Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Dresden is calling, Magdeburg is drowning!

Und es kam schlimmer...

Ninjana Berger, Infomail 600, 18. Januar 2012

Mindestens 1.200 Neonazis haben am 14. Januar trotz nicht unwesentlicher Gegenwehr meist autonomer antifaschistischer Gruppen erneut ihren "Trauermarsch" durch Magdeburg durchsetzen können. Und dies mit wie immer tatkräftiger Hilfe der Polizei und nicht minder erschreckender Passivität gesellschaftlich relevanter Gruppen wie Linkspartei oder Gewerkschaften, die linken Antifaschismus scheinbar nicht mehr in ihrem Demokratieverständnis unterbringen können.

Gegenmobilisierung

Dabei hatten die autonomen und andere antifaschistischen Gruppen sehr viel getan, um mit Erfolg für eine überregionale Gegenmobilisierung zu sorgen. Und es hat auch alles ganz gut angefangen. Schon um 10.00 Uhr waren antifaschistische Auftaktkundgebung und Demonstration am Hauptbahnhof angesetzt; genug Zeit, um den gegen 12 Uhr angemeldeten Naziaktivitäten entgegen treten zu können.

Doch schon das verspätete Eintreffen eines Zuges mit AntifaschistInnen aus Burg und Berlin machten den gemeinsamen Startplan zunichte. Die hilflosen Redner am Lauti versuchten, die ca. 500 Antifas erfolglos zum Bleiben zu bewegen. Und so zerstreuten sich die Gruppen mit Ziel Bahnhof Neustadt, an dem das Eintreffen der Nazis erwartet wurde und von wo deren geschichtsrevisionistischer Trauermarsch starten sollte.

Die Polizeipräsenz entlang der Route war zu diesem Zeitpunkt noch recht unterschiedlich. Trotz beginnender wilder Hetzjagden durch den Nordpark und teils gewalttätigen Abdrängelns seitens der Cops konnten die Menschen wenige Meter weiter ohne Hindernis erstaunlicherweise auf die Marschroute gelangen und unbehelligt umliegende Hinterhöfe inspizieren.

Zu diesem Zeitpunkt trafen die Nazis am Bahnhof Neustadt ein und waren auf dem Weg zu ihrer Auftaktkundgebung am Nikolaiplatz nördlich des Bahnhofes; die beginnende Kundgebung wurde lt. Berichten von Kirchengeläut und Sirenengeheul übertönt. Beim Vordringen Richtung Neustädter Bahnhof wurden wir dann von den heraneilenden BFE („Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten” der Polizei) bemerkt, sanft aber sehr bestimmt von der Strecke geführt. Die Nazis marschierten zu diesem Zeitpunkt für uns noch sichtbar nach Norden und es entstand Verwirrung, ob die angekündigte Route überhaupt Marschstrecke werden würde.

Unterhalb des Neustädter Bahnhofs waren hunderte AntifaschistInnen versammelt und nach Abschluss des Nazianrückens begab sich der Pulk zu einer Spontandemo unbekannten Ziels auf den Weg. Dies zum Leidwesen der Personen, die explizit für diesen Ort einen Durchbruch auf die Strecke geplant hatten. Was allerdings aufgrund der verstärkten Polizeipräsenz an dieser Stelle auch nicht sehr Erfolg versprechend schien.

Ab diesem Zeitpunkt begann das übliche Jump and Run entlang der Route: Geländeerkundung, Durchbruchversuche, Rückzug, Neuformation, dies allerdings alles ohne erkennbare Struktur oder Führung. Sammelpunkt war letztlich der Campustower, der direkt an der Route lag. In Anbetracht uns bekannter bisheriger Polizeitaktik ein sehr ungewöhnliches Gebaren.

Fehlende Präsenz der organisierten Linken und Gewerkschaften

Die meisten der über 1.000 Antifas ließen durch Outings, Flugblätter oder andere Informationen keinerlei Rückschluss auf politische Organisation oder Hintergrund zu. Einzig Antifaflaggen, eine VVN-, eine MLPD-Flagge und Rebell waren sichtbar. Gewerkschaftliche Präsenz an dieser Stelle eine absolut komplette Fehlanzeige.

Leider gab es auch nur spärliche Informationen über Infotelefon und Twitter und es blieb lange unklar, wo Nazis auf der Strecke gerade feststecken und evtl. Blockaden sinnvoll erscheinen.

Informationen zufolge wurde ein erneuter Durchbruchsversuch in Höhe des Nordparks anvisiert. Der wurde dann auch mit massiver Polizeigewalt beantwortet. Szenen, die sich während dessen in einem Hinterhof des Campus abspielten: Zwei Männer wurden äußerst gewalttätig von Bullen abgeführt. Mehrere Cops drückten einen jüngeren Mann zu Boden. Obwohl dieser mehrmals eindeutig Aufgabe signalisierte und definitiv keine Gegenwehr leistete, wurde er mit dem Gesicht in Asphalt und Splitt gedrückt, mit seinem Kopf wurden daraufhin auf den Steinen mehrmals Drehbewegungen vollzogen, die zu erheblichen Hautabschürfungen und Verletzungen führten. Danach kniete ein Bulle mit dem Knie und voller Gewichtsverlagerung auf dem Kopf des Betroffenen, während ein anderer den Fuß des am Boden liegenden kolossal verdrehte. Der sich vor Schmerzen Krümmende bekam aufgrund dieser körperlichen Reaktion weitere Prügel. Umstehende Personen wurden brutal weggeschubst, schafften es aber, den Namen der Person an den EA zu übermitteln und die Geschehnisse teilweise zu filmen. Die Wirkung diese Szene stellte auch für Zuschauer eine „Neubewertung“ von Polizeiverhalten dar. Tenor: "Deutsche Bullen üben fleißig. für ein neues 33!"

Daraufhin versammelte sich das Gros der AntifaschistInnen wieder vor dem Campustower und der Nazizug näherte sich. Die Blockaden durch Menschen in KZ-Häftlingskleidung, die sehr eindrucksvolle Bilder lieferte, wurden geräumt und die Cops machten in bekannter Manier den Weg für die Nazis frei. Vor dem Campustower wurde die Bullenpräsenz nochmals verstärkt und auch zwischen den stehenden AntifaschistInnen gesellten sich behelmte BFEs, um jederzeit den Zugriff zu starten und das Gelände zu sondieren. Wasserwerfer, Räumfahrzeuge und mehrere Hundertschaften standen in Zielrichtung der Antifa bereit.

Auch eine kleine weitere Blockade gegenüber dem Tower verhinderte die anrückenden Nazis nicht. Und so wurden trotz der relativ unübersichtlichen Situation in unmittelbarer Nähe der versammelten AntifaschistInnen ca. 1.200 Nazis durch die Bullen recht locker begleitet und auf der dem Campus gegenüberliegenden Straßenseite vorbeigeführt. Die daraufhin fliegenden Steine, Böller und Rauchbomben wurden umgehend mit Eskalationsandrohung durch die Cops beantwortet. Und so zogen die Faschos vorbei, gaben ihrer vorgeblichen Trauer über das Magdeburger Bombardement Ausdruck - in Verleugnung jeglicher Verbindung der eigenen politischen Ausrichtung mit den Hintergründen von Faschismus, Krieg und Bomben.

Übergriff auf linkes Projekt

Im Anschluss gab es eine Spontandemo Richtung Bahnhof und einen Übergriff der Bullen auf ein linkes Projekt den Infoladen in der Puschkinstraße, der dann als Schlagzeile für die Massenmedien herhalten musste. Von einer angeblich geflogenen Betonplatten war die Rede und einem geschockten Bullen, der sich darauf hin den Krankenschein besorgt haben soll. Wir waren vor Ort und sahen lediglich ein paar Geschirrscherben und einige Ziegelbrösel auf dem Pflaster.

Die während der Aktionen gegen den Naziaufmarsch Festgenommenen, deren Zahl sich lt. unserer Info um die 15 bewegt, konnten gegen 21.00 die Gesa in der Sternstraße wieder verlassen. Sie mussten dafür jedoch eine Seite eines Schriftstücks unterzeichnen, dass ihnen das "freiwillige Verlassen ohne Vorführung vor den Haftrichter" ermöglicht. Was auch immer sich hinter diesem Schriftstück verbirgt und welche Seiten ggf. unterschlagen wurden: wir werden es bald wissen.

Fragen, die sich aufdrängen

Beim Rekapitulieren drängen sich Fragen auf, die die Bewertung des Tages abschließen soll.

Angereiste meist jüngere AntifaschistInnen beklagten unter anderem das Fehlen der "gewohnten" Infrastruktur. Von mangelnder üblicher Versorgung mit Informationen über Infotelefon oder Twitter bis hin zum Fehlen von Vokü oder Pennplätzen für Leute, die freiwillig oder zwangsweise Magdeburg nachts nicht mehr verlassen konnten. Gelobt wurde dagegen die Solidarität von Einzelpersonen, der schon fast wendländischer Charakter attestiert wurde.

Aber irgendwie merkwürdig, wenn bei einem Naziaufmarsch diesen Ausmaßes -1.200 sind nur mal rein rechnerisch so viele wie in Dortmund und Dresden 2011 zusammengezählt - die antifaschistischen Strukturen trotz des über die Jahre ständig anwachsenden Naziscums eher sehr bescheiden sind.

Wo ist der Aufschrei der „demokratischen Organisationen“, im Angesicht von Naziterror, Verwicklung und Verstrickung staatlicher Behörden?!

Wo sind die engagierten AntifaschistInnen? Warum schließen sich die politisch Verantwortlichen von der Linkspartei der "Meile der Demokratie" an und diskreditieren im Tenor mit den bürgerlichen Organisationen den antifaschistischen Protest? Wo blieb das Engagement der Gewerkschaften im Angesicht von 1.200 Nazis und im Hintergrund der terroristischen Morde, von Nazis mit Verfassungsschutz-Schutz.

Das, was da über Magdeburgs Straßen "trauerte", waren keine Nadelstreifenfaschisten im pseudodemokratischen Mäntelchen der NPD, zu deren Verbot die Linkspartei lauthals an die Adresse des ach so antifaschistischen Staates appelliert, während sie den braunen Abschaum durch die Städte ziehen lässt.

Politisch liegt in Magdeburg einiges im Argen. Anders als in Dresden zum Beispiel gibt es keine breite Übereinkunft, einen Naziaufmarsch zu blockieren, vielmehr wird zu einem Bekenntnis zur Demokratie auf einer „Meile der Demokratie“ aufgerufen. Vom Stadtverband „Die Linke“ über Gewerkschaften bis hin zum Oberbürgermeister unterstützen Kommunalpolitik wie auch das „Bündnis gegen Rechts“ nicht die Blockaden, sondern jene „Meile der Demokratie“, die fernab der Route für sich in Anspruch nimmt, die Innenstadt zu besetzen. Die Trennung in „demokratischen“ und linken Antifaschismus hat in Magdeburg Tradition und mündet darin, dass das „Bündnis gegen Rechts“ sich gegen „Linksextremisten“ wehrt und Aktionen, die nicht dem „Konsens“ entsprechen, weder fördert noch bewirbt.

Leserbrief schreiben   zur Startseite

Wöchentliche E-News
der Gruppe Arbeitermacht

:: Archiv ::