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Landtagswahl Baden-Württemberg

Zu den Wahlpositionen einiger linker Organisationen

Hannes Hohn, Infomail 549, 10. April 2011

In unserem Aufruf für die Landtagswahl in Baden-Württemberg riefen wir zur kritischen Wahlunterstützung der Linkspartei auf. Warum? Weil wir die LINKE (neben der SPD) als eine reformistische, bürgerliche Arbeiterpartei sehen - bürgerlich hinsichtlich ihrer sich stets im Rahmen des Kapitalismus bewegenden Politik, Arbeiterpartei aber deshalb, weil sie sich sozial v.a. auf die Arbeiterklasse und die Arbeiterbewegung (Gewerkschaften, Betriebsräte) stützt.

Im Unterschied zur SPD war und ist die LINKE aber deutlich stärker im sozialen Widerstand vertreten und hat derzeit auch stärkere Verbindungen zur politischen und klassenkämpferischen Vorhut der Arbeiterklasse. Insofern bindet sie auch stärker deren Illusionen, was sich u.a. auch in der überproportional hohen Stimmabgabe dieser Schichten (und auch der Arbeitslosen) für die LINKE ausdrückt.

Manche klassenbewusste ArbeiterInnen und Jugendliche werden sich allerdings fragen, ob es nicht besser wäre, eine „linkere“, „sozialistischere“ Partei zu wählen als die LINKE. Neben diesen - verständlichen und richtigen - programmatischen Vorbehalten gegen die LINKE erweist sich zudem auch ihre Realpolitik dort, wo sie (mit)regiert, als kaum oder gar nicht unterschieden von jener der SPD.

Auch wir sind uns bei unserer Wahlunterstützung für die LINKE dieser Probleme natürlich bewusst. Daher über wir neben dem Aufruf, die LINKE zu wählen, grundsätzlich scharfe Kritik an deren Programm und Politik. Daher verbinden wir den Wahlkampf auch stets damit, unser eigenes, antikapitalistisch-revolutionäres Programm als Alternative vorzuschlagen.

Gleichwohl wissen wir, dass es bei Wahlen wie überhaupt in der Politik nicht nur um Programmatik und schon gar nicht um Rechthaberei geht, sondern darum, die Aktion, den Widerstand, das Organisationsniveau der Klasse bzw. der Bewegung zu heben.

Dazu ist der gemeinsame Kampf auch mit reformistischen Kräften, die Anwendung der Taktik der Arbeitereinheitsfront notwendig. Dieser Kampf muss aber - ganz im Sinne der Einheitsfrontpolitik von Lenin und Trotzki - auch damit verbunden werden, die Politik und die Führung der reformistischen Organisationen zu attackieren und selbst alternative Vorschläge für den Klassenkampf zu machen. Die Reformisten müssen durch Aufforderungen, den Kampf gegen Sparpakete, Entlassungen oder S21 aktiv zu führen, vor den Augen ihrer Mitglieder, AnhängerInnen und WählerInnen getestet werden - um diese letztlich vom Reformismus loszubrechen.

Denn die AnhängerInnen dieser Parteien werden niemals nur durch Kritik und Aufklärung von diesen gebrochen werden können, sondern indem sie sich in der praktischen Erfahrung davon überzeugen, dass die Reformisten nicht nur nicht für die Revolution kämpfen, sondern selbst für ihre Reformversprechen nicht konsequent eintreten. Je stärker die reformistischen Massenparteien bei den Wahlen also werden, desto stärker der Druck, der auf sie ausgeübt werden kann, umso eher können sie praktisch überprüft oder gar zur Regierungsbildung gezwungen werden.

Aus diesem Grund lehnen wir auch die Unterstützung von Kandidaturen kleiner oder winziger linker Gruppierungen als „Alternative“ etwa zur LINKEN ab, selbst wenn diese ein - nach ihrem Verständnis - „revolutionäres“ Programm vertreten. Anders als die AnhängerInnen von Massenparteien wie DIE LINKE brauchen keine massenhaften Illusionen in solche Kleinstparteien zerstört zu werden – eine kritische Unterstützung diese Organisationen würde daher nur auf eine unkritische Unterstützung eines zwar vergleichsweise linken, keineswegs jedoch wirklich konsequenten Programms zu Verteidigung der Arbeiterinteressen hinauslaufen.

Soweit eine hier nur grobe Skizze unseres Herangehens (das wir woanders genauer und systematischer dargelegt haben, she. www.arbeitermacht.de).

Im Folgenden wollen wir nun die Wahlpositionen einiger Gruppierungen genauer betrachten.

1. Der Aufruf von GewerkschafterInnen: DIE LINKE in den Landtag von Baden-Württemberg!

Verschiedene Linke, linke GewerkschafterInnen und AktivistInnen unterstützten die LINKE in der Landtagswahl. Ihre Hauptforderungen waren die Abwahl von Schwarz/Gelb und ein „Politikwechsel“. In diesem Sinn werden eine Reihe von Forderungen / Zielen formuliert, die sich weitgehend auch im Wahlprogramm der Linkspartei, aber auch in sozialen Kämpfen wiederfinden und alles in allem unterstützenswert sind.

Diese Initiative zur Unterstützung der Wahl der LINKEN war grundsätzlich richtig - auch deshalb, weil sie sich wohltuend von der üblichen (scheinbaren!) Neutralität der Gewerkschaften bei Wahlen abhob, die real immer auf eine mehr oder weniger verdeckte Wahlunterstützung der SPD hinauslief.

Diese Wahlkampagne ist zudem ein klarer Beleg dafür, dass es tatsächlich eine engere Verbindung von aktiven und linkeren Kräften der Klasse bzw. der Gewerkschaften zur LINKEN gibt.

Doch die Kampagne offenbarte auch deutliche politische Schwächen. Diese zeigen sich u.a. darin, dass

# der reformistische Charakter der LINKEN, ihre Inkonsequenzen, ihr kapitalistisches „Co-Managment“ nicht kritisiert wurden;

# dass es keine konkreten Aussagen dazu gibt, wie der Widerstand vorangebracht, wie Kämpfe geführt und gewonnen, wie die eigenen Forderungen und Ziele durchgesetzt werden könnten.

So wurden die Illusionen in die LINKE unterstützt, anstatt sie zu zerbrechen. So wurden die WählerInnen nicht darauf vorbereitet, die LINKE auch nach der Wahl unter Druck zu setzen und im Klassenkampf nach vorn zu treiben.

V.a. fällt auf, dass die Initiative - immerhin eine gewerkschaftliche! - nichts dazu sagt, was die LINKE auf diesem Gebiet zu tun hätte; Forderungen, wie etwa die nach einer klaren Kritik der LINKEN an der Politik der Gewerkschaftsbürokratie, oder die Forderung, dass die LINKE den Aufbau einer klassenkämpferischen Basisbewegung in Betrieb und Gewerkschaft vorantreiben soll, fehlten leider.

2. Die Sozialistische Alternative Voran (SAV)

Die SAV, die sich selbst als trotzkistisch (Grant-Tradition, CWI) versteht, ist derzeit Teil der Linkspartei. Den Sinn oder Unsinn dieses Entrismus der SAV soll hier nicht behandelt werden. Klar ist jedoch: Wenn die Taktik des Eintritts in die LINKE richtig ist, dann war es auch korrekt, zur Wahl dieser Partei aufzurufen. Die Frage ist, wie die SAV dies tat.

Auf der Website der SAV schrieb dazu am 15.2. Alexander Brandner u.a.:

„Kanzlerin Merkel hat die Landtagswahl am 27. März zur Volksabstimmung über Stuttgart 21 erklärt. Eine herbe Niederlage für CDU, FDP und SPD würde die Position der S-21-Parteien in der Auseinandersetzung enorm schwächen. Eine neue Regierung jenseits von Schwarz-Gelb ist aber keine Garantie dafür, dass das Projekt einfach beendet wird. Schließlich ist auch nicht auszuschließen, dass die Grünen ihre Opposition gegen S 21 für ein paar Ministerposten verkaufen. Deshalb muss der Protest in jedem Fall weiter gestärkt werden.“

Dieser Einschätzung können wir zustimmen. Unter dem Motto „Druck aufbauen!“ macht die SAV auch Vorschläge, wie der Wahlkampf genutzt werden kann. 

„Wo Ministerpräsident Mappus auftaucht, um Wahlkampf zu machen, ist er mit S-21-Gegnern konfrontiert. Bis zur Landtagswahl sind in Stuttgart drei Großkundgebungen geplant (29. Januar, 19. Februar und 19. März) sowie landesweite Aktionstage am 5. Februar und 5. März. Eine Aufklärungsoffensive und weitere Großdemos sind absolut nötig beim Kampf gegen S 21.

Die direkte Behinderung der Bauarbeiten ist ebenfalls wichtig. Es bleibt eine zentrale Herausforderung, aus möglichst vielen DemonstrantInnen Blockierer zu machen und effektive Blockaden zu organisieren. 100 Blockierer sind noch eine überschaubare Zahl. Werden es 500, 1.000, 2.000 so bekommt die Polizei erhebliche Schwierigkeiten beim Wegtragen. Wackersdorf und Wyhl haben gezeigt, dass Großprojekte gegen den entschlossenen Widerstand der Bevölkerung vor Ort nicht durchgesetzt werden können.

Auch die beginnenden Tarifverhandlungen der Landesbeschäftigten müssen genutzt werden. Zum einen sollen Millionen Landesgelder vergraben werden, andererseits verlangt man von den Beschäftigten eine ‚maßvolle’ Lohnzurückhaltung. Sowohl die Gewerkschaften als auch die Bewegung gegen S 21 sollten deshalb gemeinsame Proteste organisieren, um die Durchsetzungskraft für beide Seiten zu erhöhen. Eine Streikversammlung am Bahnhof oder im Park, gemeinsam mit den S-21-Gegnern und anschließendem Demonstrationszug, könnte ein deutliches Zeichen setzen.“

Auch diese Orientierung ist allgemein korrekt.

Am 5.3. erläutert Wolfram Klein erneut die Wahlposition der SAV (she. SAV-homepage). Darin argumentiert er, warum die Grünen nicht gewählt werden sollten:

„Die Grünen sind machtgeil und bereit, auch mit Stefan Mappus und der CDU ins Regierungsbett zu steigen. In der Präambel ihres Wahlprogramms schreiben sie: ‚Es braucht in Baden-Württemberg endlich Grüne in Regierungsverantwortung. Wir halten nichts von spekulativen Koalitionsdebatten im Vorfeld der Wahl.’ Damit wollen die Grünen Schwarz-Grün nicht explizit ausschließen. Die politische Verantwortung von Mappus für den brutalen Polizeieinsatz am 30. September juckt sie offenbar wenig. Der wird in ihrem dicken Wahlprogramm jedenfalls kein einziges Mal erwähnt!“

Oder an anderer Stelle:

„Die Grünen ‚wollen eine Volksabstimmung über die Beteiligung des Landes an Stuttgart 21 einleiten’. Die WählerInnen sollen entscheiden, worüber sich die Koalitionspartner nicht einigen können. Aber über die Fragestellung, die Rahmenbedingungen eines Volksentscheids muss die Regierung trotzdem entscheiden – und wer abstimmen kann. Und wir müssen befürchten, dass die Grünen da so weit kapitulieren, dass ein Volksentscheid kaum gewinnbar sein wird.“

Unter www.sozialismus.info/z/2011-02-18-sav-stuttgart-linke-waehlen-kapitalismus-bekaempfen.pdf (folgende Zitate she. dort) findet man den eigentlichen Wahlaufruf der SAV. Trotz richtiger Positionen der SAV (she. oben) offenbart er aber auch zentrale Schwächen, die alle im zentristischen Charakter dieser Organisation insgesamt wurzeln.

Unsere Kritik betrifft u.a. folgende Punkte:

1. Die SAV lehnt jede Regierungsbeteiligung mit „etablierten Parteien“ ab. Diese Position reflektiert einerseits die ernüchternden Erfahrungen aus den bisherigen Regierungsbeteiligungen der LINKEN, andererseits schüttet sie das Kind mit dem Bade aus. Nicht nur, dass eine bürgerliche Partei, auch wenn es sich dabei um einer reformistische handelt, letztlich lächerlich (und unwählbar wird), wenn sie nicht auch regieren will. Die SAV versteht auch nicht, dass es gerade die Position des Regierens ist, welche Parteien zwingt, die „radikale“ Geste der Opposition durch das praktische Regierungshandeln zu ersetzen.

Gerade das kann massiv zur Zerstörung von Illusionen und damit Bindungen der Klasse an den Reformismus führen. Das beste Beispiel dafür war Schröders SPD-Bundesregierung, welche bei Millionen ArbeiterInnen zu Enttäuschung und Abwendung und bei einer Minderheit immerhin zur WASG führte. Eine „Regierungsabstinenz“ erschwert diese Dynamik.

Freilich ist es nicht egal, welcher Regierung die LINKE beitritt. Akzeptabel ist für uns nur eine Regierung aus, wenn auch bürgerlichen Arbeiterparteien, also eine LINKE/SPD-Regierung. Diese könnte u.U. auch eine Minderheitsregierung sein. In jedem Fall muss sich diese auf die Organisationen, die Mobilisierungen und die Kampforgane der Klasse stützen. So wäre könnte sie durch ihre Basis leichter gezwungen werden, Versprechungen auch gegen Kapital und bürgerlichen Staat durchzusetzen – vor allem würde diese so sehr viel leichter lernen, dass die reformistischen Führer selbst in günstigen Machtkonstellationen keine Konfrontation mit dem Klassengegner wollen. So wäre es jedenfalls auch der Basis dieser Parteien klarer als je zuvor, dass diese Parteie(n) zum Kampf für ihre Interessen untauglich sind.

Davor haben die Reformisten trotz all ihres Drangs zum Regieren auch tatsächlich Angst: daher auch ihr eifriges Suchen nach Mehrheiten und bürgerlichen Koalitionspartnern, auf die sie notfalls die Schuld für ihr Versagen schieben können. V.a. können sie damit auch von der Frage ablenken, worauf sich eine „linke“ Regierung stützen sollte: auf den bürgerlichen Staat oder aber auf die Arbeiterklasse und deren Mobilisierung.

Die SAV stellt die Regierungsfrage leider nicht so. Das hat zwei Gründe: Erstens sieht sie die SPD nicht als (bürgerliche) Arbeiterpartei - obwohl immer noch (zudem im Westen) mehr ArbeiterInnen SPD als LINKE wählen und die SPD auch immer noch stärker als die LINKE über die Gewerkschaftsapparate und die Betriebsräte das Gros der Klasse politisch dominiert, also mit ihr auch stärker strukturell verbunden ist.

So entgeht ihr auch der wesentliche Unterschied der Klassenbasis von SPD und Grünen.

2. So richtig die Orientierung der SAV darauf ist, dass die LINKE v.a. im außerparlamentarischen Kampf aktiv werden und die fatale Politik des DGB bekämpfen soll, so mangelhaft ist - schon traditionell - die Position der SAV in der Staatsfrage. Sie sagt richtig, dass eine „linke“ Regierung sich nicht auf den bürgerlichen Staat stützen kann, sondern auf Organe der Massen, z.B. „auf demokratische Selbstverwaltungsorgane, oder Räte“ (a.a.O. S. 5) Hier offenbart sich erneut die zentristische Schlagseite der SAV-Programmatik. Eine Arbeiterregierung kann sich nicht auf irgendwelche Organe „oder“ Räte stützen. Die Räte - neben den (wie immer bei der SAV an dieser Stelle fehlenden) Arbeitermilizen - sind die grundsätzliche Organisationsform der proletarischen Gegenmacht und eines zukünftigen proeltarischen Staates. Davon abgesehen fehlt bei der SAV jeder Hinweis darauf, dass der bürgerliche Staatsapparat zerschlagen werden muss. Es reicht eben nicht zu sagen, dass eine Arbeiterregierung sich nicht mehr auf den bürgerlichen Staat stützt, denn trotzdem ist er ja dann noch da - und wird sich nicht selbst abschaffen, wie es die SAV mit der marxistischen Staatstheorie macht. Bei der SAV lässt in dieser Frage nicht Marx sondern Kautsky grüßen!

3. Die SAV wendet sich in ihrem Wahlaufruf völlig richtig gegen die Vorstellung, die Wahl der LINKEN sei das kleinere Übel. Doch paradoxerweise läuft ihre ganze Vorstellung letztlich genau darauf hinaus. Das hängt damit zusammen, dass sie die LINKE nicht als eine bürgerliche Arbeiterpartei sieht, die sich nur graduell - nicht prinzipiell - von der SPD unterscheidet. Für die SAV ist die LINKE so etwas wie eine sozialistische Partei, die viele Fehler macht, eine schlechte Führung hat usw. Der grundsätzliche Klassencharakter, also die Frage, das Interesse welcher Klasse die LINKE letztendlich umsetzt, ist für die SAV aber offen. Daraus folgt für sie dann mit einer gewissen Logik, dass die LINKE durch Linke wie die SAV in die richtige Richtung geschoben und verändert werden könnte.

Diese „evolutionäre“ Dynamik ist jedoch reines Wunschdenken! Die LINKE betreibt klar reformistische, also bürgerliche, Politik. Der Apparat (Parteiführung, Parlamentsfraktionen, Hauptamtliche usw.) führt und kontrolliert die (insgesamt überalterte und wenig aktive) Gesamtpartei - fast nach Belieben. Weder kann von einer innerparteilichen Krise noch von einer ernsthaften Polarisierung oder gar Fraktionskämpfen, Flügelkämpfen (die Betonung liegt auf Kämpfen) gesprochen werden.

Die SAV benutzt ihre Wahlintervention zwar dazu, linkere, sozialistische Postionen zu verbreiten und die LINKE auch zu kritisieren, doch anstatt damit zugleich auch den Bruch der Massen mit der LINKEN zu befördern, befördert sie v.a. auch die Illusionen in sie.

3. Der Revolutionär-Sozialistische Bund (RSB)

Der RSB (trotzkistisch orientiert, Mandel-Tradition) kandidierte in Baden-Württemberg selbst. Das Programm des RSB für die Landtagswahlen in Baden-Württemberg vom 26.2. enthält 13 Vorschläge „für eine soziale und demokratische Wende“ und soll dazu beitragen, „die gemeinsame Außerparlamentarische Opposition gegen die neoliberale Offensive von Kabinett und Kapital zu entwickeln“.

Eine Wahl-Unterstützung der LINKEN wird abgelehnt, weil die LINKE, als „realpolitisches Ziel (...) die Teilhabe an der Verwaltung des Kapitalismus“ will und „eine Perspektive, die den Bruch mit dem Profitsystem anstrebt, (...) jedenfalls bisher nicht angeboten“ hat. Das stimmt zwar, beantwortet jedoch nicht die Frage, ob diese Partei (trotzdem) gewählt werden kann, denn schließlich geht es bei einer Wahl ja nicht nur - ja im Endeffekt sogar am wenigsten - um Programme. Vor allem aber beantwortet es überhaupt nicht die Frage, wie die WählerInnen und AnhängerInnen dieser Partei von der reformistischen Führung und Politik gebrochen werden können.

Auch die Frage der Realpolitik der LINKEN kann so nicht abgetan werden, denn viele Leute stellen sich ja die Frage, ob denn die LINKE aufgrund ihrer Verbindungen zur Arbeiterklasse (anders etwa als die Grünen) von dieser zu einer anderen oder zumindest besseren Politik (kleineres Übel) gezwungen werden könnte und von daher die Wahl der LINKEN durchaus sinnvoll wäre? Dazu sagt der RSB nichts.

Doch inwieweit geht der RSB in seinem Programm substantiell über das hinaus, was die LINKE zu sagen hat? Nur das könnte eine Eigenkandidatur des RSB rechtfertigen - denn dass der RSB ein relevanter Faktor im Klassenkampf in und um Stuttgart wäre, würde nicht mal der RSB selbst behaupten ...

Um es vorweg zu nehmen: die Forderungen des RSB sind alles in allem richtig und unterstützenswert. Es fragt sich allerdings, warum es dafür einer eigenen Kandidatur bedarf, denn es finden sich viele dieser u.ä. Forderungen auch im Programm der LINKEN. Um das eigene Programm zu präsentieren, ist sicher ein aktives Eingreifen in den Wahlkampf notwendig - eine Kandidatur ist deshalb noch lange nicht nötig und gerechtfertigt (zudem das Wahlprogramm ja auch nicht auf den Wahlschein passt).

Wir verzichten hier auf eine genauere Analyse der Forderungen, weil es zu weit führen würde. Jedoch sollen wenigstens zwei Fragen kurz betrachtet werden.

Der RSB fordert die Weiterführung von bedrohten Betrieben „unter gesellschaftlicher Kontrolle“. Das ist natürlich nicht dasselbe wie „Arbeiterkontrolle“ - jener Begriff, der hier hätte kommen müssen, wenn der RSB die „Tradition der IV. Internationale Trotzkis“, in der zu stehen er wähnt, ernst nehmen würde!

„In einer Reihe von Arbeitskämpfen wurden phantasievolle Aktionsformen entwickelt wie tagelange Betriebsversammlungen (Alstom Mannheim), Tor- und Betriebsbesetzungen (Freudenberg Weinheim und Bike Systems Nordhausen) oder Streikeinsatzkommandos (Unikliniken NRW). Solche Kampfformen gilt es aufzugreifen und zu verallgemeinern.

Praktisch alle wichtigen gesellschaftlichen und demokratischen Rechte wurden und werden durch Streiks (wie dem Kampf der LokführerInnen) und außerparlamentarische Bewegungen (wie die hartnäckigen und phantasievollen Proteste gegen Stuttgart 21) durchgesetzt oder vorbereitet. Diese Erkenntnis ist eine Voraussetzung für eine grundlegende Änderung der Kräfteverhältnisse im Interesse der arbeitenden Klasse durch einen politischen Generalstreik.“

Diese Passage zeigt Zweierlei: 1. sieht der RSB völlig richtig, dass die verschiedenen Ansätze und Spektren von Widerstand in einen Generalstreik münden müssen. Hier geht der RSB auch klar über die Programmatik der LINKEN hinaus. Doch fehlen seinem Programm klare Vorschläge, wie man zu dieser Zuspitzung des Klassenkampfes gelangen kann und welche Probleme/Widerstände dabei auftauchen (etwa die Gewerkschaftsbürokratie) und welche vermittelnden Taktiken oder Kampfschritte dazu nötig wären.

Der Hauptmangel des RSB-Programms aber besteht darin, dass alles - ja tatsächlich alles! - was mit einem Generalstreik verbunden sein bzw. aus ihm folgen müsste, um zu siegen, fehlt! Auf welche Organe stützt sich der Generalstreik (Räte, Milizen usw.)? Wie können diese Organe vernetzt und zu einer Doppelmacht auf nationaler Ebene verbunden werden (Arbeiterregierung)? Solche u.a. Fragen bleiben offen - entscheidende Fragen!

Gerade diese Elemente eines (Wahl)programms sind es nämlich, die ein revolutionäres Übergangsprogramm von anderen linken Programmen unterscheiden!! Der RSB fällt in dieser Frage noch weit hinter die SAV zurück - von Trotzki ganz zu schweigen!

Die Kandidatur des RSB erweist sich also in dem einzigen Punkt, wo er sich positiv von der LINKEN abheben könnte, als völlig unzureichend.

4. Die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD)

Die MLPD ist nach der DKP immerhin die zweitgrößte Partei links von der LINKEN. Sie steht in der Tradition des Stalinismus /Maoismus.

Verwunderlich ist zunächst, dass die MLPD in Baden-Württemberg nicht kandidiert, dafür aber in Sachsen-Anhalt antrat, wo sie sage und schreibe 925 Stimmen (0,2%) erhielt! Nicht dieses - durchaus erwartbare - Desaster, sondern die Tatsache, dort anzutreten, in Baden-Württemberg aber nicht, verwundert doch sehr. Welche Tsunamis an Klassenkampf müssen durch Sachsen-Anhalt geflutet sein, die höhere Wellen als die Massenbewegung gegen S21 in Stuttgart geschlagen und die MLPD dazu animiert haben, trotzdem in Stuttgart nicht anzutreten?!

Aber immerhin beglückt uns die MLPD mit einigen Aussagen zum Wahlkampf im Ländle.

„Als scheinbare Alternative zur Mappus-Regierung wollen Grüne und SPD die entstandene Protest-Bewegung auf die Mühlen ihrer Wahl am 27. März lenken.“

Richtig! Doch was ist angesichts dessen zu tun?

„Wachsamkeit ist das Gebot der Stunde!“ Wer hätte das gedacht?! Offenbar meint die MLPD damit, dass den Versprechen von SPD und Grünen nicht getraut werden darf. Doch wie kann das umgesetzt werden? Wie können die S21-Bewegung und die Arbeiterklasse sicherstellen, dieses berechtigte Mißtrauen in konkrete Politik, in Kontrollen, Selbstorganisation, Forderungen etc. umgesetzt werden, so dass „ihre“ Parteien nicht S21 durch die Hintertür doch noch umsetzen? Keine Antwort!

Auch zu der nicht ganz unwichtigen Frage, ob die LINKE gewählt werden sollte oder was diese von anderen unterscheidet, findet man bei der MLPD keine Aussage.

Aber die MLPD gibt uns immerhin noch eine Wahlempfehlung:

„Wer seinen Protest am 27. März mit dem Stimmzettel zum Ausdruck bringen will, dem empfehlen wir die kritische Unterstützung bestimmter fortschrittlicher Wahlkreiskandidaten der Linkspartei, der ÖDP oder der Piratenpartei, wenn sie für den gemeinsamen Kampf eintreten und keine antikommunistische Hetze betreiben.

Ansonsten rufen wir zum aktiven Wahlboykott auf, dh bewusstes Ungültigmachen des Stimmzettels. Vorwärts mit der Arbeiteroffensive - für den echten Sozialismus!“

Interessant ist dabei Folgendes: 1. Für die MLPD geht es bei dieser Wahl offenbar nur darum, „seinen Protest auszudrücken“. Welche Regierungskonstellation sich daraus ergeben könnte oder für die Arbeiterklasse evtl. besser wäre oder ob das alles ganz egal ist, ficht die MLPD nicht an. 2. bleibt offen, was eine „kritische“ Wahlunterstützung beim individuellen Ankreuzen sein soll? Ein Kreuz mit rotem Stift? Ein halbes Kreuz? Klar ist doch, dass eine kritische Wahlunterstützung eine Taktik ist, die von Organisationen, nicht jedoch einfach so nur von Individuen angewendet werden kann. Aber in Deutschland wird so oft gewählt, dass die selbsternannte marxistisch-leninistische Vorhut der Arbeiterklasse immer noch lernen kann, was eine Taktik ist. 3. Was oder wer sind „bestimmte fortschrittliche Kandidaten“? Immerhin können sie lt. MLPD „der LINKEN, der ÖDP oder der Piratenpartei“ angehören. Warum nicht etwa der SPD oder den Grünen?! Der MLPD ist es dabei auch schnurz, das es sich dabei um ganz unterschiedliche Parteien handelt: die LINKE ist eine Arbeiterorganisation, ÖDP und Piratenpartei sind kleinbürgerliche Gruppierungen. Hier ist die Klassenfrage der „Klassenpartei MLPD“ scheinbar nicht so wichtig. Die Piraten mögen in einigen Fragen ja noch als „links“ erscheinen, aber die ÖDP gilt gemeinhin zu recht als rechte Variante der Grünen. Dass beide in den S21-Protesten oder sonstwo im Klassenkampf (die Piraten immerhin noch in der Frage der „IT-Demokratie“) kaum eine Rolle und schon gar keine sozialistisch-antikapitalistische spielten, ist der MLPD auch egal. Hauptsache, sie treten „für Kampf“ ein - was immer das genau heißen soll, denn im Prinzip kämpft ja jede Partei für etwas. Hauptsache, sie äußern sich nicht „antikommunistisch“. Da kann man sich sogar ziemlich sicher sein, dass sie das nicht tun, denn Kommunismus interessiert Piraten und ÖDP schlichtweg nicht. 4. Ruft die MLPD „ansonsten“ (???) für aktiven Wahlboykott auf. Ja, was denn nun: Boykott oder den Lieblingskandidaten der ÖDP wählen?!?!

Wie auch immer - Hauptsache es geht weiter mit der „Arbeiteroffensive - für den echten Sozialismus!“. Wenn jemand diese Offensive sieht, bitte bei der MLPD Bescheid sagen!

Liebe GenossInnen der MLPD! Vielen Dank für Euren politisch tiefschürfenden, überaus instruktiven und den Klassenkampf mindestens revolutionierenden Beitrag zur Wahl in Baden-Württemberg! Er ist wieder ein großer Schritt zum echten Sozialismus - auch wenn einige Leute meinen, er ist nur echter Mist! Lasst Euch nicht beirren und wählt Meier oder Müller von der ÖDP, weil sie für Öko sind und nicht auf den Sozialismus schimpfen!

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