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Berlin

Ein Jahr Rot/Schwarz

Axel Müller, Infomail 646, 1. Oktober 2012

Seit der Wahl zum Berliner Senat am 18. September 2011 regiert eine Koalition aus SPD und CDU die Hauptstadt. Was ist das Resümee des ersten Jahres dieser Regierung?

Die „Erfolge“ der Regierenden und Mitregierenden im Roten Rathaus sind deutlich: Zunächst einmal der „Bilderbuchstart“ des Justizsenators Michael Braun, dessen Flugphase jedoch schon nach 11 Amtstagen wegen Verstrickung in dubiose Immobiliengeschäfte wieder zu Ende war.

Abflug?!

Apropos Fliegerei. Die Berliner Flughafenchaoten sehen sich, zusammen mit dem Bund und dem Land Brandenburg, genötigt, mit einer halben Milliarde Euro direktem Kapitalzuschuss und zusätzlich einem noch deutlich höheren Gesellschafter-Darlehen die drohende Pleite von BBI/BER abzuwenden, noch bevor dieser überhaupt in Betrieb gegangen ist. Die Mehrkosten für diese Tragikomödie belaufen sich auf derzeit geschätzte 1,2 Milliarden Euro. Jeder weitere Monat Verzug kostet nochmals 20 Millionen und damit am Ende ca. 4,6 Milliarden.

Meint man jedoch, es würden nun an verantwortlicher Stelle personelle Konsequenzen gezogen, so irrt man. Statt zurück zu treten, führt der Geschäftsführer der Berliner Flughäfen, Dr. Rainer Schwarz, mit rund 550.000 Euro auch weiterhin die Hitliste der Berliner Managergehälter im öffentlichen Bereich mit deutlichem Vorsprung an.

Soziale Bruchlandung

Bei solch „alternativlosen Notwendigkeiten“ wird natürlich verständlich, weshalb an anderen Stellen kräftig gespart werden muss. So z.B. durch die Streichung  von Lehrerstellen an Grundschulen mit hohem Migrantenanteil.

Ein weiterer „Höhepunkt“ der Senats-Bilanz ist die Schließung und Räumung des weltweit bekannten Kunsthauses „Tacheles“ im Bezirk Mitte, dem durch die Berliner Verwaltung ein „nicht bestehendes allgemeines Interesse“ bescheinigt wurde, wodurch der Verkauf befördert wurde.

Während vom neuen Flughafen vorerst nicht abgeflogen werden kann, sollen die Nutzer des Seniorenzentrums in der Stillen Straße 10 in Pankow-Niederschönhausen schon bald rausfliegen, da das Land Berlin natürlich nicht länger für solche „Unsinnigkeiten“ wie einen Senioren-Treff Geld ausgeben kann - vor allem nicht, wenn man das Haus zur Kapitalbeschaffung an finanzkräftige Geldanleger verscherbeln kann.

Bei anderen Projekten wieder zeigt sich der Wowereit-Senat dafür deutlich großzügiger, wie der Verkauf von 100.000 m² Land aus dem Mauerpark im Stadtteil Prenzlauer-Berg zeigt. Das Gelände wird dadurch TouristInnen wie BerlinerInnen für Kultur und Erholung entzogen.

Ein „unvertretbarer Luxus“ ist für den rot/schwarzen Senat auch eine Einrichtung für benachteiligte Kinder auf Schwanenwerder, einer Insel, die sich bei finanzstarken Investoren großer Beliebtheit erfreut. Die Einrichtung soll nun geschlossen werden. Begründet wird diese Maßnahme mit einem Unglücksfall - durch einen Orkan vor zehn Jahren!

Einen tosenden Sturm aus Beifall wird der Senat mit seiner Politik aber auf jeden Fall bei Bauunternehmern, Finanzhaien und Spekulanten hervorrufen.

Ein gar heiteres Spiel ist derzeit auch die Diskussion innerhalb der Koalition um die Gründung und den Betrieb einer kommunalen Netzgesellschaft und eines landeseigenen Stadtwerkes als Stromproduzent und -händler. Hierzu meinte die CDU, dass der Gesetzentwurf der Initiative „Berliner Energietisch“ nicht den Interessen Berlins entspräche.

„Aber natürlich!“, möchte man hier beipflichten, bei all den “hervorragenden“ Erfahrungen, die man in letzter Zeit in puncto Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit mit der Berliner S-Bahn als Tochter der auf Erfolgs-, also Profit- und Sparkurs gebrachten Deutschen Bundesbahn gemacht hat; oder den Berliner Wasserbetrieben und ihren überhöhten Preisen, deren Anteile das Land Berlin jetzt plötzlich wieder zurückkaufen will.

Es bleibt abzuwarten, ob das Volksbegehren für eine kommunale Netzgesellschaft, durch das Abgeordnetenhaus, wie vom Senat empfohlen, abgelehnt werden wird. Tradition hätte das ja: auch die Initiative "Berliner S-Bahn-Tisch" hatte bereits im Hinblick auf den 2017 auslaufenden Verkehrsvertrag zwischen Deutscher Bahn und dem Land Berlin ein Volksbegehren initiiert, dass durch den Senat im Februar kurzerhand abgelehnt wurde.

Zuletzt noch ein herzliches Willkommen der neuen CDU-Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer! Sie kam, weil die bisherige die Spielregeln wohl nicht ganz verstanden hatte - dass Politiker doch tunlichst die Finger von wirklichen Entscheidungen lassen sollten, die für "die Wirtschaft" (hier die Messegesellschaft Berlin) eine Rolle spielen - zumindest, bis sie die Wirtschaft gefragt haben. Yzer war früher Hauptgeschäftsführerin des Verbandes forschender Arzneimittelhersteller, der als einer der mächtigsten Lobbyverbände gilt.

Man kann für die kommenden Monate also noch viel Großes von diesem Senat für Berlin erwarten. Wie viele „kleine Leute“ und ihre Lebensinteressen dabei auf der Strecke bleiben werden, werden wir erleben. Nur sollten wir all das nicht der Unfähigkeit, Dummheit oder Ignoranz der PolitikerInnen zuschreiben. Was hier über unsere Köpfe hinweg entschieden wird, hat System. Es zeigt, dass der Staat keine neutrale Instanz ist, sondern ein Instrument, das der Realisierung von Profit durch das Kapital dient.

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