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Nahost

Die Revolutionswelle hat Syrien erreicht

Simon Hardy, Infomail 547, 31. März 2011

Gerade, als die Woge der demokratischen Revolutionen im Nahen Osten und Nordafrika gestoppt  zu werden droht, als Gaddafi seine Gegenoffensive eröffnet hat und der Imperialismus die libysche Revolution vereinnahmen will, nachdem die demokratischen Bestrebungen in den Demonstrationen gegen das Regime in Saudi-Arabien gewaltsam erstickt worden sind, gerade jetzt brechen in Syrien Massenproteste aus.

Wie Ägypten ist auch Syrien seit den 60er Jahren ein Einparteienstaat. Seine Bevölkerung leidet unter dem seit 48 Jahren währenden Ausnahmezustand. Die Bedingungen für den Widerstand in Syrien sind ähnlich denen in Ägypten, Tunesien oder Libyen. In Syrien existieren religiöse Spaltungen zwischen den drei sich auf den Islam berufenden Strömungen, den Sunniten, Schiiten und Alawiten.

Die Ba’ath-Partei regiert seit 1963 als einzige Partei das Land. Sie hat einige begrenzte Wirtschaftsreformen auf den Weg gebracht, zugleich aber mit eiserner Faust durchregiert. Unter Baschar al-Assad haben Klientelpolitik und Günstlingswirtschaft regierungstreuen Gruppen Vorteile verschafft, während andere wie schon unter Assads Vater von Wohlstand und Posten ausgeschlossen wurden. Die soziale Basis des Regimes liegt bei den sunnitischen Kaufleuten in den größeren Städten wie Damaskus und bei der Minderheit der Alawiten.

Die Bewegung gegen die Regierung begann im Januar, als Hassan-Ali-Hakleh sich selbst verbrannte, wie Mohammed Bouasisi in Tunis einen Monat zuvor. Dies führte jedoch nicht unmittelbar zu großen Protesten. Einige kleinere Demonstrationen wurden an verschiedenen Orten des Landes organisiert, aber schnell von Sicherheitskräften unterdrückt. Am 5. Februar 2011, dem geplanten „Tag des Zorns“, wagten sich nur wenige Hundert auf die Straße; auch hier schritt die Polizei brutal ein. Assad wähnte sich schon in Sicherheit, denn außer ein paar kleinen Gruppen von Unzufriedenen schien sein Staat immun gegen die Protestwelle in anderen arabischen Ländern.

Aber die Funken glommen schon. Ein Protest in Damaskus gegen die Misshandlung eines Händlers durch die Polizei eskalierte zu einer ernsten Auseinandersetzung. Ein Protest vor der libyschen Botschaft gegen Gaddafi wurde von der Polizei mit Festnahmen und Prügeln beendet. Diese Ereignisse haben offenbar die Entschlossenheit des Widerstands gestärkt. Die Polizeiprügelei richtete sich nicht gegen bekannte politische AktivistInnen, sondern gegen normale Leute und DemonstrantInnen, die lediglich ihre Solidarität mit dem libyschen Volk zum Ausdruck bringen wollten.

Die brodelnde Unruhe und der wachsende Zorn entluden sich zu einer sozialen Bewegung, die am 6.3.11 schon so stark war, dass sie die Regierung hätte stürzen können. Einige SchülerInnen schrieben „Das Volk will das Regime stürzen“ an die Häuserwände der südsyrischen Stadt Daraa, eine Losung, die praktisch zum Motto der arabischen Revolutionen geworden ist. Ihre Festnahme empörte die Bevölkerung und sie forderten die Freilassung der SchülerInnen. Der Protest wendete sich unmittelbar gegen die ganze Regierung und rief nach mehr demokratischen Rechten und der Aufhebung des Ausnahmezustands.

Das Regime verfolgt eine Doppelstrategie. Zum einen hat es die Proteste für legitim erklärt und  sogar anerkannt, dass Reformen eingeführt werden müssten. Assad tut so, als ob er willens wäre, auf die Bevölkerung zu hören. Andererseits erschießen seine Sicherheitskräfte Menschen auf offener Straße.

Die Regierungssprecher haben vor laufenden Kameras erklärt, das Problem seien nicht die Proteste, sondern die Einschleusung von Ausländern, die Unruhe schüren würden. Die Regierung behauptet, die Polizei wäre aus der Menge beschossen worden. Aber jeder, der die Kämpfe beobachten konnte, weiß, dass dies Lügen sind, dieselben Lügen, die z. B. die britische Regierung gebrauchte, als deren Soldaten am blutigen Sonntag 1971 irische BürgerrechtlerInnen ermordeten. Das Märchen von ‚auswärtigen Agitatoren‘ wird von Herrschern immer gern erzählt. Auch im Westen werden Proteste angeblich von ‚Krawallmachern‘ unterwandert. Das sind nur Versuche, den Massencharakter der  Erhebungen zu leugnen und zu leugnen, dass sich immer mehr Menschen gegen das herrschende Regime wenden.

Al-Assad hat nun dasselbe Problem wie zuvor Mubarak und Ben Ali. Die Bewegung ist zu groß geworden, zu viele Menschen sind mobilisiert worden. Es wäre zwar noch möglich, sie niederzuwerfen, aber um den Preis von Tausenden von Toten. Etwa 130 wurden bereits getötet, wesentlich mehr Menschen sind verhaftet oder verschleppt worden. Aber das hat die Bevölkerung nur noch weiter gegen die Machthaber aufgebracht. Etwa 20.000 haben der polizeilichen Einschüchterung getrotzt und ihre Solidarität aus Anlass der Beisetzung von Opfern einer Demonstration gezeigt.

Der Widerstand ist radikaler geworden. In den Städten Latakia und Tafas wurden Polizeistationen und Gebäude der regierenden Ba’ath-Partei in Brand gesteckt. Die Proteste sind jetzt auch organisierter.

Trotz  Unterschieden in Einzelheiten und Umständen besteht eine Gesetzmäßigkeit, mit der sich solche massenhaften Revolutionen entfalten. Der politische Kampf in Syrien läuft nach dem gleichen Muster wie in Tunesien oder Ägypten ab. Zunächst herrscht Unterdrückung, wenn aber die Massen ihre Furcht ablegen, wachsen die Proteste. Die Regierungen versuchen, den Protesten mit Reformgeschwafel zu begegnen, das aber ermutigt die Massen bis zum Punkt, an dem wirkliche Zugeständnisse gemacht werden müssen. Dorthin bewegt sich Syrien nun - Al-Assad hat politische Freiheiten versprochen, einschließlich des Rechts auf Gründung von politischen Parteien.

Die SyrerInnen stehen nun vor der gleichen Aufgabe wie die Massenbewegungen in Tunesien und Ägypten, die ihre Regierungen schon gestürzt haben. Sie können eine neue zivile Gesellschaft schaffen und demokratische Rechte beanspruchen, aber sie müssen revolutionäre Methoden anwenden, um dies zu erreichen. Sie müssen auch von den Schwierigkeiten in Tunesien und Ägypten lernen. Der Sturz des Präsidenten kann trotzdem das alte Regime intakt lassen. Die Regierungspartei und deren Repressionsorgane, konsequenterweise der gesamte Staatsapparat muss zerschlagen werden. Das heißt, der Kampf für eine Verfassunggebende Versammlung in Syrien, die die von der Bevölkerung gewünschten demokratischen Reformen durchführt, muss aber auf revolutionären Kampfausschüssen fußen, um einen neuen Staat von unten her aufzubauen, einen, der von den ArbeiterInnen und BäuerInnen in Syrien getragen und beherrscht wird.

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