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Transatlantisches Freihandelsabkommen

Ein Weg aus der Krise?

Bruno Tesch, Infomail 703, 12. September 2013

Kaum tickerte es im Juni 2013 durch die Schlagzeilen, wurde es von Spektakeln mit größerem Nachrichtenwert wieder verdrängt: das Transatlantische Freihandelsabkommen (TaFa / TTIP)) und dessen Vorverhandlungen. Eine Eintagsfliege also vom Rang einer Börsennotierung? Nein, das TaFa wird uns über kurz oder lang wieder begegnen - als unangenehme Tatsache mit umfassender Langzeitwirkung. Deshalb sollten wir uns noch in der Planungsphase schleunigst damit befassen, seine Absichten aufdecken und Vorkehrungen treffen, dass es nicht gegen die lohnabhängigen und armen Massen auf der ganzen Welt in Kraft treten kann.

Vom Kolonialismus zum Freihandel

Das 20. Jahrhundert war ein Kampf innerhalb des imperialistischen Lagers um die Neuaufteilung der Welt. Ein wichtiges Moment in dieser Auseinandersetzung stellte die Kontrolle über Absatz- und Investitionsmärkte dar. Hier besaßen die alten Mächte Großbritannien und Frankreich einen Vorteil gegenüber den aufstrebenden wie Deutschland und USA durch ihre Herrschaft über den Großteil der afrikanischen, asiatischen, karibischen  und pazifischen Kolonien. Der Kolonialismus schloss die Nicht- oder Kleinbesitzer von Kolonien vom freien Zugang zu diesen Territorien aus.

Dagegen erhoben sich die USA nach dem 2. Weltkrieg, aus dem sie als neue Führungsmacht hervorgegangen waren. Sie forderten das Ende der alten Kolonialordnung und deren Hemmnisse für Warentausch und Kapitalverkehr und propagierten den „freien Welthandel“. Dank ihrer militärischen, politischen und wirtschaftlichen Kraft setzten die USA diese Liberalisierung in ihrem Sinn schließlich auch durch. Parallel dazu befreiten sich viele ehemalige Kolonien von ihren Herrschermächten und wurden - zumindest formell - unabhängig.

Bilaterale oder regionale Handelsabkommen hat es schon seit Jahrzehnten gegeben. Eine neue Stufe internationaler Wirtschaftsbeziehungen wurde erreicht, als 1995 die Welthandelsorganisation WTO gegründet wurde. Deren Nutznießer waren aber weniger die Mehrzahl der inzwischen 159 Mitglieder, nämlich kleinere Länder, oft ehemalige Kolonien, sondern der exklusive Zirkel der Großmächte, die auch das Welthandelsrecht formulierten. So können neben den Zwängen zu einer meist monokulturellen Ausrichtung der Ökonomien auch gesellschaftspolitische Maßnahmen von Staaten z.B. zur Daseinsvorsorge den WTO-Vorschriften als „Handelshemmnisse“ zuwiderlaufen und Sanktionen nach sich ziehen.

Begleitende Instrumentarien zur Durchsetzung der Großmachtpolitik gegenüber den unterentwickelt gehaltenen Ländern und der Bevölkerung von ärmeren Staaten selbst im imperialistischen Verband sind der Internationale Währungsfonds (IWF), die Zentralbanken und Wirtschaftskommissionen. Der Freihandel hat die einseitigen kolonialen Abhängigkeiten ersetzt durch ein Geflecht von internationalen Bindungen, die durch von den Metropolen diktierte Gesetze des Weltmarkts dominiert werden.

Globalisierung und neue Konstellationen

Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und der Restauration des Kapitalismus in China zu Beginn der 90er Jahre haben sich ökonomisch und politisch neue Entwicklungen vollzogen. Der Run auf Rohstoffe, Absatzmärkte und Anlagesphären hat sich verschärft. Das „global playing“ durch die Internationalisierung des Finanzverkehrs, der Waren- und Produktionsketten hat sich dynamisiert. In Europa wurde das Projekt der Europäischen Union vorangetrieben, die „Schwellenländer“ sind als aufstrebende Wirtschaftsfaktoren entstanden, die an den alten Machtverhältnissen rütteln.

Auch die USA haben als noch scheinbar unangefochtene Weltmacht frühzeitig daran gearbeitet, ihre Position zu sichern und auszubauen. So wurde 1994 unter ihren Fittichen mit Kanada und Mexiko das Abkommen einer nord- und mittelamerikanischen Freihandelszone (NAFTA) geschaffen. Ein Jahr später ist auf einem Gipfeltreffen von Regierungschefs dies- und jenseits des Atlantiks die „Transatlantic Agenda“ aus der Taufe gehoben worden. Informelle Vorbereiter dazu waren  Runde Tische hüben wie drüben, der 1972 gegründete US-amerikanische „Business Round Table“ und der seit 1983 bestehende europäische „Round Table of Industrialists“, an denen handverlesene Top-Manager aus Wirtschaft und Finanz saßen und Konzepte zur regierungspolitischen Umsetzung ausarbeiten ließen.

1995 schlug sich die Kooperation dieser Gremien im „Transatlantic Business Dialogue“ nieder, gesponsert vom damaligen Technologie-Giganten Rank Xerox und dem heute noch führenden US-Finanzimperium Goldman Sachs. 2007 wurde von Regierungsstellen der USA und EU eine Arbeitsgruppe, der „Transatlantische Wirtschaftsrat“ eingerichtet. Er hatte unter Vorsitz eines hochrangigen US-Managers und des seinerzeitigen EU-Kommissars für Handel Günter Verheugen die Aufgabe, das Terrain für Regelungen mit gemeinsamem Geltungsbereich für Nafta und EU abzustecken.

Als Pilotprojekt ist dann 2009 das „Comprehensive Economic and Trade Agreement“ (CETA) zwischen der EU und Kanada auf Schiene gesetzt worden. Dieses Abkommen sieht neben Handelsvereinbarungen auch Schlichtungsverfahren bei Streitfällen zwischen Staat und Kapitalinvestoren vor. Wir sehen also: das geplante TaFa hagelt nicht aus heiterem Himmel auf uns herab, sondern ist gut vorbereitet.

TaFa - Szenario zur Krisenvorsorge?

Weder WTO noch zahlreiche G8-Gipfel konnten 2007 den massiven Kriseneinbruch für die Weltwirtschaft verhindern. Die wirtschaftliche „Erholung“ steht auf unsicheren Füßen und will sich nicht recht einstellen. Angesichts der riesigen Überkapazitäten und der immensen Mengen spekulativen Kapitals suchen die Herrschenden permanent nach Auswegen aus der allgemeinen Krise.

Nun soll es bald zu einem Vertragswerk wie dem TaFa kommen. Die Bezeichnung „Freihandelsabkommen“ verschleiert allerdings die innere Struktur und um die wahren Absichten dieses Projekts. Der freie Austausch von Waren und Dienstleistungen über den Atlantik hinweg ist im Prinzip längst realisiert. Die Einfuhrzölle machen nur einen geringen Teil des Warenverkehrs aus. Auch die Deklarations- und Inhaltsstoffverordnungen, z.B. gegen genmanipulierte Lebensmittel, die durch das TaFa unterlaufen werden könnten, haben zwar viel Staub aufgewirbelt, sind aber nur Detailfragen, die nicht den Kern des TaFa und seine Zielsetzung berühren.

Auch die „Berechnungen“ einer Bertelsmann-Stiftungs-Studie sind durchsichtig und nur beschwichtigende Propaganda für TaFa. Sie taxiert den beiderseitigen Nutzen auf zwischen 5% (EU) und 13% (USA) BIP-Zuwachs und 1,1 Millionen mehr Arbeitsplätze. Jedoch werden auch apodiktisch Verlierer des TaFa benannt, v.a. jene Länder, die an der Peripherie der imperialistischen Staaten liegen. Natürlich käme das Abkommen in erster Linie exportorientierten Firmen zugute. Aber selbst der Kosten senkende Schub durch einen Abbau von Qualitätsstandards, Verpackungsvorschriften sowie technischen und rechtlichen Anforderungen wäre für sie kein nachhaltiger Rundumschutz gegen konjunkturelle Einbrüche.

Die USA müssen v.a. Sorge tragen, ihr chronisches Außenhandelsdefizit und die Staatsschulden in den Griff zu bekommen, während die EU nach der Agenda 2010, die übrigens vom europäischen Unternehmerverband „Businesseurope“ mit seinen 60 Arbeitsgruppen, 1.200 MitarbeiterInnen und dem Lobbysitz in Brüssel maßgeblich beeinflusst worden ist, einen weiteren Schritt zur Fitmachung im internationalen Konkurrenzkampf unternehmen will. Die EU ist an ihrem Südrand ins Trudeln gekommen. Die führenden Länder sehen im TaFa möglicherweise eine Option, das schlingernde Schiff Europa zu stabilisieren. Ein Anschluss an das TaFa soll neben den NAFTA-Ländern Kanada und Mexiko möglicherweise auch einigen Nichtmitgliedsstaaten der EU wie Schweiz oder Türkei offen gehalten werden.

Die WTO kann zwar die Ansprüche der marginalisierten Länder in die Schranken weisen, leistet aber keine direkten Dienste bei der Bekämpfung inner-imperialistischer Konkurrenten. Dazu muss ein Abkommen wie das TaFa geschaffen werden, mit dem Kontrahenten wie z.B. Japan, die zu den Geschädigten des TaFa zählen würden, abgehängt und andere Blöcke wie die EU aus Sicht der USA zumindest neutralisiert, wenn nicht gar in der Tendenz dominiert werden können. Natürlich bestimmen auch zwischen den „befreundeten“ Nationen weiterhin Misstrauen und Konkurrenz die Szenerie, wie die NSA-Affäre jüngst zeigte.

Die zweite Absicht des TaFa ist die Erhöhung der Ausbeutungsrate durch Senkung der Lohnkosten im eigenen erweiterten Einzugsbereich und die Angleichung des Lebensstandards der Masse der Bevölkerung auf niedrigerem Niveau. Nur so kann letztlich außer mittels Vernichtung von Kapital durch Krieg der tendenzielle Fall der Profitrate aufgehalten, die Wirkungen der Überakkumulationskrise des Kapitals gemildert werden und der Versuch der herrschenden Klasse, die eigene Haut zu retten, vorübergehend Aussicht auf Erfolg haben. Ein entscheidendes Ziel des TaFa wird es daher sein, das Arbeitsrecht zu Gunsten der Unternehmen zu verändern.

Mögliche Auswirkungen

Erkämpfte Errungenschaften in Form von Sozialgesetzen und Arbeitsrechten sollen ausgehebelt werden. So könnten, analog zur Handhabung des Steuerrechts, nur die jeweils vorteilhaften Bedingungen für ein Unternehmen wie niedrige Löhne, fehlender Tarif- oder Versicherungsschutz, Lockerung für fristlose Entlassung usw. in der angepassten Zone gelten. Die Organisationsfreiheit und Möglichkeiten für Kampfmaßnahmen im Betrieb könnten eingeschränkt, Arbeitervertretungen als Verhandlungspartner nicht anerkannt werden.

Das Klagerecht von Unternehmen gegenüber einzelstaatlichen Bestimmungen, auch bereits bestehenden Gesetzen und damit das Haftungsrecht des Staates gegenüber dem Privatkapital würden gestärkt werden.

Die Förderung von Private Public Partnership-Unternehmungen besonders im Grundversorgungsbereich wie Wasser würde die Privatisierung im öffentlichen Bereich weiter vorantreiben, die Kosten für die Einzelhaushalte in die Höhe schnellen lassen und die öffentliche Kontrolle darüber noch mehr durchlöchern.

Eine Entdemokratisierung von Entscheidungsprozessen würde stattfinden. Die von den Planungsgruppen für das TaFa bearbeiteten Vorlagen stammen zu über zwei Drittel aus der Feder von Unternehmerverbänden. Diese „high level working groups“ setzen sich ausschließlich aus Vertretern von Konzernen, Banken und Körperschaften von Regierungen und EU-Bürokratie zusammen. Abgesandte von Arbeiter- oder  NGO-Organisationen sucht man dort vergebens.

Freier Zugang zu Informationen wird auch hier als Herrschaftsrecht der Kapitalistenklasse in Anspruch genommen. Die Tagungen und Protokolle der Arbeitsgruppen unterliegen strengster Geheimhaltung, weswegen viele Angaben bisher nur vage sein können. Erst das Endresultat wird der Öffentlichkeit präsentiert.

Schädigungen der Umwelt (z.B. durch Fracking oder durch Gentechnik) werden als Kollateralschäden hingenommen. Durch wegfallende Kennzeichnungspflicht etwa bei Lebensmitteln würde auch der Verbraucherschutz weiter geschwächt.

Widerstand organisieren

Trotz vieler Informationslücken können wir feststellen: dieses Freihandelsabkommen dient v.a. dazu, mehr Bewegungsfreiheit für das Kapital zu schaffen. Von ihm kann nur eine kleine Minderheit auf Kosten der Arbeiterklasse und der Armen profitieren.

Deswegen sollten wir uns auch nicht einbilden, es könnten hierzu Verbesserungsvorschläge angebracht werden, um es verträglicher zu gestalten. Ein Informations-, geschweige denn ein Mitspracherecht  ist gar nicht vorgesehen. Bei dem wasserdichten handverlesenen Kreis der Eingeweihten sollten wir auch nicht unbedingt auf einen ‚Whistleblower’ hoffen. Wir können das TaFa nur als ganzes ablehnen.

Was setzen wir dagegen? Auf keinen Fall sollten wir uns damit begnügen, Appelle an die Einsicht der beteiligten Regierungen zu richten. Das ist für diese so relevant wie die Tauchtiefen des Toten Meeres. Auch die unverbundene Aufzählung der Bereiche, in der wir andere Positionen haben, ist nicht zielführend. Vorschläge gar nach Subvention privatwirtschaftlicher Kleinproduktion in der europäischen Landwirtschaft, wie sie in dem von NGOs unterzeichneten Aufruf „TTIP nein danke! Transatlantische Partnerschaft geht anders“ gefordert wird, führen vollends in die Sackgasse eines europäischen Lobbyismus.

Es hat Anläufe gegeben, z.B. in der Konferenz von Havanna 1947/1948, initiiert von ärmeren Ländern, ein Gegengewicht zu den einseitigen Handelsbeziehungen zu schaffen. Doch diese Charta von Havanna wurde von den meisten Industriestaaten, darunter den USA, nicht unterzeichnet und trat nie in Kraft. Das aktuelle Regionalabkommen ALBA in Lateinamerika, gebildet von 8 Staaten Südamerikas und der Karibik, ist weniger als Freihandelsabkommen denn ein politisches Bündnis mit gegenseitiger wirtschaftlicher Zusammenarbeit bei wichtigen Wirtschaftsgütern im Energiesektor, um den Plänen der USA nach Bildung einer gesamt-amerikanischen Freihandelszone (ALCA) zu widerstehen.

Alle Versuche eines „fairen“ Handels sind aber zum Scheitern verurteilt, solange sie Teil des kapitalistischen Weltsystems sind, dessen Spielregeln sie gehorchen müssen. Die Gesetze der Warenproduktion zementieren die Ungleichheit von gesellschaftlichen Klassen schon innerhalb eines einheitlichen Wirtschaftsgebietes und ersticken durch die zwanghafte Konkurrenz zwischen nationalstaatlich organisierten Ökonomien jede wirtschaftliche Gleichentwicklung schon im Ansatz. Einen freien und wirklich gerechten Austausch von Gebrauchsgütern könnte nur eine sozialistische Föderation von Staaten gewährleisten.

Unseres  Erachtens setzt der TaFa-Vertrag nach der Tragweite seines Inhalts einschließlich seiner undemokratischen Verfahrensweise eine Debatte über die gesellschaftliche Planung einer neuen Gesellschaftsordnung, den Sozialismus auf die Tagesordnung. Die Verzahnung der verschiedenen Lebensbereiche legt nahe, eine breit angelegte solidarische Kampagne über Landesgrenzen hinweg zu entfalten, die aufklärend und organisierend wirkt. Ein Vorbild könnte die Durchführung der „Non-Kampagne“ in Frankreich gegen die Annahme der EU-Verfassung sein. Dafür müssten insbesondere die AktivistInnen aus Arbeiter- und fortschrittlichen Organisationen, Gewerkschaften und Parteien gewonnen werden. Über sie sollte die Debatte auch in Betriebe und Wohnviertel getragen werden. RevolutionärInnen hätten dabei die besondere Verantwortung, Fragestellungen so zuzuspitzen, dass sie auf die Selbstorganisierung der Massen in Räten und den Aufbau einer politischen Alternative in Gestalt einer revolutionären Arbeiterpartei orientieren.

Dabei müssten auch Fragen wie: Was soll produziert werden? Wie soll produziert werden? Wie soll verteilt werden? Wer soll das kontrollieren? aufgeworfen und die Notwendigkeit einer internationalen Planwirtschaft unter Arbeiterkontrolle betont werden.

In dieser Kampagne sollte nicht nur unsere Ablehnung des Abkommens deutlich werden, sondern auch, dass wir die jeweils höchsten Lebensstandards in Bezug auf Arbeit, Bildung, Grundversorgung, Wohnung, Umwelt, Ernährung, Gesundheit für die Masse der Bevölkerung in allen Ländern einfordern. Gesellschaftliche Errungenschaften in diesen Bereichen dürfen wir ebenso wenig kampflos preisgeben wie erreichte demokratische Rechte. Hier besteht also auch die Chance zum Zusammenschluss mit Kampagnen, die zu einzelnen dieser Bereiche arbeiten.

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