Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Zum Tod von Sieghard Bender

Sieghard Bender – Links-Reformist und Praktiker

Klaus-Kuno Benz, Infomail 688, 13. Juni 2013

Völlig überraschend ist der Hauptamtliche Erste Bevollmächtigte der IG Metall Esslingen, Sieghard Bender, in der Nacht von Sonntag auf Montag im Alter von 58 Jahren verstorben. Er erlag einem plötzlichen Herzversagen.

Wer war Sieghard Bender?

Nach der Ausbildung zum Maschinenschlosser und dem Abitur über den zweiten Bildungsweg begann Sieghard seine hauptberufliche Gewerkschaftslaufbahn 1979 als Jugendbildungssekretär beim DGB in Karlsruhe. Von 1981 bis Herbst 1990 war er zuerst als Gewerkschaftssekretär und dann als Zweiter Bevollmächtigter schon einmal bei der IG Metall in Esslingen, bis er vom damaligen IG Metall-Vorsitzenden Franz Steinkühler 1990 überzeugt wurde, nach Chemnitz zu wechseln.

Als dortiger erster Bevollmächtigter sollte er nicht nur die IG Metall aufbauen, sondern hatte es zu tun mit der gewaltigen De-Industrialisierung der ehemaligen DDR. Im Kampf gegen Werksschließungen, Kündigungen, Zerteilungen, aber auch um industrielle Wiederansiedlungen zeichnete er sich mit "unkonventionellen" Methoden, rednerischer Begabung und organisatorischem Geschick aus und wurde bald zum prominentesten Gewerkschafter der Region, der durch zahlreiche Talkshow-Einladungen auch bundesweite Bekanntheit erlangte.

Während seiner Amtszeit in Chemnitz betreute er unter anderem bis zu 6 besetzte Betriebe, die zum Teil noch lange selbstverwaltet weiter arbeiteten. Und nicht zuletzt war er im verlorenen Streik um die 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland Streikführer an forderster Front.

2005 wurde Sieghard Bender dann in einer knapp ausgegangenen Kampfabstimmung zum Ersten Bevollmächtigten in Esslingen gewählt. Die Esslinger IG Metall-Delegierten entschieden sich damit für ein offensiveres Auftreten der IG Metall in den Betrieben und in der Öffentlichkeit und gegen ein „Sparmodell“ aus den eigenen Reihen mit weniger Personal.

"Alte Schule"

Sieghard Bender wurde oft als „Gewerkschafter der alten Schule“ dargestellt. Als solcher inszenierte er sich auch gerne – bei keiner Gelegenheit ließ er z.B. aus, dass er, der gelernte Maschinenschlosser, auch schon als Leiharbeiter gearbeitet hatte. Sieghard war gerade heraus, ehrlich, sympathisch und vor allem sprach er die Sprache der KollegInnen. Wenn er auf Betriebsversammlungen gegen die Banken wetterte und dann sagte „da juckt es einen, in den Keller zu gehen und die Gewehre herauszuholen“, war ihm der  Beifall der KollegInnen sicher.

Sieghard war jedoch nicht nur Gewerkschafts-Praktiker – er mischte sich auch politisch ein. Er war langjähriges SPD-Mitglied, bis er 2004 ausgeschlossen wurde, da er die unabhängige Wählerliste „Perspektive Chemnitz“ unterstützte. Später wurde er Mitglied der WASG und der Linkspartei.

Sieghard unterstützte auch als einer der wenigen bekannten Gewerkschafter den Kampf gegen Stuttgart 21 – ohne es jedoch zu schaffen, diesen in einen Kampf der Arbeiterklasse gegen das Kapital zu wandeln.

Aktion und Pragmatismus

Überhaupt war er jederzeit in der Lage, das Werkzeug der Aktion und der Mobilisierung geschickt zu nutzen – ohne sich zu allzu weit auf das Terrain des Klassenkampfs zu bewegen. So übte er sich gewissermaßen als Vorläufer von Occupy, als er während der schärfsten Krise im Oktober 2009 mit der IG Metall die Belegschaften von Esslinger Maschinenbaubetrieben nach Stuttgart lotste und dort vor der LBBW-Zentrale ein Aktionscamp gegen die Politik der Banken inszenierte. Doch ehe die Belegschaften zum Widerstand aufgerufen wurden, musste er erst noch gemeinsam mit betrieblichen Aktivisten den teils heftigen Widerstand rechter Betriebsratsbürokraten brechen, die sich zunächst den Entlassungsplänen der Geschäftsleitungen unterwerfen wollten – um dann später wieder, ganz pragmatisch, mit eben diesen Betriebsratsspitzen und den Geschäftsleitungen zusammenzuarbeiten.

Zweifellos, und dies wird auch von Sieghards GegnerInnen bestätigt, war es zu einem großen Teil sein Verdienst, durch Aktionen und Verhandlungen, dass während der Krise nicht deutlich mehr Metall-Beschäftigte im Kreis Esslingen entlassen wurden.

Aber auch im Kampf gegen Leiharbeit und die Praxis der Arbeitsagenturen konnte er auf Mobilisierung und Aktion setzen – so z.B. als er kurzerhand mit einer Handvoll nicht übernommener Auszubildender zusammen mit Vertrauensleuten und Megaphon-bewaffnet pressewirksam das Esslinger Arbeitsamt besetzte. Leider folgten darauf keine weiteren Aktionen, die die Initiativen verbreitert hätten.

War Sieghard Bender „Marxist“?

Sieghard war kein Revolutionär (auch wenn er gelegentlich durchaus verbal-revolutionär sein konnte), sondern Reformist – wenn auch ein linker. Er vertrat die Ideologie, dass für alle genug da sei, man müsse nur richtig verteilen. Er war einerseits Kapitalismus-Kritiker, andererseits war es jedoch immer sein Bestreben, sich mit den Mächtigen zu arrangieren. Verhandlungen und gute Kompromisse waren sein Hauptziel. Dafür verhandelte er auch gerne mit Leuten wie Biedenkopf (ehem. Ministerpräsident in Sachsen, CDU) oder lokal in Alt-Esslinger Kneipen mit Maschinenbau-Geschäftsführern bei Rostbraten und Rotwein um künftige Unternehmens-Strategien.

Sieghard war, wenn für seine Zwecke erforderlich, ein scharfer Kritiker des Kapitalismus, besonders in seiner neo-liberalen Ausprägung. Er konnte, wenn er wollte, auch durchaus marxistische Zitate und Argumente aufführen.

In der Praxis allerdings hatten seine Initiativen meistens „Volksfront“-Charakter – also nie das Ziel, die Klassenherrschaft der Bourgeoisie gewaltsam zu brechen – sondern mit den verschiedensten Kräften zusammenzuarbeiten, um bestimmte begrenzte Ziele zu erreichen. Folglich waren seine Aktionen und Initiativen auch meistens nur kurzfristig angelegt: Um Druck aufzubauen, der ihm dann in seinen Verhandlungen weiterhalf.

Klassenunabhängigkeit war nicht sein Ding

Überhaupt waren selbstbewusste, klassenunabhängige und kämpferische Initiativen oder Strömungen nicht sein Ding. So scheiterte er z.B. beim Versuch der Wiedereingliederung der oppositionellen „Alternativen Liste“ in die IG Metall bei Daimler und ließ es zu, dass organisatorisch die mehreren tausend IG Metaller im Esslinger Daimler-Werksteil durch die deutlich größere Verwaltungsstelle Stuttgart geschluckt wurden.

Einige Formen des Klassenkampfs wie Räte pervertierte er. Prinzipiell sind ja nach marxistischer Auffassung Räte klassenunabhängige Organe des Proletariats. Dagegen inszenierte Sieghard in Chemnitz sogenannte „Konsensmodelle“, also „Beiräte“ mit Rechten eines Aufsichtsrats, in denen bei Firmenumstrukturierungen alle, die Interesse am Erhalt von Arbeitsplätzen eines Betriebes hatten, einen Konsens über eine Sanierung finden sollten - Gesellschafter, Banken, Arbeitsamt, Region und manchmal auch die Belegschaften.

Im Kreis Esslingen rief er später zu einem „Wirtschafts- und Sozialrat“ („Esslinger Rätemodell“) auf, der einen „Regionalfonds“ zur Rettung und Unterstützung aufgrund der Krise angeschlagener Betriebe verwalten sollte. In diesem „Rat“ sollten dann z.B. die wichtigsten Vertreter der Unternehmen, der Politik und der Beschäftigten sitzen. Die Beschäftigtenvertreterfraktion wurde sehr flott aus einer Hand voll Betriebsratsvorsitzender plus ihm selbst gebildet. Das „Modell“ scheiterte jedoch, bevor es zustande kam: Zum einen wollten sich die Unternehmer nicht so weit in ihre Kompetenzen hineinreden lassen und zum andern war die Krise inzwischen einem Aufschwung gewichen, und die Unternehmen verdienten wieder ordentlich Geld und hatten Sieghards Ideen nicht mehr nötig.

Nicht lange fackeln, sondern handeln – das war Sieghards Devise. Dabei kam er am Liebsten ganz ohne lästige Gremien aus – wenn es günstig schien, verhandelte er lieber direkt mit den Gegnern, als sich erst umständlich mit den eigenen Leuten aueinanderzusetzen. So nahmen es ihm z.B. in Chemnitz viele Kollegen übel, als er in einer Nacht- und Nebelaktion zur Rettung der dortigen Spinnereimaschinen GmbH den umstrittenen spanischen Ex-VW-Manager José Ignacio López in das Unternehmen holen wollte. Und auch in Esslingen standen z.B. betriebliche Tarifkommissionen nur auf dem Papier, ohne sich ein einziges Mal zu treffen – während Sieghard über Monate hinweg mit den Geschäftsleitungen verhandelte.

Bei seinem letzten Projekt, einer Ausbildungswerkstatt in Ägypten, fackelte er erst recht nicht lange – und zeigte dabei besonders deutlich die politischen Grenzen und Abgründe eines „kämpferischen“ Pragmatismus. Nach Mubaraks Sturz kümmerte er sich wenig um das Weitergehen der Revolution. Statt dessen war für Sieghard die „demokratische“ Etappe der Revolution beendet und praktische Aufbau-Hilfe angesagt – und so rief er ein Ausbildungs- und Austauschprojekt mit einer Ägyptischen Ausbildungswerkstatt ins Leben – unterstützt durch die CSU-nahe Hans-Seidel-Stiftung.

Sieghards Tod reißt ohne Zweifel eine große Lücke in den Gewerkschafts-Apparat. Angesichts der Rechtsentwicklung der IG Metall ist es fast sicher, dass nach ihm Rein-Bürokraten folgen, die kaum noch in der Lage sind, eine, wenn auch bürokratisch gelenkte Mobilisierung in Gang zu bringen. Er war ein Bürokrat der „alten Schule“, des (linken) Reformismus, der durchaus in der Lage war, Kämpfe zu organisieren – wenn auch immer im Korsett des „Ausgleichs zwischen den Klassen“. Es ist daher nur folgerichtig, dass er, wie die meisten reformistischen Gewerkschafts-Linken, keine organisierte Opposition in der Gewerkschaft aufbauen wollte und konnte. Genau dies ist heute wie gestern das große Defizit dieser Linken. Ein Gegenpol nicht nur zur Gewerkschaftsspitze, sondern auch zu den mehrheitlich rechten Betriebsratsfürsten in den Betrieben ist heute nötig und wird zukünftig notwendiger denn je sein.

Leserbrief schreiben   zur Startseite

Wöchentliche E-News
der Gruppe Arbeitermacht

:: Archiv ::