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Debatte um Rot-Rot-Grün

Politikwechsel im Wolkenkuckucksheim

Martin Suchanek, Infomail 710, 19. Oktober 2013

“Ein bisschen komisch”, so die Diskussionsleiterin sei es schon - ausgerechnet an dem  Tag, als CDU/CSU und SPD erklärt haben, dass sie eine Große Koalition bilden wollen -, eine Veranstaltung zu Rot/Rot/Grün als künftigem Regierungsmodell durchzuführen.

Immerhin kamen trotzdem (oder deswegen?) am 17. Oktober an die 100 BesucherInnen zur Veranstaltung der LINKEN-Kreuzberg im taz-Café, um der Podiumsdiskussion mit dem Vorsitzenden der Linkspartei, Bernd Riexinger, dem Berliner SPD-Chef und Partei“linken“ Jan Stöß sowie dem Grünen Abgeordneten Christian Ströbele beizuwohnen.

Mit den Niederungen des Kampfes gegen die zu erwartenden Angriffe der nächsten Regierung wollten sich die drei Linken nicht so sehr beschäftigen, vielmehr wollten sie „Mittelfristiges“ ausloten, nämlich die Möglichkeiten von Rot/Rot/Grün im Bund.

Einig war sich das Podium dann auch darin, dass mit der „Ausschließeritis“ eines Bündnisses mit der Linkspartei bei SPD und Grünen Schluss sein müsse. Dafür wollten Ströbele und v.a. Stöß weniger „Fundamentalopposition“ der linken Reformisten und auch weniger scharfe Kritik an ihrem Kurs.

Im Ziel einig

Dass die drei Parteivertreter Rot/Rot/Grün wollen, dass sie sich im diesem Ziel einig sind, daran ließen sie während der Diskussion keinen Zweifel. Bemerkenswert war, dass auch das Publikum daran nichts weiter auszusetzen hatte.

Dementsprechend zeigten sich auch die drei Diskutanten - das Publikum kam erst nach der vierten Podiumsrunde kurz zu Wort - in den inhaltlichen Fragen weitgehend einig. Alle drei wollen: Mindestlohn, armutsfeste Renten und Gesundheitsversorgung, Mieten, die sich die Armen leisten können, keinen Markt im Sozialbereich und Umverteilung von Oben nach Unten, also „soziale Gerechtigkeit“.

Natürlich blieben noch Differenzen - etwa die Höhe eines gesetzlichen Mindestlohns oder das „bedingungslose Grundeinkommen“. Als unüberbrückbar sah diese aber keiner an.

Etwas - aber auch nur etwas - kontroverser ging es bei der Europapolitik und bei der „Friedenspolitik“ zu. Natürlich wollen alle ein „demokratisches“ und „soziales“ Europa, den südeuropäischen Ländern soll geholfen werden. Während DIE LINKE, die richtigerweise die letzten „Rettungspakete“ im Parlamente abgelehnt hat, so rechtfertigten Stöß und Ströbele die Zustimmung ihrer Parteien damit, dass sie einige „Verbesserungen“ hätten erwirken können und die LINKE im übrigen durch ihren „Fundamentalismus“ eine „Europafeindlichkeit“ an den Tag legen würde.

Noch größer scheinen die Differenzen auf den ersten Blick bei der Frage der NATO-Mitgliedschaft und von Auslandseinsätzen der Bundeswehr. DIE LINKE ist bekanntlich für den Austritt aus der NATO, zu einer Bedingung für eine Regierungsbeteiligung wollte Riexinger diese Forderung jedoch explizit nicht machen. Als „rote Linie“ betonte er nur, dass es keine Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland geben dürfe, während an „reinen“ Friedensmissionen (etwas von „Blauhelmen“) eine Koalition nicht scheitern müsse.

Wie soll das Ziel erreicht werden?

Auch wenn sich die Diskutanten alle Mühe gaben, sich von den Niederungen der Realität, der kommenden Großen Koalition oder dem weiteren Rechtsruck der Grünen bei ihren Zukunftsplänen und „Sondierungen“ von Gemeinsamkeiten frei zu machen - ganz konnte die Realität doch nicht ignoriert werden.

Zum Bedauern aller steht Rot/Rot/Grün heute nicht auf der Tagesordnung. Riexinger wies immer wieder darauf hin, dass ein „Politikwechsel“ auch eine Frage der gesellschaftlichen Mehrheit und nicht nur von Parteienarithmetik sein. Vielmehr müsse sich seine solche Regierung auf Gewerkschaften, die außerparlamentarischen Bewegungen und die Zivilgesellschaft stützen, um Kampagnen der herrschenden Klasse und ihrer Medien begegnen zu können. Ein solcher Politikwechsel müsse politisch vorbereitet werden, z.B. in Wahlkämpfen, wenn eine klare „Vision“ sozialer Gerechtigkeit mit einer Machtoption verbunden würde.

SPD und Grüne hätten das zwar tun können - aber offenkundig nicht gewollt, weil ihr Programm nicht radikal genug gewesen wäre, und weil sie durch den Ausschluss eines Bündnisses mit der Linkspartei keine glaubwürdige „Machtoption“ gehabt hätten.

Dem schlossen sich mehr oder weniger offen auch Ströbele und Stöß an. Schließlich hätten auch sie es albern gefunden, dass nach den Umfragen vor der Wahl noch immer von einer SPD/Grünen-Mehrheit im Parlament schwadroniert wurde.

Eine Große Koalition und die Öffnung der Grünen zu Bündnissen mit der CDU machen ein „gesellschaftliches Bündnis“ - dass mussten auch die drei Parteigänger von Rot/Rot/Grün eingestehen - nicht eben leichter.

Eine „gesellschaftliche Bewegung“ und „gemeinsame Projekte“ an der „Basis“ der drei Parteien oder wenigstens aus den zweiten und dritten Reihen müssten her, selbst wenn es zu eine Großen Koalition kommt.

Stöß mag sich natürlich nicht kategorisch gegen die Zusammenarbeit mit der CDU aussprechen - und auch Riexinger und Ströbele wollen ihm das nicht abverlangen. Wohl aber schwadroniert der SPD-„Linke“, ganz auf Linie seines Bundesvorsitzenden Gabriel davon, dass ein „Politikwechsel“ Bedingung für ein Große Koalition sei. Womöglich, würden sich so sogar „andere gesellschaftlich Mehrheiten“ anbahnen.

Mit so viel Täuschung und Selbsttäuschung mag Riexinger nicht mitgehen. Eine Große Koalition würde wahrscheinlich das Kräfteverhältnis noch weiter verschlechtern, würde die Dominanz der Herrschenden noch erdrückender machen, würde zu einer noch schlechteren Situation in vier Jahren führen.

Parlamentarische Fixierung

Wohl wahr! Das droht tatsächlich, doch statt die Frage aufzuwerfen, wie im Betrieb, im Öffentlichen Dienst, auf der Straße gegen die kommende Regierung mobilisiert werden kann und soll, wie dort „andere gesellschaftliche Mehrheiten“ aufgebaut werden sollen – bleibt die Perspektive aller Diskutanten und eben auch der Linkspartei vollkommen auf die parlamentarische Ebene fixiert.

Neue „gesellschaftliche Mehrheiten“ entstehen für sie nicht im Klassenkampf, durch die Mobilisierung in Streiks, Demonstrationen usw., sondern durch „diskursive Projekte“, durch „gemeinsame Visionen“, durch die Erringung von „Hegemonie“.

Dumm nur, dass solcherart Hegemonie (Vorherrschaft) nicht ohne Klassenkampf und den Bruch mit kleinbürgerlichen und reformistischen Auffassungen und Organisationen errungen werden kann.

Es erklärt sich aus dieser parlamentarischen Fixierung jedoch, warum an diesem Abend DIE LINKE am entschiedendsten für Rot/Rot/Grün eintrat. Für SPD und Grüne gibt es schließlich auch andere „Machtoptionen“ (in Wahrheit natürlich nur Regierungsoptionen). Für DIE LINKE bleibt als linkere reformistische Partei, also als Partei, die fest auf dem Boden der bürgerlichen Verhältnisse steht, nur eine Koalition mit den anderen „linken“ Parteien als „Machtoption“.

Daher bleibt für die nächsten vier Jahre nur das „Projekt Hoffnung“, denn das stirbt bekanntlich zuletzt.

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