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Streiks in China

Fabrikkomitees aufbauen!

Peter Main, Infomail 595, 19. Dezember 2011

Eine Streikwelle rollt durch Chinas große Industriestädte wie Shansen und Dongwan in der Provinz Gwangdong, dem Kernland der chinesischen Exportindustrie. Am 17. November 2011 legten 7.000 ArbeiterInnen des Jue Tscheng-Werks, in dem Adidas- und Nike-Sportartikel gefertigt werden, die Arbeit nieder. Anlass sind die verheerenden Arbeitsbedingungen und die Weigerung der Bosse, Überstunden zu bezahlen. Nach einer Schlacht mit der Polizei kehrten sie zwar zur Arbeit zurück, streikten jedoch eine Woche später erneut. In der Folgewoche blockierten 1.000 Streikende bei Jingmo Electronics in Shansen einen Hauptverkehrsweg als Teil ihrer Kampagne gegen ausufernde Überstunden und Niedriglohn.

Die Restauration des Kapitalismus in China hat gewaltige gesellschaftliche Verwerfungen hervorgerufen. Hunderttausende von ‚Vorkommnissen’, an denen sich Massen von ArbeiterInnen beteiligen, werden jedes Jahr gemeldet. Die weithin bekannten Schlachten zwischen Polizei und EinwohnerInnen des „Dorfes“ Wukan, das ebenfalls in Gwangdong liegt, drehen sich um Amtsmissbrauch und Landraub. Sie scheinen einzigartig, sind aber nur die Spitze des Eisbergs. Solche Zusammenstöße sind durchaus an der Tagesordnung.

Die jüngsten Arbeiterstreiks sind allerdings besonders bemerkenswert, weil sie bedeutsame neue Vorgänge enthüllen.

Vertretung der ArbeiterInnen

Trotz Diktatur, Zensur und Unterdrückung lernen die ArbeiterInnen aus den vergangenen Kämpfen, entfalten neue Taktiken und organisieren sich unabhängig im Kampf für eigene Interessen. Aus den in zwei Jahrzehnten in die Großstädte jährlich zugewanderten 10 Millionen Bauern hat sich schnell eine Arbeiterbewegung formiert.

Ein Wendepunkt war der Honda-Streik in Foshan (Gwangdong) vor einem Jahr. Dort erkämpften streikende ArbeiterInnen erstmals das Recht, ihre eigenen VerhandlungsführerInnen zu wählen, statt wie bisher nur Vereinbarungen zwischen den offiziellen Gewerkschaften und Firmenmanagern abzunicken. In China sind die offiziellen Gewerkschaften durch die Verfassung verpflichtet, in Verbindung mit der Verwaltung zur Förderung und Aufrechterhaltung der Produktion beizutragen. Die Wahrung von Arbeiterinteressen ist dem untergeordnet.

Anders als der Streik bei Honda, bei dem es um Lohn- und Arbeitsverbesserungen ging, sind viele Aktionen im Wesen Verteidigungskämpfe als Antwort auf die Drohung von Entlassungen oder Verschlechterungen wie verlängerte Arbeitszeiten und Einschränkung von Pausen. Die Forderung nach unmittelbarer Wahl von eigenen Verhandlungsabordnungen findet nun mehr Zuspruch und ist ein klarer Beweis dafür, dass die Arbeiterschaft in verschiedenen Bereichen voneinander lernt.

Die Zusammenarbeit zwischen Belegschaften in verschiedenen Niederlassungen einer Mutterfirma hat begonnen. Das augenfälligste Beispiel dafür war der 14. November 2011, als die Beschäftigten der Pepsico-Flaschenabfüllwerke in 5 verschiedenen Städten gleichzeitig demonstrierten.

Eine zunehmend gemeinsame Forderung ist die Auszahlung aller Lohnrückstände bis zum chinesischen Neujahr Anfang Februar, weil dann die meisten ArbeiterInnen ihre Familien in der ursprünglichen Heimat besuchen. Wenn sie danach wieder zur Arbeit zurückkehren wollten, gab es oft keine Arbeit mehr, aber auch der ausstehende Lohn wurde ihnen nicht ausgezahlt.

Vergangenes Jahr, als der Welthandel sich zu erholen schien, konnten die ArbeiterInnen nur schwer Lohnerhöhungen durchdrücken, aber auch trotz der gegenwärtigen Abwärtsspirale der Exportindustrien werden ihnen diese wohl kaum ohne große Kämpfe gewährt werden.

Die Zukunftsängste der ArbeiterInnen sind mehr als berechtigt. Neben den Exporten, die vom Niedergang in Europa und den USA betroffen sind, hat sich auch die Produktion für den Binnenmarkt in den letzten Monaten verlangsamt. Nach neusten Schätzungen wird Chinas Wachstum beim Jahresschnitt von 9,1%  im November um 2,4% nachgeben. Die Industrieproduktion schrumpfte - erstmals seit fast 3 Jahren! Am Horizont braut sich zudem eine Finanzkrise durch Spekulation auf dem Immobilienmarkt und den Anleihen für Investitionsprojekte, die sich als unprofitabel erwiesen haben, zusammen.

Haltung zu den offiziellen Gewerkschaften

Das wachsende Selbstvertrauen und das gehobene Organisationsniveau in der Arbeiterbewegung ist auch der Regierung in Peking nicht verborgen geblieben. Die staatlich kontrollierten Gewerkschaften in der Allchinesischen Föderation der Gewerkschaften sind instruiert worden, dass sie sich beim Aushandeln von Vereinbarungen zu Gunsten der Arbeiterschaft stärker einbringen sollen. Sie haben sogar Delegationen nach Europa geschickt, um von ihren Bürokratenfreunden in den dortigen reformistischen Organisationen zu lernen, wie man mit Unternehmern verhandelt. Das ist eine völlig neue Erfahrung für die chinesischen Gewerkschaften, die im allgemeinen nur als Zweigstelle des Managements mit Verantwortung für Sozial- und Freizeitangelegenheiten der ArbeiterInnen fungieren, aber nicht als Vertreter der Arbeiterinteressen.

Wie soll sich die Arbeiterbewegung gegenüber den offiziellen Gewerkschaften verhalten, besonders wenn sie zu wirkungsvolleren Verhandlungen übergehen? Obwohl es vereinzelt Beispiele von AktivistInnen gibt, die neue Gewerkschaftsgremien gegründet haben, um mehr Gewicht zu haben und sich bürokratischer Kontrolle zu entziehen, liegen keine Berichte vor, wonach sich neue größere Gewerkschaften außerhalb des offiziellen Verbandes erfolgreich formiert hätten.

Angesichts der Kontrolle der Partei und der gesetzlichen Lage ist es eher unwahrscheinlich, dass solche neuen Gewerkschaften unmittelbar aus der gegenwärtigen Streikwelle erwachsen. Zugleich ist es aber völlig unmöglich, die bestehenden Gewerkschaften in wirksame Instrumente in den Händen der Arbeiterklasse umzuwandeln. Das wäre - wie alle demokratischen Reformen - eine unmittelbare Gefahr für die Herrschaft der chinesischen KP.

Möglich wäre es hingegen, das Prinzip der freien Wahl von VerhandlungsführerInnen auszudehnen und konsequent umzusetzen. RevolutionärInnen und ArbeiteraktivistInnen könnten in China die Errungenschaften nutzen und den Aufbau von gewählten Fabrikausschüssen als Dauereinrichtung fordern. Das wäre ein Schritt über die nicht fest verankerten Verhandlungskollektive hinaus. Dasselbe Prinzip von Wahl und Rechenschaftspflicht sollte für die Wahl von Streikausschüssen gelten. So könnten die ArbeiterInnen auf der elementarsten Ebene, den Fabriken, beginnen, Organisationen unter eigener Kontrolle aufzubauen, selbst wenn sie formal weiter unter dem Dach der offiziellen Gewerkschaften bleiben.

Solche Fabrikkomitees könnten auch Grundlage für breitere Arbeiterorganisationen sein. Mit ihrer Hilfe wären Verbindungen und Koordinationen nicht nur zwischen verschiedenen Fabriken derselben Firmen im gleichen Industriebereich aufbaubar, sondern auch in unterschiedlichen Industriezweigen, Städten und Regionen, ja sogar im ganzen Land.

An einem bestimmten Punkt wird es unvermeidlich sein, dass jene neue Arbeiterbewegung, die den Arbeitermassen unmittelbar verantwortlich ist und deren Augenblicks- und Zukunftsinteressen verteidigt, mit den Prioritäten der offiziellen Gewerkschaften und des Staats, der sie kontrolliert, zusammen stößt. In dieser Situation wäre es notwendig, jene ArbeiterInnen aufzurufen, die noch treu zu den offiziellen Gewerkschaften und deren Führern stehen, sich vom Staat loszusagen, der nunmehr der Staat des chinesischen Kapitals ist, und sich bewusst auf die Seite der eigenen Klasse zu stellen.

Doch es wäre verhängnisvoll, auf einen solchen Bruch zu warten. Im Gegenteil: die neuen Organisationen der ArbeiterInnen müssen sich darauf vorbereiten, als Opposition zu den bestehenden Gewerkschaften zu arbeiten, eine neue unabhängige Gewerkschaftsbewegung aufzubauen und deren Anerkennung zu fordern, wenn dies möglich und nötig wird.

Die nächste Phase in der Weltfinanzkrise wird die sozialen Spannungen noch erhöhen, die in China bereits unübersehbar geworden sind. Der noch im Aufstieg begriffene chinesische Kapitalismus wird diese Spannungen mit aller Härte unterdrücken wollen, um seine internationale Position nicht zu gefährden. Dies könnte durch direkte Repression geschehen wie nach dem Tienanmen-Massaker oder durch die Politik des „Teile und herrsche“ mit Zugeständnissen an die am besten organisierten oder strategisch wichtigsten Teile der Arbeiterschaft. Auf jeden Fall wird es das Ziel sein, eine geeinte Arbeiterbewegung von möglichen 450 Millionen Mitgliedern zu verhindern.

Diese Taktik hat sich im vergangenen Jahrhundert meist in den großen imperialistischen Staaten als erfolgreichste erwiesen. Die Entwicklung einer reformistischen Arbeiterbewegung, die auf einer besser bezahlten Arbeiteraristokratie fußt und von einer Schicht von Bürokraten kontrolliert wird, bewahrte die Stabilität im eigenen Land, während die imperialistischen Regierungen ihre Raubkriege führten. Spaltungen innerhalb der Arbeiterklasse zwischen ungelernten und Facharbeitern, männlichen und weiblichen Arbeitskräften, farbigen und weißen, bei denen Loyalität mit der eigenen Regierung an Fremdenfeindlichkeit gebunden war, sicherten die profitable Ausbeutung der Bevölkerungsmehrheit daheim und in fremden Ländern.

Das darf sich in China nicht wiederholen. Mit herkömmlichen Gewerkschaftsorganisationen wird sich das aber nicht vermeiden lassen. AktivistInnen und militante Elemente stehen vielmehr vor einer zentralen politischen Aufgabe: eine politische Partei zu schaffen! Sie kämpfen jetzt für Arbeiterinteressen und Arbeiterorganisationen und müssen für den Aufbau einer Partei gewonnen werden, die nicht nur die Interessen der chinesischen, sondern aller ArbeiterInnen und Unterdrückten auf der Welt wahrt, als chinesische Sektion einer neuen Fünften Internationale.

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