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Programm-Entwurf der Linkspartei

Tapezieren im Reformhaus

Hannes Hohn, Infomail 485, 13. Mai 2010

Nachdem die Fusion von PDS und WASG nur auf Basis „programmatischer Eckpunkte“ stattfand, legte der Vorstand der Linkspartei nun den Entwurf eines neuen Parteiprogramms vor (http://die-linke.de/programm/programmentwurf/ ; alle Zitate aus diesem Text), der auf dem Rostocker Parteitag im Mai beschlossen werden soll.

Diese Verzögerung ist kein Zufall, sondern verbreitete Praxis bei der Formierung reformistischer oder zentristischer Organisationen. Strategie, Taktik und die politische Methode der Partei bleiben im Ungefähren. So entziehen sie sich der Überprüfung anhand der Praxis. Kurswechsel und Manöver der Führung bzw. des Apparats sind so besser möglich, ohne mit dem Programm zu kollidieren oder Debatten zu provozieren. Die Verortung der eigenen Politik innerhalb eines historischen Zusammenhangs und innerhalb der Traditionen und Erfahrungen der Arbeiterbewegung wird „umgangen“. Das DIE LINKE nun ein „richtiges“ Programm erhalten soll, ist insofern zu begrüßen - soweit damit eine wirkliche Diskussion verbunden ist.

Insgesamt ist der Entwurf gegenüber den „Programmatischen Eckpunkten“ tatsächlich in mancher Hinsicht linker. Auch  gegenüber den früheren Programmen der PDS ist es kritischer gegenüber dem Kapitalismus und seiner Wirtschaftsordnung. Das ist jedoch v.a. der größeren Krisenhaftigkeit des Systems geschuldet, die mit dem Ausbruch der Finanzkrise weltweit deutlich wurde.

Die Programm-Debatte muss vor dem Hintergrund der tiefen Wirtschaftskrise und der daraus folgenden forcierten Angriffe auf die Massen gesehen werden. Wir wollen deshalb in diesem Artikel v.a. auch fragen, wie das Programm die Krise einschätzt, welche Vorschläge es zum Vorantreiben von Widerstand macht und welche historische Perspektive es weist.

Historische Standortbestimmung

Der Programmentwurf versucht (v.a. in den ersten beiden Abschnitten), eine historische Einordnung der LINKEN vorzunehmen. Als allgemeines Ziel wird formuliert:

„Wir wollen eine Gesellschaft des demokratischen Sozialismus aufbauen, in der die Freiheit und Gleichheit jeder und jedes Einzelnen zur Bedingung der solidarischen Entwicklung Aller wird.“

Dieser Anklang an Marx ist allerdings auch schon fast alles, was mit dessen Vorstellung von Sozialismus/Kommunismus und dem Weg dahin zu tun hat. Anstatt einer Revolution als Grundbedingung der Entwicklung gen Kommunismus sieht der Programmentwurf einen

„längere(n) emanzipatorische(n) Prozess (vor), in dem die Vorherrschaft des Kapitals durch demokratische, soziale und ökologische Kräfte überwunden wird und die Gesellschaft des demokratischen Sozialismus entsteht.“

Von der Notwendigkeit der Zerschlagung des bürgerlichen Staates und dessen Ersetzung durch die Räte-Herrschaft der Arbeiterklasse ist dabei ebensowenig die Rede wie von der Enteignung der Bourgeoisie als Klasse und die Einführung einer demokratischen Planwirtschaft.

Methodisch nimmt der Programm-Entwurf eine etwas andere Akzentuierung als in den früheren Programmen der PDS vor. Waren diese reine Minimal-Maximal-Programme, bei denen Tagesfragen mit der Frage des Sozialismus völlig unverbunden waren, so versucht der jetzige Programm-Entwurf auf seine Art, einen Zusammenhang herzustellen - durch ein Konzept permanenter Reformen.

Dieses Linkspartei-Modell permanenter Reformen, die schließlich zu einer neuen Gesellschaftsqualität führen sollen, blendet aber nicht nur zentrale theoretisch-methodische Fragen aus, es abstrahiert auch vollkommen von historischen Erfahrungen. Das beginnt damit, dass die simple Tatsache, dass es noch nie gelungen ist, durch Reformen den Kapitalismus zu überwinden, nicht gesehen wird. Das geht damit weiter, dass eine Reihe von Möglichkeiten im 20. Jahrhundert, den Kapitalismus zu stürzen, nicht erwähnt oder falsch interpretiert werden.

„Nach dem Krieg wurden unter dem Einfluss der Siegermächte USA und Sowjetunion in Westeuropa bürgerliche Demokratien mit kapitalistischer Wirtschaftsordnung und in Mittel- und Osteuropa Staaten mit sozialistischem Anspruch aufgebaut. (...) In Westdeutschland blieben, wie in anderen Ländern Westeuropas, sozialistische Neuordnungsbestrebungen nach dem Krieg erfolglos.“

Warum wurden z.B. in Frankreich und Italien 1944/45 - nachdem die Faschisten vertrieben, die einheimischen Staatsapparate stark geschwächt, die Arbeiterklasse tw. bewaffnet war und es Elemente von Doppelmacht gab - also revolutionäre oder mindestens vor-revolutionäre Situationen gegeben waren - bürgerliche Demokratien aufgebaut, statt den Kapitalismus zu stürzen? Darauf gibt das Programm keine Antwort. Dabei wäre sie sehr einfach. Die moskautreuen KPen hatten eine rein bürgerlich-demokratische Orientierung. Von „sozialistischen Neuordnungsbestrebungen“ kann also keine Rede sein - es sei denn bei der IV. Internationale. Doch dieses Thema ist in der LINKEN seit je ein Tabu.

Auch die kampflose (!) Niederlage der deutschen Arbeiterbewegung gegen den Faschismus wird verklärt:

„Der Widerstand von Kommunistinnen und Kommunisten, von Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, von Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern und anderen gegen die nun einsetzende nationalsozialistische Barbarei war letztlich erfolglos.“

Warum war er erfolglos? Lag es nur (wie später im Text suggeriert wird) an der Spaltung der Arbeiterbewegung? Die Autoren des Programmentwurfs scheuen sich auch hier, die falsche Politik von SPD und KPD als Hauptursachen des Desasters zu benennen.

Diese Geschichtsklitterung wird noch durch offensichtliche Lügen wie die folgende ergänzt:

„Die Kommunistische Partei war in der 1949 gegründeten Bundesrepublik Deutschland schwach ...“.

Tatsächlich war die KPD schon Ende 1945 wieder eine Massenpartei (1945 hatte sie 75.000 Mitglieder in den Westzonen, 1948 schon rund 300.000 - etwa das Doppelte gegenüber 1933). In einigen wichtigen Industriezentren vertrat sie sogar die Mehrheit des Proletariats. Ihre schnelle Erosion ist zwar auch der Repression und dem Anti-Kommunismus geschuldet, mindestens genauso aber der stalinistischen Politik, die auch sie vertrat. Sie orientierte nicht auf ein sozialistische Umwälzung und die Machtergreifung des Proletariats, sondern auf die Errichtung eines demokratischen, antifaschistischen, gleichwohl aber kapitalistischen Deutschlands, das als Bufferstaat zwischen dem Westen und UdSSR fungieren sollte. Das bedeute, dass sich die KPD in der unmittelbaren Nachkriegsphase gegen die eine soziale Umwälzung stellte (teilweise deutlicher und expliziter als die SPD) und auch die Politik der Besatzungsmächte, die sich ihrerseits gegen jede selbstständige Regierung des Proletariats richteten, verteidigte.

Angesichts dessen erweist sich die selbstbewusste Behauptung des LINKEN-Programms,

„der unwiderrufliche Bruch mit dem Stalinismus“ gehöre „zum Gründungskonsens der PDS“

wie ihrer Nachfolgerin der LINKEN als komplette Selbsttäuschung. Wie das gesamte Programm zeigt, werden wesentliche strategische Elemente des Stalinismus wie die Volksfrontstrategie, die Ablehnung der Räte-Demokratie und andere Elemente selbstbestimmter Organisation der Arbeiterklasse und der strategische Kompromiss mit dem Imperialismus („friedliche Koexistenz“ als Strategie anstelle der Förderung der Weltrevolution) in ihrem konterrevolutionären Wesen nicht verstanden und tw. unverändert weitergeführt, z.B. bei der volksfrontartigen Bündnispolitik, die immer auch auf den Einschluss bürgerlicher Kräfte setzt.

Dass es hierbei um eine grundsätzliche Orientierung, eine Strategie geht, beweisen auch Passagen wie z.B. folgende:

„Willy Brandt knüpfte mit seiner Friedens- und Entspannungspolitik bewusst an das Gründungsverständnis der Sozialdemokratie an, dass Humanität und Krieg einander ausschließen und mehr Demokratie der Weg gesellschaftlicher Veränderung sein solle.“

Dass Brandts „Wandel durch Annäherung“ eine Politik war, die dezidiert auf die Unterhöhlung und schließliche Zerstörung der nichtkapitalistischen Staaten des Ostblocks zielte, wissen bürgerliche Politiker genau - nur die Führung der LINKEN ist offenbar ganz ahnungslos.

Was sie auch nicht weiß (oder nicht wissen will) ist, die Tatsache, dass das „Gründungsverständnis“ der Sozialdemokratie durchaus recht anders aussah, als es die LINKEN-VorständlerInnen hier darstellen. Auch wenn die frühe SPD und die II. Internationale noch nicht auf der Höhe der revolutionären Programmatik späterer Jahre (etwa der frühen III. oder der IV. Internationale) waren oder sein konnten, so ist es einfach nur albern, Bebel und GenossInnen auf eine Stufe mit Brandt zu stellen.

Entscheidend ist dabei aber auch, dass der historische Verrat der Sozialdemokratie 1914 für DIE LINKE offenkundig keinen qualitativen Bruchpunkt in der Geschichte diese Partei darstellt – nämlich ihr vollständiges und unwiederbringliches Übertreten in das Lager des Reformismus und Sozial-Chauvinismus. Seit 1914 ist die SPD der Klassencharakter der SPD klar bürgerlich. Sie steht fest auf dem Boden der Verteidigung der kapitalistischen Eigentumsordnung trotz ihres Festhaltens an einem sozialistischen „Endziel“, das jedoch für die real Politik der Partei keine praktische Bedeutung, sieht man davon ab, dass sich so die eigenen AnhängerInnen und die Arbeiterklasse insgesamt leichter über die Niederungen der sozialdemokratischen Zugeständnisse an die Kapitalisten hinwegtrösten lassen. Was an der SPD gegenüber anderen bürgerlichen Parteien besonders bleibt, ist der Umstand, dass sie historisch und sozial aus der Arbeiterbewegung stammt und sich auf die Arbeiterklasse stützt, dass sie eine bürgerliche Arbeiterpartei ist. Noch heute dominiert die SPD trotz ihres Niedergang in den Gewerkschaften, in der Arbeiterklasse und es bracht daher besondere Taktiken – einschließlich Forderungen an die sozialdemokratischen Führungen in der Partei und ihn den Gewerkschaften -, um die Lohnabhängigen von der SPD zu brechen.

Die behauptete Kontinuität der SPD seit ihrer Gründung bis in die 70er Jahre und darüber hinaus dient aber bei der Linkspartei nur dazu, die historische Spaltung zwischen Sozialdemokratie und Kommunismus zu negieren. Das ist vom Standpunkt der reformistischen Politik der Linkspartei verständlich und auch folgerichtig, denn sei will vom unversöhnlichen Gegensatz von reformistischer, also bürgerlicher Arbeiterpolitik und kommunistischer Politik nichts wissen.

Programmatische Methode

Beim Programmentwurf fällt allgemein auf, dass er zwar viele Forderungen hat, dass aber vollkommen unklar ist, welchen Stellenwert sie für die Praxis und die Strategie der Partei haben. Dieses Manko ist jedoch durchaus typisch für reformistische Organisationen. Schließlich will die Parteiführung nicht gern an den eigenen Versprechungen gemessen werden. Sie will freie Hand haben und sich nicht mit Forderungen ihrer Mitglieder und AnhängerInnen konfrontiert sehen, welche die Erfüllung der Versprechen einfordern und Rechenschaft verlangen könnten. Das trifft umso mehr zu, wenn die LINKE in Koalitionsverhandlungen geht oder sich an Regierungen beteiligt. Für solche Fälle sind allgemeine soziale Formeln der Bürokratie angenehmer, weil sie immer in die eine oder andere Richtung ausgelegt werden können.

Ganz konkret kommt diese Haltung in der Frage der Beteiligung an bürgerlichen Regierungen zum Ausdruck. Die Regierungsbeteiligungen der LINKEN bzw. der PDS haben immer gezeigt, dass sie letztlich nicht zu „sozialerer“ Politik führen, sondern nur Verwaltung des Kapitalismus und seiner Krise unter linkem Logo sind. Diese Tatsachen führten zu massiver Kritik an der LINKEN, bescherten ihr tw. dramatische Verluste bei Wahlen, z.B. in Berlin, und stießen viele AktivistInnen ab.

Wer nun im Programmentwurf eine klare Position zur Regierungsfrage erwartet hatte, sieht sich jedoch enttäuscht. Was wir finden, ist lediglich eine Kompromissformel, die - wie schon bisher - „linken“ Regierungsprojekten keine Steine in den Weg legt. Statt einer klaren Absage an jede Beteiligung an einer - bürgerlichen! - Regierung“ sieht das Programm auch weiterhin eine solche vor, wenn es sich um eine Regierung handelt, die keinen Sozialabbau usw. betreibt. In der Praxis bedeutet diese Formel, dass die eigene Sozialabbau-Politik dann damit begründet wird, dass es ja ohne die LINKE noch viel schlimmer gekommen wäre. Trotz der „linken“ Formulierung öffnet also auch das neue Programm jeder Regierungsbeteiligung Tür und Tor.

Die Beteiligung an bürgerlichen Regierungen ist allerdings durchaus Ausdruck der reformistischen Gesamtstrategie der LINKEN. Da sie die Revolution, den Klassenkampf bis hin zum Sturz des Kapitalismus und zur Machtergreifung der Arbeiterklasse ablehnt, bleibt ihr auch nichts weiter übrig, als die Institutionen und Mechanismen der bürgerlichen Gesellschaft zu nutzen, um gesellschaftliche Veränderungen zu erreichen.

Insgesamt offenbart der Entwurf ein Programmverständnis, das methodisch im Reformismus und Stalinismus wurzelt. Es ist vom Programm-Typ ein Minimal-Maximal-Programm, d.h. der Sozialismus als „historisches Endziel“ steht - trotz der scheinbaren Verbindung durch einen  längeren „transformatorischen Prozess“ - unverbunden neben (oft durchaus richtigen) Alltagsforderungen. Die Kämpfe um höhere Löhne, gegen Sozialabbau, Hartz IV usw. sind aber nicht mit dem Kampf um den Sozialismus verwoben. Der Sozialismus ist als Losung im Grunde hier nichts anderes als das Amen in der Sonntagspredigt.

Der zentrale Mangel des hier vorgeschlagenen Programms besteht also darin, dass es kein Programm von Übergangsforderungen ist. Ein solches „Übergangs-Programm“ würde die Alltagskämpfe mit der Perspektive der Machtergreifung der Arbeiterklasse verbinden. Diese Verbindung käme allerdings nicht etwa dadurch zustande, dass Forderungen wie „Gegen Entlassungen! Für Verstaatlichung!“ usw. einfach mit der Losung „Für Sozialismus!“ ergänzt werden. Die Verbindung käme z.B. dadurch zustande, dass die Selbstorganisation der Klasse gefördert wird, dass die Klasse sich eigene Machtpositionen und -organe im Betrieb, im Stadtteil und letztlich in der Gesellschaft erkämpft. Solche Forderungen sind z.B. jene nach Arbeiterkontrolle über Produktion, Verteilung, Verstaatlichung, Sicherheitsstandards usw.; es sind Forderungen nach Streikkomitees, die von der Basis direkt gewählt und ihr verantwortlich sind; es sind Forderungen zur Schaffung von Streikposten, Arbeitermilizen, Preiskontrollkomitees usw. bis hin zu Räten und einer Arbeiterregierung, die sich auf die Mobilisierungen und Kampforgane der Klasse stützt.

Diese - und nur diese - Übergangsmethodik würde programmatisch das repräsentieren, was Marx über den Sozialismus sagte: dass er die „wirkliche Bewegung“ ist und nicht etwa nur eine „Vision“ oder „Utopie“, wie es DIE LINKE gern formuliert. Diese Elemente fehlen im Programmentwurf völlig. Konkret bedeutet das aber, dass die Arbeiterklasse in ihrem Kampf über das, was sie als Führungen und Strukturen vorfindet, nie hinaus kommt; es bedeutet, dass das Proletariat völlig den reformistischen Parteien, den Gewerkschaftsapparaten, den Betriebsräten, dem Parlamentarismus ausgeliefert bleibt.

Das Fehlen von Übergangsforderungen bedeutet, dass die Klasse sich in ihrem Kampf bürgerlichen Strukturen und Ideen unterordnet. Gemäß den „ProgrammiererInnen“ der LINKEN soll also die gesellschaftliche Dynamik zur Überwindung des Kapitalismus in den Bahnen der alten Gesellschaft, also zu den Bedingungen der Bourgeoisie erfolgen. Daran ändern auch ein paar Volksentscheide oder ein bisschen mehr „Mitbestimmung“ nichts.

Methodisch wurzelt all das letztlich in einer undialektischen Sichtweise von Geschichte und Klassenkampf. Das Prinzip des Minimal-Maximal-Programmes entspricht der Vorstellung von gesonderten, nicht miteinander verbundenen Etappen der Revolution bzw. des historischen Prozesses allgemein. Wie im Stalinismus, der die Revolution auf die demokratische Phase, beschränkte, geht es auch der LINKEN um begrenzte Reformen. Dass selbst diese objektiv oft eine Dynamik Richtung Sozialismus haben, dass selbst die Umsetzung grundlegender bürgerlich-demokratischer Aufgaben im imperialistischen Zeitalter nur durch das Proletariat bzw. unter dessen Führung errungen und durch den Sturz der Bourgeoisie gesichert werden können, bleibt der LINKEN ein Buch mit sieben Siegeln.

Die mechanische Vorstellung separater Entwicklungsetappen steht Trotzkis Theorie der Permanenten Revolution konträr gegenüber. Trotzkis Ideen bewahrheiteten sich positiv in der Russischen Revolution und negativ - indem die Stalinisten jede revolutionäre Möglichkeit in das Prokrustesbett ihres Etappen-Modells zwängten und so die Weiterführung der Revolution verhinderten.

Das marxistische Programm-Verständnis geht vom aktuellen Stand des (internationalen) Klassenkampfes aus und unterbreitet Vorschläge, wie der Klassenkampf - wie also Aktion, Bewusstsein und Organisierung - voran gebracht werden kann. Das impliziert auch, konkret zu benennen, welche Kampfformen, welche Konzepte, welche Organisationen und Führungen den Kampf behindern, schwächen oder falsch orientieren und wie die Klasse den Einfluss dieser Faktoren überwinden kann.

Nicht so das Programm der LINKEN! Hier wird die zentrale Frage, warum der Widerstand gegen die Auswirkungen der Krise hierzulande bisher so schwach war, erst gar nicht gestellt. Die Führungen der Gewerkschaften haben fast nichts getan, um effektiven Kampf gegen die Krise zu organisieren. Im Gegenteil: Die Spitzen von DGB, IGM oder ver.di haben das Krisen-Management, d.h. die Abwälzung der Kosten auf die Massen, unterstützt.

Die LINKE schweigt nicht nur dazu, sie hat auch keinen einzigen Vorschlag, wie die Gewerkschaften dazu gebracht werden könnten, den Kampf zu organisieren. Diese komplette Kritiklosigkeit gegenüber der Gewerkschafts-Bürokratie ist ein grundlegender Mangel des Programm-Entwurfs und offenbart zugleich, dass dieses Programm als Orientierung im Kampf ungeeignet ist. Selbst viele Forderungen, die in die richtige Richtung weisen, nützen im Endeffekt wenig, wenn kein Weg gezeigt wird, wie diese Ziele auch zu erreichen sind.

Ein Hauptproblem der LINKEN (und davor schon der PDS) ist die Orientierung auf Wahlen und den bürgerlichen Parlamentarismus. Was sagt das neue Programm dazu? Nichts! Kein Wort dazu, wie DIE LINKE den außerparlamentarischen Kampf auf den Strassen oder gar im Betrieb beleben will. Doch nicht nur das. Der Programmentwurf macht auch ganz klar, dass selbst eine zukünftige, „sozialistische“ Gesellschaft grundsätzlich ein parlamentarische wäre - „aufgepeppt“ mit mehr betrieblicher Mitbestimmung und Volksbegehren.

Damit verbleibt DIE LINKE vollständig im Rahmen sozialdemokratischer Vorstellungen (und tw. der stalinistischen Volksfrontstrategie). Auch einem Rätesystem wird so indirekt eine komplette Absage erteilt. Zwar beruft man sich bisweilen gern auch mal auf Marx, doch von dessen Staatstheorie, die gerade davon ausging, dass der bürgerliche Staatsapparat zerbrochen und durch einen proletarischen räteartigen Halbstaat nach dem Modell der Pariser Kommune ersetzt werden muss, will man nichts wissen. Nicht nur der Marxismus auf theoretisch-programmatischer Ebene, sondern auch der reale Klassenkampf - und nicht zuletzt das Scheitern des Stalinismus - haben aber gezeigt, dass ein der Form nach bürgerlicher Staatsapparat absolut ungeeignet dazu ist, sozialistischen Zwecken zu dienen. Auch an diesem Widerspruch ist das stalinistische System gescheitert.

Im 3. Abschnitt des Programms wird versucht, die Kardinalfrage jedes Programms - die Frage von Revolution oder Reform - zu beantworten. Dort heißt es:

„DIE LINKE kämpft in einem großen transformatorischen Prozess gesellschaftlicher Umgestaltung für den demokratischen Sozialismus des 21. Jahrhunderts. Dieser Prozess wird von vielen kleinen und großen Reformschritten, von Brüchen und Umwälzungen mit revolutionärer Tiefe gekennzeichnet sein.“

Diese unklare Formulierung verschleiert im Kern nur, dass die Linkspartei eine Revolution nicht für relevant hält. Ihre Konzeption - und das wird an vielen anderen Formulierungen sehr deutlich - geht im Grunde davon aus, dass verschiedene Reformen in einem längeren historischen Prozess letztlich einen qualitativ anderen Gesellschaftszustand herbeiführen. Wenn das ginge, wäre das großartig - nur es geht eben nicht. So bleibt das Programm auch jeden Verweis darauf, wo sich ein solcher Effekt von Reformpolitik schon einmal eingestellt hätte, schuldig. Während DIE LINKE sozusagen die Revolution für ein „Nebenprodukt“ von Reformen hält, besagt die historische Erfahrung, dass es eher andersherum war. Gerade im Gefolge von Revolutionen - erfolgreichen wie die russische von 1917 und oft selbst nach gescheiterten wie der deutschen von 1918 - war die Bourgeoisie in vielen Ländern gezwungen, der Arbeiterbewegung soziale und politische Zugeständnisse zu machen.

Das im Programm-Entwurf dargelegte Konzept entspricht durchaus dem schon seit Jahren wiederholt in der LINKEN vertretenen „Hegemonie-Konzept“. Dieses sieht die graduelle Verschiebung der öffentlichen Meinung nach links vor, bis die „neoliberale Dominanz“ gebrochen wäre. Davon abgesehen, dass der Neoliberalismus (v.a. neben dem Keynesianismus) nur eine Spielart bürgerlicher Ideologie und kapitalistischen Krisenmanagements ist, übersieht die Hegemonie-Vorstellung (wie auch das ganze vorliegende Programm), dass es im Klassenkampf wie im Klassenverhältnis - und auch in der Ideologie keine kontinuierliche Entwicklung, keinen ungebrochenen Trend geben kann. Das ist allein schon aufgrund der zyklischen Schwankungen der kapitalistischen Wirtschaft und der Krisen des Kapitalismus unmöglich.

Zudem ist das Hegemonie-Konzept ein idealistisches Konstrukt, indem es die Erringung der Vorherrschaft auf ideellem Gebiet vom realen Klassenkampf und der Dynamik der materiellen Verhältnisse abkoppelt. Dadurch, dass DIE LINKE nicht die Zuspitzung des Klassenkampfs und das Offenbarwerden des Klassenantagonismus als Grundlagen der Umwälzung auch des Bewusstseins des Proletariats als wesentlich annimmt, soll ihrer Meinung nach „nur“ oder vor allem der Ideenkampf die Ideen ändern.

Antworten auf die Wirtschaftskrise

Die Einschätzung der Dimension der weltweiten Wirtschaftskrise im Programmentwurf hebt sich positiv von den Analysen etwa der GRÜNEN oder von attac ab, welche die Krise v.a. auf Probleme im Finanzsektor zurückführen. Der Programm-Entwurf der LINKEN stellt fest:

„Der neoliberale Kapitalismus führt dazu, dass sich über einer stagnierenden Realwirtschaft eine gewaltige Finanzblase aus Geldvermögen und Schulden aufbläht. Steigende Gewinne und die Umverteilung der Einkommen zugunsten von Kapitalbesitzern und Besserverdienenden bewirken einen riesigen Überschuss an weltweit anlagesuchendem Kapital.“

Und weiter:

„Die tiefe Weltwirtschaftskrise, die im Jahr 2008 begann, ist die Krise einer Wirtschaftsordnung, die allein für den Profit produziert und für die Bedarf nur dann existiert, wenn er sich als zahlungskräftige Nachfrage geltend macht. Eine Konjunkturkrise, eine Strukturkrise und die Krise der internationalen Finanzmärkte haben sich zur schwersten kapitalistischen Weltwirtschaftskrise seit 1929 zugespitzt. Mit dieser Krise ist ein globales Modell an seine Grenzen gelangt, das die Entwicklung des Kapitalismus in den vergangenen drei Jahrzehnten geprägt und getragen hatte.“

Allerdings verweisen diese Passagen auch auf die verkürzte Annahme, dass nur der Neoliberalismus „an seine Grenzen gelangt“ sei. Im Abschnitt „Die Weltwirtschaftskrise am Beginn des 21. Jahrhunderts“ wird dieser Gedanke noch vertieft:

„Die neoliberale Politik hat durch Deregulierung, Liberalisierung und Privatisierung die Wurzeln für die gegenwärtige Krise gelegt.“

Das Programm stellt nicht die Frage, warum sich riesige Kapitalmengen im spekulativen Finanzsektor aufhäuften. Zwar wird von einer Strukturkrise gesprochen - doch was genau ist damit gemeint? Offensichtlich nicht die ökonomischen Grundstrukturen des Kapitalismus.

Tatsächlich wurzelt die jetzige Krise nicht im Neoliberalismus, der im Zuge der Globalisierung allerdings bestimmte Tendenzen noch verstärkt und beschleunigt hat. Die Krise wurzelt in den schon seit den 1970ern aufgestauten und ungelösten Verwertungsproblemen des Kapitals. Fallende Profitraten, infolge dessen stärkere Rationalisierungen, die wiederum zur immer stärkeren Ersetzung lebendiger Arbeit durch Maschinerie führten, und also immer größere Überkapazitäten schufen, prägten die ökonomische Entwicklung der letzten Jahrzehnte.

In der Krise ist insofern nicht (nur) der Neoliberalismus, sondern der Kapitalismus insgesamt. Dieses Fazit enthält das Programm jedoch nicht. Insofern verwundert es nicht, dass alle politischen Schlussfolgerungen darauf hinauslaufen, den Leib des Kapitalismus vom „Geschwür“ des Neoliberalismus zu befreien, um dem kapitalistischen Organismus zu neuer Vitalität zu verhelfen. Dieses Ansinnen ist mit der Vorstellung verbunden, die wuchernde Finanzbranche zu stutzen und die „gesunde“ und „produktive“ Realwirtschaft zu stärken. Für DIE LINKE bedeutet das konkret, die großen exportorientierten Kapitale zu stutzen - zugunsten der binnenmarktorientierten kleinen und mittleren Unternehmen, d.h. zum Vorteil der weniger entwickelten, unproduktiveren Kapitale.

Dieses Konzept ist mit diversen politischen und ökonomischen Maßnahmen verbunden, durch welche DIE LINKE erreichen will, eine Umverteilung von oben nach unten zu fördern, soziale Systeme und Errungenschaften zu sichern sowie die demokratischen Einflussmöglichkeiten der Bevölkerung und der Beschäftigten zu stärken. Wir wollen hier nicht näher auf diese verschiedenen Vorschläge eingehen. Sie sind im Grunde auch nicht neu.

Methodisch ist allen diesen Maßnahmen gemein, dass sie a) die ökonomischen Grundlagen und Funktionsweisen des Kapitalismus (Privateigentum, Konkurrenz, Gewinnstreben, Warenproduktion, Lohnarbeit) nicht angreifen und b) die bürgerlichen politischen Herrschaftsstrukturen (Parlamentarismus, Staatsapparat) nicht infrage stellen, sondern nur modifizieren wollen. Die Grundfrage, welche Klasse herrscht, wirft das Programm überhaupt nicht auf - allenfalls in der Weise, dass die Dominanz der neoliberalen Abzocker und shareholder gebrochen werden soll. Alle anderen Kapitalisten, die „nur“ ganz „normal“ Profit machen wollen (und müssen!), können weiter mit der Ausbeutung von Lohnarbeit fortfahren - wenn sie dabei nur nicht „über die Stränge schlagen“.

Wirtschaftspolitik

In einem Punkt lehnen sich die Programm-AutorInnen im Abschnitt IV etwas weiter aus dem Fenster - und sind hier durchaus linker als früher:

„Die privaten Banken sind für den Spekulationsrausch der vergangenen Jahre und die entstandenen Milliardenverluste wesentlich verantwortlich. Private Banken müssen deshalb verstaatlicht, demokratischer Kontrolle unterworfen und auf das Gemeinwohl verpflichtet werden. Durch strikte Regulierung ist zu gewährleisten, dass der Bankensektor in Zukunft wieder seinen öffentlichen Auftrag erfüllt: die zinsgünstige Finanzierung wirtschaftlich sinnvoller Investitionen insbesondere auch kleiner und mittlerer Unternehmen, die Abwicklung des Zahlungsverkehrs und Bereitstellung eines kostenlosen Girokontos für jedermann, sichere Anlage privater Ersparnisse.“

Grundsätzlich ist der Forderung nach Verstaatlichung der Banken natürlich zuzustimmen. Doch die Kontrolle darüber ist dabei eine zentrale Frage. Was bedeutet „demokratische Kontrolle“ - Kontrolle durch das Parlament, durch Wirtschaftsvertreter, durch die Gewerkschaftsbürokratie? Offenbar glaubt man, dass eine Kontrolle durch einen solchen Filz von „Spezialisten“ und Bürokraten, die meist selbst als Anteilsinhaber ein Interesse an hoher Profitabilität der Banken und Fonds haben, unabhängig, objektiv und effizient wäre.

Doch „Kontrollinstanzen“ solcherart gab und gibt es bereits zuhauf: Bankenaufsicht, Aufsichtsräte, die Bundesbank, Kartellämter, Steuerbehörden usw. usf. Bekanntlich haben sie die Krise weder geahnt noch verhindert.

Eine effektive Kontrolle wäre nur möglich, wenn sie durch Organe der Arbeiterklasse, die direkt von der Basis bestimmt und kontrolliert würden, erfolgte. Gerade das ist im Programm jedoch nicht vorgesehen.

Das im Programmentwurf vorgeschlagene Banken-Konzept offenbart aber noch einen anderen, wesentlichen Fehler, der auch allen anderen wirtschaftspolitischen Ideen anhängt. DIE LINKE stellt sich die Wirtschaft als eine Art Mechanismus vor, den man durch verschiedene politische Maßnahmen nach und nach verändern und verbessern kann. Diese Ansicht übersieht zwei wesentliche Dinge: Erstens ist die kapitalistische Wirtschaft nicht einfach eine bestimmte Struktur, eine Art Mechanik, sondern ein Herrschaftsverhältnis, ein Klassenverhältnis. Jede Änderung in der Struktur der Wirtschaft verändert natürlich auch dieses Klassenverhältnis. Oder andersherum: Veränderungen im Wirtschaftsorganismus sind ohne den Kampf zwischen Kapital und Arbeit nicht möglich.

Die Krise bzw. die „Anti-Krisen-Maßnahmen“ der Regierungen zeigen überdeutlich, dass der Staat nicht die Verantwortlichen für die Krise, also die Bourgeoisie, ja noch nicht einmal die größten Abzocker, die Finanzwelt, zur Rechenschaft zieht. Im Gegenteil: Die Kosten werden den Massen aufgehalst, das Finanzkapital wurde für seine Verluste entschädigt - ohne enteignet zu werden - und seine Stellung gegenüber dem industriellen Kapital und dem Staat ist stärker denn je. Diese Reaktion des Staates zeigt auch die reale und berechtigte Angst von Wirtschaft und Politik, dass der Zusammenbruch des Finanzsektors einen Erdrutsch auslösen könnte - und würde! - der die gesamte Wirtschaft mit sich reißt und die Grundfesten des kapitalistischen Systems erschüttert.

D.h., dass jede wirkliche Veränderung/Verbesserung nur auf Kosten des Profitmachens der Bourgeoisie möglich ist. Daher müssen die Kapitalisten und ihr Staat solchen Versuchen massiven Widerstand entgegen setzen.

Die Vorstellung der LINKEN, durch Gesetze, Reformen, mehr Demokratie usw. - also durch das Bewegen vieler Stellschräubchen und Hebelchen - die Mega-Maschine Kapitalismus grundsätzlich zu ändern und dazu zu bringen, Profit zu machen und gleichzeitig das Wohlergehen der Menschheit zu sichern, ist nichts als eine reine Wunschvorstellung. Ohne die Verfügungsgewalt des Kapitals zu brechen, es also zu enteignen, ist eine andere Wirtschaft undenkbar. Ohne den Sturz der Bourgeoisie und die Zerschlagung ihres Staatsapparates, ohne die Machtergreifung der Arbeiterklasse sind auch die grundlegenden Ziele der Linkspartei nicht erreichbar.

Die hier dargelegten ökonomischen Reform-Vorstellungen der LINKEN sind auch deshalb illusorisch, weil sie verkennen, dass auch die kapitalistische Ökonomie innere Gesetzmäßigkeiten hat, die man nicht einfach modifizieren oder partiell außer Kraft setzen kann.

Ein Beispiel: Wenn eine (verstaatlichte) Bank „demokratischer Kontrolle unterworfen und auf das Gemeinwohl verpflichtet“ ist, wenn sie „strikt reguliert“ ist, um u.a. „die zinsgünstige Finanzierung wirtschaftlich sinnvoller Investitionen“ zu gewährleisten, dann heißt das natürlich auch, dass diese Bank nicht zugleich im spekulativen Bereich, wo es meist höhere Renditen gibt, aktiv sein kann und soll. Die Folge wäre, dass diese Bank gegenüber anderen (ausländischen) Banken wirtschaftlich ins Hintertreffen geraten würde. Über kurz oder lang wäre sie nicht konkurrenzfähig. Letztere könnten u.U. billigere Kredite anbieten, um die verstaatlichte Konkurrenz zu ruinieren.

Um diesem Problem zu entgehen, wäre es entweder notwendig, den Kapitalismus weltweit zu stürzen oder wenigstens - vorübergehend - ein staatliches Außenhandelsmonopol zu errichten, um die Konkurrenz des Weltmarktes auszuschließen bzw. deren Wirkungen zu begrenzen. Doch diese Probleme stehen nicht auf der programmatischen Agenda der LINKEN. Schon daran zeigt sich, dass ihre Wirtschaftreformen v.a. national gedacht sind. Stalins Theorie vom „Sozialismus in einem Land“ lässt grüßen!

Ein weiterer zentraler methodischer Fehler des Programmentwurfs besteht darin, nicht zu verstehen, dass die Zurückdrängung des kapitalistischen Wertgesetzes nur möglich ist, wenn ein anderer Mechanismus an dessen Stelle tritt: die gesellschaftliche Planung. Dieser Begriff taucht im Programm jedoch gar nicht auf. Stattdessen wird eine „gemischte“ Wirtschaft als Ziel postuliert - nicht nur im Kapitalismus, sondern auch für eine nachkapitalistische Gesellschaft.

Im Abschnitt „Eigentumsfrage und Wirtschaftsdemokratie“ wird gesagt:

„Eine entscheidende Frage gesellschaftlicher Veränderung ist und bleibt die Eigentumsfrage.“

Gleich danach folgt die Präzisierung, welche Eigentumsstruktur der LINKEN vorschwebt: ein Nebeneinander von „staatliche(n) und kommunale(n), gesellschaftliche(n) und private(n), genossenschaftliche(n) und andere(n) Formen des Eigentums.“

Für MarxistInnen ist es selbstverständlich, dass nach der revolutionären Überwindung des Kapitalismus eine dem Sozialismus/Kommunismus vorgelagerte Übergangsperiode (Diktatur des Proletariats) folgt. Diese Übergangsgesellschaft ist vom widersprüchlichen Nebeneinander nachkapitalistischer Strukturen (z.B. Planung, gesellschaftliches Eigentum) und Resten des Kapitalismus (Traditionen, Lebensweise, Reste von Privateigentum, Einfluss des noch bestehenden kapitalistischen Weltsystems) gekennzeichnet.

Die Entwicklung der Übergangsgesellschaft gen Kommunismus hängt wesentlich davon ab, ob a) der Prozess der Weltrevolution weitergetrieben werden kann und b) die innere Entwicklung dadurch gekennzeichnet ist, dass die nichtkapitalistischen Elemente sich gegen die alten Strukturen immer weiter durchsetzen. Während a) für die LINKE als Problem offenbar nicht existiert, gibt sie bei b) eine klar unmarxistische Antwort. Für sie ist eine gemischte Wirtschaft auch für den Sozialismus prägend. D.h. ihr Sozialismusmodell stützt sich auf eine ökonomische Basis, die aus antagonistischen Elementen besteht: Plan vs. Markt, Privateigentum vs. gesellschaftliches, Warenproduktion vs. Gebrauchswertproduktion.

Bezüglich der Stellung der Beschäftigten schlägt das Programm vor:

„Die Beschäftigten müssen realen Einfluss auf die betrieblichen Entscheidungen bekommen. Wir setzen uns dafür ein, dass Belegschaften ohne Lohnverzicht an dem von ihnen erarbeiteten Betriebsvermögen beteiligt werden. In wichtigen Fragen, etwa wenn Massenentlassungen oder Betriebsschließungen geplant sind, muss es Belegschaftsabstimmungen geben.“

Wohlgemerkt: Das Programm skizziert hier eine Zukunftsperspektive und meint nicht nur Reformen innerhalb des Kapitalismus!

Da wird sich die Arbeiterklasse aber freuen, wenn sie künftig Anteile an einem Betrieb haben können, der demnächst womöglich über die marktwirtschaftliche Wupper geht. Doch auch für diesen Fall hat das Programm eine beruhigende Antwort parat: Die ArbeiterInnen können darüber abstimmen, wer zuerst entlassen wird!

Imperialismus

In einer Frage durften wir auf das neue Programm der LINKEN besonders gespannt sein - in der Frage Israel und des antiimperialistischen Kampfes. Immerhin gibt es innerhalb der LINKEN zwischen eher „traditionellen“ Anti-ImperialistInnen und pro-israelischen Antideutschen (BAK Shalom) einen offenen Widerspruch.

Daneben sorgte vor einigen Monaten auch Gregor Gysi für Zündstoff, als er in einer Grundsatzrede einen Kniefall vor der „deutschen Staatsräson“ zelebrierte, das Existenzrecht Israels - also eines Staates, der seit Jahrzehnten in der Region als Kettenhund des Imperialismus agiert und dessen Gründung, Existenz und Politik sich auf der Unterdrückung und Vertreibung der PalästinenserInnen gründet - verteidigte und jeder Form von bewaffnetem Widerstand gegen den Imperialismus eine klare Absage erteilte.

Was sagt das Programm dazu? Nichts! Kein Wort zur Frage Israel, kein Wort zur Frage des Widerstands gegen den Imperialismus! Doch keine Antwort sagt in diesem Fall mehr als tausend Worte! Die einzigen „konkreten“ Vorschläge dazu kommen aus der alten Mottenkiste des Reformismus: Abrüstung, Entwicklungshilfe, Verbot von Angriffskriegen usw. Doch wie, bitte schön, soll das ohne Klassenkampf und letztlich ohne Sturz des Kapitalismus möglich sein?!

Beim alten Universal-Slogan, dass die UNO als Konfliktlöser wirken solle, befällt sie immerhin ein gewisser Zweifel, der sich in der Forderung, dass die UNO demokratisiert werden müsse, ausdrückt. Dass die UNO natürlich auch nach einer „Demokratisierung“ ein Organ kapitalistischer Staaten ist und zudem unter der Dominanz des Imperialismus bliebe, ficht die Friedensengel der LINKEN nicht an.

Die ganze Widersprüchlichkeit und Realitätsfremdheit des Programms kommt am krassesten in den Passagen zur EU zum Ausdruck. Einmal heißt es da zur EU, dass

„deren Gründung einst dazu beigetragen hatte, den Frieden in Europa zu sichern (...)“.

Kurz danach stellt dasselbe Programm  aber fest:

„Auch die EU versucht zunehmend aggressiv, in der weltweiten Auseinandersetzung um Macht, Einfluss und natürliche Ressourcen ihre Stellung auszubauen.“

Und weiter:

„Die EU, deren große friedenspolitische Leistung darin besteht, dass in der Europäischen Union seit mehr als einem halben Jahrhundert kein Krieg mehr geführt wurde, beteiligt sich außerhalb ihres Territoriums immer öfter an Kriegen.“

Das ist doch beruhigend, dass die EU bereits für Frieden in Europa sorgte, als sie noch gar nicht gegründet war!

Diese Aussagen werfen zumindest eine Frage auf: Wann, wie und warum ereignete sich die erstaunliche Metamorphose der EU von einer pazifistischen Friedenstaube zu einem imperialen Aasgeier?

Auch zum Weltimperialismus hat das Programm Bedeutsames mitzuteilen:

„Ein neuer Imperialismus in einem entdemokratisierten Raum entsteht. Mächtige Fraktionen der Machteliten der Vereinigten Staaten haben deren globale Vorherrschaft zum Ziel. Auch die EU versucht zunehmend aggressiv, in der weltweiten Auseinandersetzung um Macht, Einfluss und natürliche Ressourcen ihre Stellung auszubauen. Kriege, einschließlich präventiver Angriffskriege, gelten führenden Kräften der USA, der NATO und der EU wieder als taugliche Mittel der Politik.“

Wir fragen uns: Was ist der „neue Imperialismus“, der „entsteht“? Wodurch unterscheidet er sich vom „alten“? Stimmt Lenins Imperialismustheorie - oder ist sie überholt? Was ist ein „entdemokratisierter Raum“? Herrschen in den imperialistischen Ländern heute etwa Militärdiktaturen oder gar der Faschismus? Wer sind die „mächtigen Fraktionen“ und „Machteliten“? Könnte es sich bei ihnen eventuell um die Bourgeoisie handeln? Warum gelten Kriege „wieder als taugliche Mittel der Politik“? War es schon einmal anders?

Fragen über Fragen, auf die das Programm keine Antworten gibt. Hier gilt offenbar das Motto: Wenn wir schon nicht für Klarheit sorgen können, wollen wir wenigstens Verwirrung stiften.

Gemeinsam für einen Politikwechsel und eine bessere Gesellschaft

So ist Abschnitt V des Programmentwurfs überschrieben. Es ist kein Zufall, dass hier nur vom Wechsel der Politik die Rede ist und nicht etwa von Klassenkampf. Unter Politik versteht DIE LINKE auch gemäß dem neuen Programm v.a. die Ausnutzung der Spielräume bürgerlicher Demokratie und ein „linkes“ Krisenmanagement in Form der Beteiligung an bürgerlichen Regierungen. Mobilisierungen dienen eher Wahlkampfzwecken und als politisches Druckmittel, nicht jedoch dazu, eine gesellschaftliche Kraft  aufzubauen, die im Alltag des Klassenkampfes eigene Kampf- und Machtorgane aufbaut und eine über den Kapitalismus hinausgehende Dynamik erhält.

Diese reformistische Orientierung soll an zwei Beispielen verdeutlicht werden. Beispiel Afghanistan-Krieg: Die Linksfraktion im Bundestag protestierte geschlossen und medienwirksam gegen den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr und wurde deshalb des Saales verwiesen. Eine richtige und entschlossene Aktion! Doch als in derselben Woche in Berlin eine bundesweite Protestaktion zum gleichen Thema stattfand, kamen nur einige dutzend Linkspartei-GenossInnen dorthin. Diese fatale Mobilisierungsschwäche wird in der Partei jedoch kaum diskutiert und auch das Programm enthält keinen Vorschlag, wie das Problem behoben werden könnte.

Beispiel politischer Streik. Der Programmentwurf fordert richtigerweise die Legalisierung politischer Streiks bzw. Generalstreiks. Doch mit der juristischen Behandlung dieser Frage ist das Problem für die LINKE auch schon erledigt - als ob sich die Fragen, wie, wozu und von wem politische (Massen)streiks organisiert werden, von selbst beantworten würden. Das Programm macht weder klar, dass ohne politischen Massenstreik bzw. Generalstreik die derzeitigen - und umso mehr die kommenden - massiven Angriffe von Staat und Kapital kaum abgewehrt werden können; es macht keine Aussage dazu, wie solche Kampfmaßnahmen gegen die Bremser im Gewerkschaftsapparat durchgesetzt werden könnten; es zeigt weder Mittel noch Methoden auf, wie solche generellen Mobilisierungen vorbereitet und organisiert werden könnten.

Dass politische Massenstreiks bzw. ein Generalstreik objektiv auch die Machtfrage im Land aufwerfen würden, ahnen die „Vordenker“ der LINKEN offenbar nicht - oder besser: sie wollen es nicht wissen.

Realitätsschwund

Folgende Passage führt das Programm - durchaus mit gewissem Stolz - im Schlusskapitel sozusagen als Bestätigung der Politik der LINKEN an:

„DIE LINKE hat begonnen, die politischen Kräfteverhältnisse in der Bundesrepublik zu verändern. Sie trägt dazu bei, dass die Kämpfe um höhere Löhne, ein öffentliches Zukunftsinvestitionsprogramm, ein gebührenfreies Studium, soziale Sicherheit, eine nachhaltige Energiepolitik und den Schutz der natürlichen Umwelt, um Demokratie und Frieden mit neuer Kraft geführt werden. Die Politik kann heute nicht mehr von einem Kartell der neoliberalen Parteien beherrscht werden.“

Das Programm bringt hier das Kunststück fertig, einen Abschnitt zu formulieren, der nur aus Irrtümern besteht. Erstens zeugt es beinahe von Blindheit zu behaupten, DIE LINKE hätte das politische Kräfteverhältnis verändert. Hat nicht gerade Schwarz/Gelb die Bundestagswahlen gewonnen?! Stellen nicht die Krise und die Versuche, sie zu managen, massive Angriffe auf die Lohnabhängigen und die Massen dar? Erfolgt nicht schon seit 1998 - dem Amtsantritt von Rot/Grün - ein massiver Sozialabbau?! Nein, nicht DIE LINKE - das Kapital hat das Kräfteverhältnis zu seinen Gunsten verschoben. Was die Linkspartei erreicht hat, sind ein paar Wahlprozente und ein paar Parlamentssitze mehr. Das hält sie offenbar für „das politische Kräfteverhältnis“!

Genauso weltfremd ist die Einschätzung, dass „Kämpfe (...) mit neuer Kraft geführt werden.“ Die Anti-Krisen-Bewegung ist seit Monaten kaum wahrnehmbar, es gibt kaum Streiks, von einer kämpferischen Opposition in Betrieb und Gewerkschaft existieren allenfalls bescheidene Ansätze - das ist die Realität. Und die Politik der LINKEN selbst, ihr parlamentarischer Kretinismus, ihre immer nur systemimmanten Reformen tragen beständig dazu bei, dass sich an diesem bedauerlichen Zustand der Bewegung nichts ändert.

„Die Politik kann heute nicht mehr von einem Kartell der neoliberalen Parteien beherrscht werden.“ Ach nein? Wofür denn steht die Regierungspartei FDP?! Haben die neoliberalen Banker und Finanzhaie es etwa nicht geschafft, der Regierung hunderte Milliarden aus dem Staatssäckel zu locken, die dann letztlich von den Lohnabhängigen bezahlt werden müssen?! Hat es etwa irgendeine wesentliche Strukturveränderung in der Ökonomie gegeben, die auch nur eine einzige Krisenursache gelöst hätte?!

Das Programm sagt nichts darüber aus, von welchem Planeten darin die Rede ist - die Erde kann mit dieser Beschreibung jedenfalls nicht gemeint sein.

Ein Linksschwenk?

Bürgerliche Politiker und Medien stellen fast unsisono einen „Linksruck“ der Linkspartei fest, der sich auch im Programm niederschlagen würde. Die Absicht dieser „Analysen“ ist leicht zu durchschauen: Sie sollen die LINKE als „radikal“ und „unseriös“ bei den WählerInnen madig machen. Zugleich soll die SPD davor gewarnt werden, mit der LINKEN zu koalieren. Gleichwohl teilen auch viele Linke innerhalb und außerhalb der Linkspartei die Einschätzung vom „Linksschwenk“. Trotzdem sind diese Einschätzungen falsch. Warum?

Erstens kann der Charakter eines Partei-Programms natürlich nicht v.a. daran gemessen werden, wieviel „linke“ Positionen darin enthalten sind oder ob es linker ist als das vorherige Programm - was z.T. sogar zutrifft. Der Maßstab muss sein, wieviel das Programm leistet, um den Klassenkampf wirklich voran zu bringen und welche historische Perspektive es zeichnet. Wir glauben, mit dieser Kritik deutlich gezeigt zu haben, dass der Programm-Vorschlag des Parteivorstands der LINKEN sich a) methodisch von früheren Programmen nicht unterscheidet und b) überhaupt keine, sehr ungenügende oder gar falsche Vorschläge unterbreitet, wie der Klassenkampf weiterentwickelt werden kann.

Das Programm ist tw. „linker“ als frühere Programme, sicher ist es auch linker als die politische Praxis der LINKEN, v.a. in den von ihr gestellten Landesregierungen und Kommunalgremien. Doch das ändert nichts daran, dass es insgesamt reformistisch - und noch nicht einmal linksreformistisch - ist; es ändert nichts daran, dass es an der Orientierung auf Parlamentarismus festhält; es ändert nichts daran, dass es an der Illusion der schrittweisen Reformierung des Kapitalismus und an der Ablehnung einer revolutionären Strategie und des Marxismus festhält.

Es ist v.a. ein Ausdruck des Flügels um Lafontaine und Ernst und des (v.a. westdeutschen) gewerkschaftlichen Milieus der Partei. Das erklärt auch die offene Kritik am Entwurf aus den Reihen der „Realos“ um Bartsch oder Ramelow, dem Mitregierer-Flügel und dem Gros des ostdeutschen (alten PDS)-Apparates.

Für MarxistInnen und alle klassenbewussten ArbeiterInnen und Linken kann es nur eine Position zu diesem Programm geben: ein klares Nein! Die Alternative zu jedem reformistischen Programm ist nicht ein linkeres, sondern ein revolutionäres!

Mit dem Programm-Entwurf wird der Versuch unternommen, das Reformhaus der LINKEN etwas zu verschönern und für das Publikum attraktiver zu machen. Doch wer genau hinsieht, wird feststellen, dass die Tapete die Risse in den Wänden nicht verbergen kann. Die Stockflecke des morschen Mauerwerks schlagen überall durch. Und am Dachschaden und den bröckelnden Fundamenten ändert auch eine neue, rötlich funzelnde Wandlampe nichts!

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