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Teil der Linksfraktion verweigert Ehe-Öffnung für Lesben und Schwule

Ein vergeblicher Versuch, besonders radikal zu erscheinen

Stefan Andersen, Infomail 631, 10. Juli 2012

Vielleicht hatten sie einfach genug von den zumeist nur an der Oberfläche der eigengesetzlichen Krise des Kapitalismus kratzenden Reden ihrer Fraktion über „Finanzcasinos“ und „Zockerbanden“ und wollten die gesellschaftlichen Verhältnisse endlich einmal grundlegend in Frage stellen? Das mag eine Erklärung sein für das Verhalten von 17 der 76 (immerhin 22%) Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE, die Ende Juni einer von SPD und Grünen erzwungenen, namentlichen Abstimmung im Bundestag über die Öffnung der Ehe für Lesben und Schwule entweder gänzlich fernblieben oder sich der Stimme enthielten.

SPD und Grüne waren dagegen bis auf sehr wenige Ausnahmen vollzählig anwesend und stimmten in einer politisch wohlkalkulierten Aktion, pünktlich zur Eröffnung der CSD-Saison (CSD = Christopher Street Day, der an die Aufstände von Schwulen und Lesben gegen Unterdrückung und Polizeigewalt in New York im Jahre 1969, als wesentlichen Ausgangspunkt der Schwulen- und Lesbenbewegung erinnert) geschlossen für den Antrag zur Ehe-Öffnung.

Rot-Grün ging es hierbei, zweifellos schon mit Blick auf die Bundestagswahl im kommenden Jahr, v.a. darum, die schwarz-gelbe Bundesregierung und insbesondere die FDP, die sich immer wieder gern als „Bürgerrechtspartei“ vermarktet, mit deren diskriminierender Politik in einer „Schaufensterabstimmung“ vorzuführen. Mit den nahezu geschlossenen Reihen von Schwarz-Gelb lehnte der Bundestag dann auch erwartungsgemäß die Ehe-Öffnung ab.

Gegen die Privilegierung der Ehe

Während in der Linksfraktion so bedeutende und gemeinhin dem „antikapitalistischen“ Flügel der Partei zugerechnete Parteigrößen wie Sahra Wagenknecht ohne jede Erklärung der Abstimmung fernblieben, lieferten die fünf sich enthaltenden Abgeordneten in einer schriftlichen Stellungnahme immerhin eine Erklärung für ihr Verhalten:

Der Antrag auf Ehe-Öffnung beinhalte die weitere einseitige Privilegierung dieser Form des Zusammenlebens. Die Institutionalisierung von Beziehungen, die zu finanziellen Abhängigkeiten führe, wie zum Beispiel Unterhaltsverpflichtungen nach Trennungen und der Verlust des Anspruches auf staatliche Sozialleistungen, sei generell abzulehnen. Sowohl unter Schwulen und Lesben als auch insgesamt in der Gesellschaft gebe es daher zunehmende Vorbehalte gegen die Ehe. Daher sei eine rechtliche „Gleichstellung aller Lebensweisen“ erforderlich.

Zunächst erscheint diese Forderung nach einer umfassenden Gleichberechtigung aller Menschen und ihrer Lebensweisen und die Kritik am bürgerlichen Konstrukt der Ehe richtig und notwendig. Es ist auch zutreffend, dass die linken Teile der Schwulen- und Lesbenbewegung immer wieder scharfe Kritik an der spätestens seit Anfang der 1990er Jahre dominierenden bürgerlichen „Gleichstellungspolitik“ üben, die sexuelle Emanzipation, Befreiung und Gleichberechtigung, angeführt von den am Tropf des bürgerlichen Staates hängenden Verbandsfunktionären z.B. des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD), allen Ernstes auf die Frage der Eheschließung reduziert oder letztere zumindest ins Zentrum der politischen Aktivitäten rückt. Die Hauptkritik vieler Schwuler und Lesben bezieht sich dabei auf die Tatsache, dass die Ehe als wesentliches bürgerliches Konstrukt, als die „Keimzelle“ der bürgerlichen Familie, direkt mit der ebenso gesellschaftlich gemachten Setzung der heterosexuellen Norm verknüpft ist - homosexuelle Menschen also damit selbst nur das hetero-normative Lebensmodell reproduzieren, das für ihre Unterdrückung verantwortlich ist, anstatt dieses grundsätzlich in Frage zu stellen.

Sexuelle Befreiung light

Dennoch sind Argumentation und politisches Handeln der sich enthaltenden linken Abgeordneten, wenn sie es mit der Gleichberechtigung aller Menschen tatsächlich ernst meinen, sowohl programmatisch völlig unzureichend und inkonsequent als auch taktisch verheerend. Zunächst einmal haben die betreffenden Abgeordneten - diejenigen, die der Abstimmung einfach fernblieben, sowieso - es völlig versäumt, wenigstens im Rahmen der Plenardebatte zur Ehe-Öffnung mit ihrer Kritik aufzutreten bzw. schon im Vorfeld und über die letzten Jahre in und mit ihrer Fraktion als 12%-Partei auf Bundesebene konsequent gegen die Konstrukte der kapitalistischen Klassengesellschaft - Ehe, Familie, Geschlechterordnung, heterosexuelle Norm - einzutreten und dafür auch kämpferische Bündnisse mit den Betroffenen zu bilden. Zwar erwähnte die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, Dr. Barbara Höll (die dem Antrag auf Ehe-Öffnung zustimmte) in der Bundestagsdebatte die Notwendigkeit, das Ehegatten-Splittung abzuschaffen und weitere Schritte zur Gleichstellung aller Lebensweisen zu unternehmen. Ihre Aussagen blieben aber ebenso wie die oben zitierte Stellungnahme der fünf sich enthaltenden Abgeordneten und in Übereinstimmung mit dem Parteiprogramm der Linken inhaltlich oberflächlich. Und alle zusammen weisen sie keinerlei Kampfperspektive auf, für welche die Linkspartei eintritt. So wurde auch im Parteiprogramm als vermeintliche Lösung für die Überausbeutung von Frauen im Kapitalismus und die Mehrfachunterdrückung von Frauen sowie auch von Schwulen und Lesben im Wesentlichen nur eine Erweiterung des herrschenden Familienmodells um alternative Familienformen genannt.

Die Ausbeutungsverhältnisse der kapitalistischen Klassengesellschaft, aus denen im Interesse der herrschenden Klasse die Konstrukte der Geschlechterordnung, der sexuellen Norm, der Familie und damit der Mehrfachunterdrückung von Frauen und Homosexuellen überhaupt erst hervorgegangen sind, und die notwendige Organisation der Betroffenen für eine Verbindung ihrer Tageskämpfe mit einem Kampf um die grundsätzliche Überwindung des Kapitalismus werden in keiner Weise als solche angesprochen. Eben diesem viel zu kurz greifenden Ansatz ohne klare politische Perspektive folgen auch die fünf sich enthaltenden Abgeordneten: Sie fordern zwar rhetorisch eine „Gleichberechtigung aller Lebensweisen“, weisen aber weder einen politischen Weg dorthin, noch unterstützen sie aktiv die dringlichen Tageskämpfe der Betroffenen.

Dabei sind auch viele Schwule und Lesben von Arbeitslosigkeit und zunehmend prekären Beschäftigungsverhältnissen, von Kinder-, Jugend- und Altersarmut betroffen und dabei zusätzlich in der Schule und in den Betrieben immer wieder Zielscheiben von Diskriminierung, Mobbing und Gewalt. Wo bleiben da konkrete Initiativen der LINKEN, diese alltäglichen Kämpfe direkt aufzugreifen und mit dem Kampf gegen das ihnen zugrundeliegende System zu verbinden?

Pseudo-Revoluzzertum

So hat es etwas von Pseudo-Revoluzzertum, dass den fünf Abgeordneten ausgerechnet in dem Moment, in dem es um die Beseitigung einer äußerst wirkungsmächtigen und symbolischen, von Kirchen, "Konservativen", "Liberalen" und Faschisten gleichermaßen gewollten Diskriminierung von Schwulen und Lesben geht, auf programmatisch extrem dürftiger Basis einfällt, dass sie ja eigentlich generell gegen die Ehe und die mit ihr verknüpften Abhängigkeitsverhältnisse sind. Und deshalb gar nicht anders können, als die Diskriminierung von Schwulen und Lesben im Bereich der Eheschließung - solange die Institution der Ehe nun einmal existiert - aufrechtzuerhalten.

Alles andere wäre ja nicht nur ein erster Schritt gegen Diskriminierung hier und jetzt, sondern womöglich auch dazu geeignet, unter lohnabhängigen homosexuellen Menschen, die zum Beispiel - ohne vergleichbare rechtliche Absicherung und steuerliche Vergünstigungen wie heterosexuelle Ehepartner - Kinder versorgen, Verbündete im weiteren Kampf gegen die kapitalistische Klassengesellschaft und ihre (Herrschafts-) Konstrukte zu gewinnen. Die Reaktionen in schwul-lesbischen Medien zeigen sehr deutlich, dass die fünf Abgeordneten mit ihrem faktischen Plädoyer für eine Nichtbeseitigung von Diskriminierung, im Verbund mit ihren ohne jede Erklärung abwesenden KollegInnen, ein verheerendes Signal an die Betroffenen gesendet haben. Sie treiben viele lohnabhängige Schwule und Lesben damit direkt in die Hände der rechten Reformisten von der SPD (und ihres potenziellen Koalitionspartners, der Grünen), die es mit erprobter Parteidisziplin vermocht haben, aus dem zutiefst bürgerlichen Ansatz der „Gleichstellung“ über eine Ehe-Öffnung (wahlkampf-) politisches Kapital zu schlagen.

Die unausgegorene, sektiererische und/oder opportunistische Linie bedeutender Teile der Linken hat es dagegen ebenso wenig vermocht, hier und jetzt einen Schritt gegen Unterdrückung mit starker Signalwirkung zu vollziehen und in der Unterstützung der Tageskämpfe das Bewusstsein der Betroffenen innerhalb der Arbeiterklasse zu heben, wie sie einen Weg für die nächsten notwendigen Schritte hin zur Gleichberechtigung aller Menschen gewiesen hat. Vielmehr wurde Schwulen und Lesben ein gefühlter Schlag ins Gesicht verpasst und beispielhaft deutlich, weshalb sich die Partei Die Linke in einer anhaltenden Krise befindet.

Grundlage der sexuellen Unterdrückung beseitigen!

KommunistInnen unterstützen jeden, noch so kleinen Schritt gegen Unterdrückung und Ausbeutung und verbinden ihn mit dem Kampf gegen die Grundlage dieser Unterdrückung - den Kapitalismus.

Eine Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben, generell die sexuelle Befreiung der Menschheit, ist ebenso wie das Ende der Frauenunterdrückung nur möglich, wenn die kapitalistische Klassengesellschaft als Basis der herrschenden Geschlechterordnung, der sexuellen Normsetzung, der Ehe und Familie beseitigt wird. Wenn gesellschaftliche Produktion nicht mehr im Dienste der Profit- und Verwertungszwänge einer kleinen Minderheit von Kapitalisten steht, sondern in den Dienst der Mehrheit der Lohnabhängigen gestellt wird. Und damit auch die gesellschaftliche Reproduktion - also im Sozialismus die Gewährleistung gleicher Lebensrechte aller Menschen durch die Gemeinschaft, vom ersten Moment an.

Doch den Weg für diese Alternative, eine sozialistische Gesellschaft, in der die Arbeiterklasse und die Unterdrückten selbst Wirtschaft und Gesellschaft demokratisch planen und organisieren und Herrschaft ausüben, den Weg zu den dafür notwendigen Klassenkämpfen und dem Aufbau einer Gegenmacht der Arbeiterklasse hat die Partei Die Linke auch in diesem Fall nicht gewiesen.

Deshalb ist die dringende Aufgabe von KommunistInnen, auch und ganz besonders mit Blick auf die mehrfach unterdrückten Gruppen im Kapitalismus, für die weltweite Durchsetzung gleicher Rechte von Frauen ebenso wie von Schwulen, Lesben, Trans- und Intersexuellen, Transgendern und MigrantInnen, in Zeiten der sich verschärfenden kapitalistischen Krise, in denen die herrschende Klasse wieder verstärkt auf die Konstrukte Ehe und Familie, welche die sozialen Krisenfolgen und die Verelendung immer breiterer Schichten der Lohnabhängigen „auffangen“ sollen, sowie auf Sexismen und Rassismen aller Art zur Kontrolle und Spaltung der Arbeiterklasse zurückgreift, der Aufbau einer neuen revolutionären Internationale, der Fünften Internationale.

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