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Ungarn nach dem Wahlsieg der rechtskonservativen FIDESZ

Gefährliches Erstarken der Faschisten, Fiasko der Sozialdemokraten

Michael Pröbsting (Liga der sozialistischen Revolution, österreichische Schwesterorganisation der Gruppe Arbeitermacht), Infomail 478, 12. April 2010

Die Parlamentswahl in Ungarn endete mit einem triumphalen Wahlsieg des rechtskonservativen „Bund Junger Demokraten“ FIDESZ. Die Partei errang im ersten Wahlgang 52,77 Prozent der Stimmen. Auf Platz zwei landete abgeschlagen die bislang regierende sozialdemokratische MSZP mit 19,29%, weniger als der Hälfte ihres Stimmenanteils bei den letzten Wahlen. Dies bedeutet eine dramatische Stimmenverschiebung, denn bei den Wahlen 2006 hatte die MSZP die Rechtskonservativen noch knapp mit 43,21 zu 42,03 Prozent geschlagen. Die rechtsextreme Jobbik-Partei wurde mit 16,71% drittstärkste Kraft im Parlament.

Außer diesen drei Parteien schaffte nur noch die grün-alternative Liste LMP („Politik kann anders sein“) mit 7,42% den Einzug in das 386sitzige Parlament. Hingegen scheiterten das rechtsliberale Ungarische Demokratische Forum (MDF) und der liberale Bund Freier Demokraten (SZDSZ) an der Fünfprozenthürde.

In der zweiten Wahlrunde am 25. April könnte FIDESZ sogar eine Zweidrittelmehrheit im Parlament erringen, wenn sie zu den bereits gewonnenen 206 Mandaten weitere 52 Mandate gewinnt.

Insgesamt beteiligte sich nur 64% der Wahlberechtigten. Das heißt: mehr als ein Drittel der UngarInnen sind vom herrschenden politischen System so enttäuscht, dass sie den Gang zur Wahlurne für sinnlos hielten.

Alarmsignal

Der Wahlsieg der Rechten ist in jeder Hinsicht alarmierend. Die FIDESZ-Partei und ihr Führer Viktor Orban verbinden ein aggressives Programm des Sozialabbaus mit einem rabiaten Nationalismus, der sich vor allem gegen Roma und Juden richtet. Ihre reaktionäre Politik stellte FIDESZ bereits 1998-2002 unter Beweis, als Orban Regierungschef war.

Für die ArbeiterInnenbewegung und die nationalen Minderheiten besonders bedrohlich ist der enorme Wahlerfolg der faschistischen Jobbik-Partei. Sie ist eng mit der paramilitärischen "Ungarischen Garde" verbunden, einer der SA vergleichbaren Sturmtruppe. Aktivisten der Garde, in der auch viele Polizisten organisiert sind, waren zum Beispiel letztes Jahr an der Ermordung eines Roma-Familienvaters und seines vierjährigen Sohnes beteiligt.

Neoliberale Sozialdemokratie

Wie konnte es dazu kommen? Der Hauptgrund liegt in der neoliberalen Sozialabbau- und Privatisierungspolitik der in den letzten 8 Jahren von den Sozialdemokraten geführten Regierung. Ungarn gehört zu dem ärmsten Ländern der EU mit einem Pro-Kopf-Einkommen von rund 8.000 Euro. Etwa drei von zehn Millionen Ungarn leben unter der Armutsgrenze. Gleichzeitig beträgt die Arbeitslosigkeit über zehn Prozent. Unter der MSZP-Regierung wurden alle verbliebenen öffentlichen Betriebe privatisiert.

Zwar regierten in den 8 Jahren drei verschiedene Ministerpräsidenten - Peter Medgyessy, Ferenc Gyurcsany und schließlich seit 2008 Gordon Bajnai. Doch alle drei waren von Korruptionsskandalen betroffen. Besonders verhasst war der Geschäftsmann Gyurcsany, der zu den reichsten Männern Ungarns zählt. Als 2006 Aufnahmen einer geheimen Rede von Gyurcsany bekannt wurden, in der dieser eingestand, die Bevölkerung über die geplanten Sparmaßnahmen belogen zu haben, kam es zu tagelangen Ausschreitungen, die die Rechtsradikalen auszunützen versuchten. Auch Bajnai ist ein Unternehmer und ehemaliger “Jung-Manager des Jahres”.

Trotz aller Sparmaßnahmen und Privatisierungen konnte die sozialdemokratische Bajnai-Regierung nicht verhindern, dass das Land Anfang 2010 knapp vor dem Staatsbankrott stand. Nur die Aufnahme eines Kredites des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der EU in Höhe von 20 Milliarden Euro konnte diesen noch abwenden.

Die massive Enttäuschung vieler ArbeiterInnen über die MSZP-Politik und das Fehlen einer ArbeiterInnenpartei, die tatsächlich die Interessen der breiten Bevölkerung vertritt, erklären den Zulauf für die rechtsradikalen Rattenfänger von Jobbik.

Opfer der kapitalistischen Angriffe

Offiziell sind nur 1,9% der Bevölkerung Ungarns Roma. Schätzungen zufolge gehören jedoch ca. 6% dieser Minderheit an. Die Roma sind seit vielen Jahrhunderten in Ungarn – wie auch in allen anderen Ländern Europas – benachteiligt und unterdrückt. Inoffiziellen Angaben zufolge waren in den 1990er Jahren 60-80% der Roma arbeitslos, gegenwärtig dürften es 90% sein.

Die ungarische ArbeiterInnenklasse hat in den letzten Jahren gezeigt, daß sie keineswegs gewillt ist, die Angriffe auf ihre Rechte passiv hinzunehmen. Protestbewegungen gegen Einsparungen im Gesundheitssektor, wiederholte und z.T. erfolgreiche Streiks der Eisenbahngewerkschaft, Streiks im öffentlichen Dienst – all dies unterstrich der Kampfbereitschaft der ungarischen ArbeiterInnen.

Doch der ArbeiterInnenklasse fehlt eine Partei, die für ihre Interessen auf politischer Ebene kämpft. Die sozialdemokratische MSZP ist die Nachfolgepartei der regierenden stalinistischen KP, in der neureiche Unternehmer das Sagen haben.

Abwehrkampf organisieren

Zu den dringlichsten Aufgaben der kommenden Periode gehört die Organisierung massiver Abwehrkämpfe gegen die drohenden schweren Angriffe durch die enorm gestärkte rechtskonservative FIDESZ-Regierung. Der Aufbau von Aktionskomitees an der Basis und der organisierte Druck auf die Gewerkschaftsführung, einen ernsthaften Kampf gegen die Regierungsmaßnahmen mit Massenstreiks und -demonstrationen zu organisieren, werden hier von entscheidender Bedeutung sein.

Eine weitere zentrale Aufgabe wird die Mobilisierung gegen die faschistische Gefahr sein. Die Jobbik-Partei und ihre „Ungarische Garde“ werden mit Sicherheit alles daran setzen, ihre Erfolge auszunützen und eine noch intensivere Hass- und Gewaltkampagne gegen die Roma und wohl auch gegen die organisierte ArbeiterInnenbewegung zu organisieren. Umso dringender ist die breite Mobilisierung der Roma-Gemeinde und der organisierten ArbeiterInnenbewegung sowie der Aufbau von schlagkräftigen antifaschistischen Milizen.

Letztlich geht es darum, eine neue Partei der ArbeiterInnenklasse aufzubauen. Eine solche Partei sollte in Wort und Tat für klassenkämpferische Mobilisierungen der Gewerkschaften gegen die drohenden sozialen Angriffe eintreten. Sie sollte ebenso den Widerstand gegen den Chauvinismus aufbauen, die Rechte der Roma und Juden verteidigen sowie die Bildung von Selbstverteidigungseinheiten in Angriff nehmen. Und sie sollte den Kampf für die Verteidigung der elementarsten sozialen und demokratischen Rechte in ein Übergangsprogramm integrieren, das die sozialistische Revolution und den Sturz des Kapitalismus zum Ziel hat.

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