaten anzuleiten. Zu einer Zeit, in der die People‘s Assemblies zum Brennpunkt für Kampagnen gegen zunehmenden Staatsrassismus, Auflagen für ImmigrantInnen und Camerons jüngste Angriffe auf die Gewerkschaften geraten könnten, ist das eine ernste Schwäche. Man mag einwenden: die Politik dagegen liegt auf der Hand und wir alle könnten darin einer Meinung sein. Gut, aber warum dann sie nicht aussprechen? Warum sie nicht in einem kurzen Aktionsprogramm festhalten, wie es die Klassenkampfplattform von Workers Power  vorschlug?

Tatsächlich verkörperte die Art, wie die Diskussion über Programme geführt wurde, das bedenklichste Defizit der Konferenz.

Das Vorgehen, das auf dem ersten nationalen LU-Treffen im Mai von den BegründerInnen der Left Party Platform (Linkspartei-Plattform, LPP) initiiert wurde, zielte darauf ab, sicherzustellen, dass LU nach dem „Modell“ der Europäischen Linkspartei aufgebaut wird, wobei die griechische Syriza und die deutsche DIE LINKE die Vorbilder waren.

Diese Ausrichtung wurde von Socialist Resistance (brit. Sektion der IV. Internationale) unterstützt. Sie unterhielt eine sechsmonatige Kampagne zur Unterstützung ihres „breiten Parteimodells“ - ohne Offenlegung des aktuellen Programms, das LU aus ihren Modellvorstellungen heraus akzeptieren sollte, besonders Vorschläge betreffend, wie die Macht erobert werden soll.

Eine so entstehende Programmatik kann „radikal“ sein, ist aber ohne ausdrückliche Konzentration auf den Klassenkampf und ohne revolutionäre Forderungen wenig wert.

Natürlich beteuern die BefürworterInnen dieses Vorgehens (besonders SR), sie blieben revolutionär, aber „jetzt sei nicht die Zeit“ für revolutionäre Politik und für sie zu argumentieren sei „sektiererisch“.

Die Konferenzdebatte über die konkurrierenden Plattformen ebenso wie die in den vorherigen 6 Monaten online geführte war durch grobe Demagogie beeinträchtigt. Z.B. wurden die „SektiererInnen“ beschuldigt, der Organisation eine „sozialistische Aufnahmeprüfung“ aufoktroyieren zu wollen. Solche rhetorischen Taktiken sind absurd, kriecherisch und brüskierend, besonders wenn sie von „RevolutionärInnen“ kommen. Aber natürlich bestritten sie einen beträchtlichen Teil der Tagung.

Schlimmer und nicht zu rechtfertigen war die ausdrückliche Ablehnung einer „ausgewogenen Diskussion“ zwischen den UnterstützerInnen der verschiedenen Plattformen durch den Vorsitz. Das  führte dazu, dass keine SprecherInnen aus dem Plenum für die „Sozialistische Plattform“ an die Reihe kamen, obwohl diese die zweithöchste Zahl an UnterzeichnerInnen aufwies. Dieses ernste Demokratiedefizit schwebt über dem Sieg der LPP, und Proponenten wie Tom Walker und Richard Seymour vom ISN (Internationales Sozialistisches Netzwerk) sollten ein wenig bedächtiger mit ihrem Siegesgeheul im Internet umgehen.

Gegen eine solche Zurückweisung einer demokratischen Debatte muss auf der nächsten Konferenz opponiert werden. Ausgewogenheit bei umstrittenen Hauptthemen ist elementares Lebenselixier von Demokratie und schließt keineswegs die - richtige - Bevorzugung von Frauen, Behinderten oder schwarzen SprecherInnen aus.

Trotz dieser Debattenstruktur gab es eine Anzahl Abstimmungen gegen die Vorschläge der LPP. Ein Geschäftsordnungsantrag der Ortsgruppe Lambeth wurde eingebracht, um zu gewährleisten, dass das Programm als gesondertes Dokument angenommen wurde, anstatt in die Gründungserklärung integriert zu werden. Abänderungen aus Camden (London), vorgetragen durch Ken Loach, rückten den LPP-Entwurf in Richtung Positionen der SP im Punkte Nationalisierung der Produktions-, Verteilungs- und Tauschmittel.

Eine weitere Abänderung zu Punkt 7 der LPP aus Manchester formulierte: „Streiks (einschließlich Massen- und Generalstreiks), Betriebsbesetzungen, Solidaritätsmaßnahmen zwischen ArbeiterInnen (in verschiedenen Gewerkschaften und Betrieben) können wirksame Taktiken sein, um einzelne Auseinandersetzungen zu gewinnen und um die Gesellschaft zu verändern“. Sie wurde mit 164:116 Stimmen angenommen. Aus welchen Gründen auch immer dagegen gestimmt wurde - es war Besorgnis erregend, dass so viele Delegierte dagegen zu sein schienen, LU solle eine Klassenorientierung einschlagen. Der beste Weg zur Überwindung dieser Opposition liegt darin, praktisch den positiven Beitrag aufzuzeigen, den wir leisten können, indem wir uns in Kampagnen einbringen wie zur Verteidigung von Sozialleistungen und -einrichtungen, zur Unterstützung von Streiks und der Ablehnung von Ausverkauf, faulen Kompromissen und Verrat - wo unsere Mitglieder an Streiks teilnehmen.

Am Ende errang die LPP drei Viertel der Stimmen mit 295 gegen 101 bei 12 Enthaltungen. Die Sozialistische Plattform wurde mit nur 216 gegen 122 Für-Stimmen in die Schranken verwiesen. Die kommunistische sowie die Klassenkampfplattform, die Workers Power-UnterstützerInnen vorgeschlagen hatten, verzeichneten insgesamt zwischen 10-15 Prozent der Stimmen.

Ziele

Die einzig substantielle Diskussion erfolgte bei der Aussprache über die Abschnitte des Gründungsmanifests, die sich um „Ziele“ drehten.

Während die LPP-Position geändert wurde und ein stärkeres Bekenntnis zu Sozialismus und Gemeineigentum enthielt und der Organisation verbot, in Regierungen mit Kapital-Parteien einzutreten (in naher Zukunft ohnedies recht unwahrscheinlich), stellte die Annahme der Passage zu den Zielen in der Gründungserklärung alles wieder zur Disposition.

Die „Ziele“ von LU werden jetzt definiert als: „Mandat zum Regieren und zur Einführung (…) einer demokratischen Planung (…) wo alle Unternehmen, in privatem, genossenschaftlichem wie öffentlichem Eigentum auf eine Art zusammenwirken, die den Bedürfnissen der Bevölkerung dient“.

Dies bestimmt die „Machtergreifung“ ausdrücklich in der Terminologie von Parlamentswahlen und die Planung als Geschäftsführung einer gemischten Wirtschaft. Es lohnt sich, an eine Aussage zu erinnern, die Ken Loach auf der Konferenz am 11. Mai gemacht hat: „Man kann nicht planen, was man nicht besitzt“.

Selbst die Labour-Ideologie der 1950er Jahre mit ihrem (ausweichenden) Gerede von der Verstaatlichung „der wirtschaftlichen Kommandohöhen“ war eindeutiger als diese „Misch“wirtschaft mit privaten, öffentlichen und kooperativen Sektoren. Wenn wir sie planen wollen, muss sie uns gehören, und dafür müssen wir die Ausbeuter enteignen. Alle reformistischen Verklausolierungen müssen aus unseren Zielen entfernt werden!

Der Rest der Grundsatzdebatte spiegelte demokratische Impulse und Mehrheiten wider und verankerte einen weitgehend demokratischen Rahmen, innerhalb dessen in den folgenden Monaten ein vollständigeres politisches Programm entwickelt werden kann.

Bedauerlicherweise nahm - während der Beratung, wie Repräsentanz von Frauen in gewählten Gremien der LU garantiert werden solle - die ansonsten positive Sitzung durch einen unerfreulichen Rückfall in reine Demagogie Schaden. Es ist unstrittig, dass eine 50%-Quote kein Abkürzungsweg ist, die geringe Vertretung durch Frauen in linken Organisationen zu kurieren. Noch verfügen Körperschaften mit überwiegendem Frauenanteil über eine automatische Abwehr gegen die Annahme sexistischer oder undemokratischer Beschlüsse. Sehr wenige Organisationen auf der Welt, linke wie rechte, weisen eine Geschlechterparität auf. Das drückt nicht nur Sexismus aus, sondern auch die Auswirkungen der Frauenunterdrückung, Festlegung auf Hausarbeit und Kindererziehung usw. in der Gesellschaft überhaupt. Der Mangel an Kinderbetreuung während der Versammlung war ein bedeutendes Manko, das diese Tatsache widerspiegelt.

Trotzdem: die gegen Quoten Argumentierenden einschließlich vieler Frauen wurden Opfer von Demagogie. Diese Angriffe, einschließlich Vorwürfen, auf „rechtsradikale“, sogar „faschistische“ Argumente zurückzugreifen, waren ausgesprochen illoyal und hätten vom Vorsitz und den UnterstützerInnen der Quote zurück gewiesen werden müssen.

Die meisten Menschen, die dem Vorschlag widersprachen, wiesen auf damit einhergehende Probleme und Mängel hin und suchten den besten Weg für die Ermutigung der Beteiligung von Frauen. Sie zu verunglimpfen, kommt einer Einschüchterung gleich. Offen gesagt, das Benehmen vieler MehrheitsbefürworterInnen war ein hässlicher Fleck auf einem ansonsten solidarischen Treffen.

Die Anstrengungen zur Schaffung einer bewussten anti-sexistischen Kultur stehen und fallen mit dem ganzen LU-Projekt. Wir sollten auf den existierenden Gebrauch von Quoten in der Arbeiterbewegung achten, um eine Analyse zu erstellen, was funktioniert und was nicht. Wir müssen uns auf alle Fälle auch der Frage der rassistischen Diskriminierung widmen.

Nichtsdestoweniger haben wir eine neue Linksorganisation. Wir haben eine demokratische Verfassung und eine Organisation, die die Rechte der gesellschaftlich Unterdrückten aufnimmt, sich selbst zu organisieren und unterdrückerisches Verhalten anzuprangern; eine Organisation, die die Befugnisse politischer Minderheiten verteidigt, sich zwecks Veränderung von Politik und Strukturen zu organisieren. Das sind willkommene Abweichungen von eingefleischten Traditionen des Labourismus, Stalinismus und entstellten Formen von Trotzkismus, die die Linke über Jahrzehnte geprägt haben.

Wie weiter?

Die Frage, welche nun in den Mittelpunkt rückt, ist: zu welchem politischen Zweck wird LU diese Rechte, demokratische und integrative Kultur einsetzen? Schließlich werden die besten Organisationsformen verbogen und ausgehebelt durch gewisse Sorten von Politik, d.h. alle und jede Art von Reformismus, der als von der Spitze nach unten durchgesetzte, als Stellvertreterpolitik endet. Warum? Weil die einzige politische Strategie, die die große Masse der Menschen in die Politik einbringt, die sie per direkter Aktion in die Lage versetzt, ihre eigenen Kämpfe zu kontrollieren und bewusst eigene Ziele abzustecken, die Linie zur Revolution verkörpert.

Wie immer verworren und zufällig es sich abgespielt hat: LU stellt eine Organisation mit einem reformistischen Programm dar, das eine parlamentarische Regierungsmehrheit anstrebt und ihre Kontrolle über eine gemischte Ökonomie als Mechanismus für grundlegende Gesellschaftstransformation einsetzen will. Wir denken, diese Perspektive ist eine Illusion. Schon die Labour Party konnte sie nicht umsetzen, DIE LINKE nicht und Syrizas Anstrengungen, als respektable, mögliche Regierungspartei aufzutreten, haben sie bereits dahin geführt, die politischen Prinzipien über Bord zu werfen, die sie an die Spitze des Widerstands katapultiert hatten. Pluralismus als solcher wird auch nicht die Fallstricke des Reformismus umgehen. Alle, die das anzweifeln, sollten das unter Beobachtung dessen tun, was der Linken in Italien in Nachwirkung des Zerfalls von Rifondazione Comunista widerfährt.

Die Aufgabe besteht jetzt darin, LU tief in den Klassenkämpfen zu verankern - jede Zelle muss die Arbeit der Gruppen nachahmen, welche Kampagnen inszenieren, Politik diskutieren und einen positiven Beitrag zur Arbeit vor Ort leisten. Beharrliche Bemühungen, Bündnisse, Gewerkschaften und AktivistInnen für die gemeinsame Praxis zu gewinnen, ist der einzige Kurs, diejenigen zu überzeugen, die noch nicht glauben, dass wir die Politik und das Programm brauchen, die sich von der gegenwärtigen Arbeiterführung deutlich absetzen.

Wir müssen dem Schicksal so mancher vorheriger Ansätze entgehen, indem wir uns dem Kampf nicht nur anschließen als Unterstützung existierender Bewegungen oder Gewerkschaftsaktivitäten, die von einer Bürokratie gelenkt werden, sondern als KämpferInnen für Strategien und Taktiken, die die Wende gegen den Sparkurs schaffen und für Millionen eine wirkliche Alternative darstellen: eine neue Gesellschaft, eine andere Welt. Wir müssen uns für ein Medienprofil einsetzen und Wahlkämpfe in Tribünen verwandeln, um dem Einverständnis die Stirn zu bieten, es gebe keine andere Wahl als kapitalistische Ausbeutung und Ungleichheit.

V.a. müssen wir 2014 die zentrale Frage beantworten: Was soll das politische Programm einer neuen Arbeiterpartei beinhalten, deren Endziel nichts weniger verheißt als die Abschaffung des Kapitalismus und den Aufbau einer neuen, sozialistischen Gesellschaft?

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