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Her Yer Taksim, Her Yer Direnis! Überall ist Taksim – Überall ist Widerstand!

Wie kann Erdogan gestürzt werden?

Flugblatt der Gruppe Arbeitermacht, Infomail 688, 13. Juni 2013

Hunderttausende, ja Millionen ArbeiterInnen, Jugendliche, Männer und Frauen, TürkInnen und KurdInnen kämpfen seit Anfang Juni auf den Straßen und Plätzen Istanbuls, Ankaras, Izmirs und vieler anderer Städte.

Was als Mobilisierung gegen die Räumung des Gezi-Parks im Zentrum Istanbuls begann, hat sich zu einer Massenbewegung entwickelt, die sich mittlerweile gegen das gesamte reaktionäre Regime von Erdogans AKP, gegen die nur notdürftig parlamentarisch verhüllte autoritäre Herrschaft des Premierministers richtet.

Erdogan und seine Regierung stehen für den Abbau demokratischer Rechte, nationale Unterdrückung (v.a. der KurdInnen) und die Einführung religiöser Zwangsgesetze. Das türkische Regime stützt sich dabei auf einen starken, zentralisierten Staatsapparat und mehr oder weniger dekorative Elemente parlamentarischer Demokratie, es kombiniert also Formen bürgerliche Herrschaft mit Bonapartismus.

Zugleich steht es für die brutale Umsetzung der neoliberalen Agenda des türkischen Kapitals und des Imperialismus und die Ambition, die Türkei zu einer Regionalmacht im Nahen Osten auszubauen. Und nicht zuletzt steht sie auch für die Abwälzung der Kosten der kapitalistischen Krise auf die Bevölkerung. Die Rezession war 2009 in der Türkei tiefer als in anderen „aufstrebenden Schwellenländern“ und der Aufschwung ist fragil. Die offizielle Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 22 Prozent.

Erdogan steht für die Interessen einer kleinen Schicht von Kapitalisten, Staatsfunktionären, religiösen Führern, welche Religion, Nationalismus, Lüge, Demagogie und die Bedienung der reaktionärsten Vorstellungen in der türkischen Gesellschaft als Kitt gebrauchen, um sich einen Massenanhang zu sichern.

Das Regime wankt

Die VerteidigerInnen des Taksim-Platzes und des Gezi-Parks stehen heute an der Spitze einer Massenbewegung, die das Regime Erdogans und der AKP erschüttert hat - so wie zuvor die Arabischen Revolutionen ihre Despotien.

Trotz der brutalen und rücksichtslosen Polizeieinsätze, trotz mindestens drei von den Bullen getöteter AktivistInnen, trotz tausender Verletzter und Festgenommener haben sie den Taksim-Platz u.a. Plätze immer wieder heldenhaft zurück erobert. Erdogan diffamiert sie als eine „kleine Minderheit von Terroristen“ - doch schon heute stehen hinter ihnen Millionen.

Entscheidend wird freilich sein, diese Millionen aktiv und dauerhaft in den Kampf zu ziehen, die Kampfformen der Bewegung über Besetzungen und Demonstrationen hinaus zu einem unbefristeten politischen Generalstreik auszuweiten. Der Streik der KESK Anfang Juni, an dem sich 240.000 Menschen beteiligten, und die für Mitte Juni angekündigten Streiks in zahlreichen Großbetrieben der Metallindustrie zeigen, welches Potential vorhanden ist. Eine Verbindung des Kampfes um demokratische Rechte mit den  sozialen Forderungen der Arbeiterklasse und dem Kampf für die Freiheit des kurdischen Volkes könnte nicht nur zum Sargnagel für Erdogan und die AKP werden, sondern auch den autoritären türkischen Staatsapparat in seinen Grundfesten erschüttern.

Genau das fürchten die Herrschenden in der Türkei; das beunruhigt die Börsen des Landes und den Kurs der Lira.

Es geht ums Ganze

Mit seinen Angriffen auf die BesetzerInnen, mit immer neuen Provokationen und Drohungen zeigt Erdogan, was er wirklich will. Seine „Verhandlungsangebote“ wie jene anderer Führungsleute aus der AKP sind reiner Hohn und nichts weiter als die verlogene Begleitmusik zum täglichen Polizei-Einsatz. Dem Regime geht es um den eigenen Machterhalt. Dazu ist es bereit, eine Bewegung in Blut und Tränengas zu ersticken.

Sie muss daher, ob sie will oder nicht, den Fehdehandschuh aufgreifen. Es geht tatsächlich ums Ganze. Doch wie kann die Bewegung siegen?

Indem sie sich auf ihre eigene Stärke - und nicht auf falsche Freunde wie Präsident Gül oder westliche Diplomaten vom Schlage Westerwelles - verlässt. Diese wollen mäßigend auf Erdogan einwirken, fordern „Verhältnismäßigkeit“ von Bulleneinsätzen und einen „Dialog“ - doch nicht, weil sie das Herrschaftssystem der AKP und der türkischen Bourgeoisie stürzen, sondern es retten wollen. Sie fürchten, dass die Sache der Kontrolle Erdogans entgleitet, das Land - und somit auch die „Ordnung“ in einem geostrategisch wichtigen Gebiet - weiter destabilisiert wird. Falsche Freunde der Bewegung sind aber auch die türkischen Nationalisten aus der CHP, die Jahrzehnte die blutige Unterdrückung der KurdInnen unterstützten, ja forderten, deren FührerInnen selbst tief in Korruption, Unterdrückung und Profitmacherei des türkischen Kapitalismus verstrickt waren und sind.

Worin aber besteht die Stärke der Bewegung? Darin, dass sie Hunderttausende, wenn nicht Millionen ArbeiterInnen, Jugendliche und Frauen, Menschen verschiedener Glaubensrichtungen und Nationalitäten in Bewegung gesetzt hat. Diese Einheit der ausgebeuteten und unterdrückten Schichten muss und kann vertieft werden, wenn die Bewegung selbst ein mutiges und klares Programm entwickelt, das in der Lage ist, die demokratischen und sozialen Forderungen der Massen zu bündeln und ihnen eine politische Stoßrichtung zu geben.

Politischer Generalstreik!

Um die Regierung Erdogan in die Knie zu zwingen, braucht es einen politischen Massenstreik: einen Generalstreik. Diese Forderung muss an die Führung und die Mitglieder der Gewerkschaften gestellt werden. Sie müssen dazu aufgefordert werden, mit jeder Unterstützung für Erdogan zu brechen und für die Bewegung Partei zu ergreifen. Zugleich müssen in den Fabriken und Unternehmen, an den Unis und Schulen, in den Stadtteilen öffentliche und betriebliche Massenversammlungen organisiert werden, die Aktionsräte wählen, um die Bewegung zu koordinieren und einen Generalstreik zu tragen - und wenn nötig auch ohne die bestehenden Führungen erzwingen und organisieren können.

Ein solche Bewegung müsste daran gehen, Selbstverteidigungseinheiten der ArbeiterInnen und die Massen in den Stadtteilen aufzustellen, die die Kämpfenden vor der Polizei schützen und in der Armee unter den einfachen Soldaten agitieren, sich jedem Einsatz gegen die Bewegung zu widersetzen und Soldatenräte zu bilden.

Ein Generalstreik würde die Machtfrage stellen. Er würde die Frage aufwerfen, wer herrschen soll: die AKP (mit oder ohne Erdogan), die bürgerlich-nationalistische Opposition - oder eine Arbeiter- und Bauernregierung, die sich auf Räte stützt, die Konterrevolution entwaffnet, die demokratischen und sozialen Forderungen der Massen erfüllt (insbesondere die Rücknahme aller religiösen, antidemokratischen und frauenfeindlichen Gesetze, Selbstbestimmungsrecht des kurdischen Volkes) das Großkapital unter Arbeiterkontrolle enteignet und eine demokratische Planung einführt.

Doch um in die Arbeiterklasse und die Bewegung für eine solche Perspektive zu gewinnen, braucht es auch eine politische Kraft, eine revolutionäre Arbeiterpartei, die sich auf ein Programm von Übergangsforderungen stützt, welches die Massen zur sozialistischen Revolution führt.

Solidaritätsbewegung aufbauen!

Die BesetzerInnen vom Gezi-Park, von Taksim, die gesamte Massenbewegung in der Türkei braucht die Unterstützung aller linken Organisationen, ja der gesamten Arbeiterbewegung der Welt.

Die Politik der deutschen u.a. imperialistischer Regierungen ist ein heuchlerischer Skandal. Über Jahrzehnte war und ist die Türkei ein wichtiger Verbündeter der westlichen Regierungen, eine riesige Aufmarschbasis der NATO.

Westliche Konzerne profitieren milliardenschwer von den neoliberalen Angriffen der AKP-Regierung, von Privatisierungen der türkischen Wirtschaft, von Outsourcing von Arbeitskräften und Billigjobs, von Immobilien- und Börsenboom, von Waffenkäufen des türkischen Staates, die gegen das kurdische Volk oder heute gegen die demokratische Bewegung eingesetzt werden.

Sie profitieren von der Unterdrückung unabhängiger Gewerkschaften, von der Unterdrückung des kurdischen Volkes und der nationalen Spaltung der Arbeiterklasse - allein schon, weil das die Widerstandskraft der Lohnabhängigen schwächt.

Die Empörung deutscher Politiker ist pure Heuchelei. Bis vor kurzem galt die Türkei noch als „Demokratiemodell“, das in Ländern wir Ägypten oder Libyen kopiert werden sollte.

Auf den „Terrorlisten“ der EU befinden sich bis heute eine Reihe linker türkischer Organisationen sowie die kurdische PKK. Linke AktivistInnen werden bis heute in der BRD u.a. westlichen Ländern verfolgt, vor Gericht gestellt oder abgeschoben. Solidarität mit den Kämpfenden in der Türkei muss auch Solidarität mit diesen GenossInnen hier bedeuten:

Sofortiger Abzug der Polizei und aller Sondereinheiten von Taksim u.a. Plätzen! Freilassung aller politischen Gefangenen, aller von der Polizei in den letzten Tagen Festgesetzten!

Untersuchung aller Angriffe auf die DemonstrantInnen, Aburteilung der politisch nd polizeilich Verantwortlichen durch von den Massen gewählte, öffentliche Tribunale!

Aufhebung aller antidemokratischen, frauenfeindlichen und religiösen Gesetze, die politische Rechte, Freizügigkeit im öffentlichen Leben und das Selbstbestimmungsrecht der Frau einschränken!

Schluss mit jeder diplomatischen und politischen Unterstützung der türkischen Regierung! Schluss mit allen Waffenlieferungen!

Aufhebung aller Vorbote linker und fortschrittlicher türkischer und kurdischer Organisationen in Deutschland und der EU! Weg mit dem PKK-Verbot!

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