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Drohendes Burka-Verbot in Frankreich

Rassismus mit Verhüllung

Hannes Hohn, Infomail 474, 15. März 2010

Erst vor wenigen Wochen sorgte das Referendum gegen den Bau von Minaretten in der Schweiz für heiße Debatten über „Islamismus“, Rassismus und Demokratie. Schon einen Tag später gab es Warnungen, dass der rassistische Vorstoß im Alpenland auch woanders Schule machen und weitere Angriffe auf MuslimInnen und ihre Rechte erfolgen würden. Sie waren mehr als begründet.

In Frankreich hat nun Präsident Sarkozy den nächsten rassistischen Vorstoß gestartet. Er wandte sich offen gegen die Vollverschleierung muslimischer Frauen. Er wolle nicht, dass Frauen "als Gefangene hinter Gittern" lebten und vom gesellschaftlichen Leben abgeschnitten seien. Das Problem der Burka sei kein religiöses Problem, sondern ein Problem der Freiheit und ein Problem der Würde der Frau, betonte er vor beiden Kammern des Parlaments.

Die Burka - ein Symbol des Islam?

Vollschleier für muslimische Frauen sind die Nikab, die nur einen schmalen Sehschlitz für die Augen offen lässt, und die Burka, die auch den Sehschlitz mit einem Gitterschleier verdeckt.

Sicher gibt es diese Vollverschleierung nur in islamischen Ländern bzw. bei Muslima. Doch sie ist - wenn sie nicht durch den Staat oder religiöse Gruppen wie die Taliban erzwungen wird - keineswegs üblich. Es ist dabei auch uninteressant, was dazu im Koran steht, denn dieser bietet - wie jede andere religiöse Schrift - bekanntlich Raum für unterschiedlichste Auslegungen. Doch im Koran steht auch nichts über eine Pflicht zur Verhüllung. Im Gegenteil: Während des Betens muss das Gesicht unbedeckt sein, sonst ist das Gebet ungültig. Auch während der Pilgerreise nach Mekka darf das Gesicht nicht verhüllt sein. Schon hieraus erhellt, dass die verbreiteten Vorwürfe gegen „den Islam“ konstruiert sind.

Es ist auch völlig überzogen, ja falsch, den Burka-Trägerinnen zu unterstellen, dass sie diese nur trügen, um ihren „Hardcore-Islamismus“ zur Schau zu tragen. Genauso abwegig ist es, diesen Frauen zu unterstellen, sie würden alle unverschleierten Muslima als „Nutten“ ansehen. Obwohl es natürlich auch solche Haltungen gibt, genügt ein Blick ins Alltagsleben, um festzustellen, welch unverkrampften, offenen Umgang verschleierte und unverschleierte Frauen miteinander haben. Von Intoleranz ist da wenig zu spüren.

Gleichwohl ist es richtig, ja notwendig, die Verschleierung - genauer: den Zwang zur Verschleierung - von Frauen als unterdrückerisch und frauenfeindlich zu kritisieren. Doch das Burka-Tragen ist daneben für viele Frauen auch bewusster Ausdruck von kulturellem Stolz, Ausdruck nationaler Identität, ja in gewissem Sinn von Protest und Widerstand gegen die verschiedenen Versuche der imperialistischen Staaten, MuslimInnen und „,muslimische“ Länder zu diskriminieren, zu unterdrücken oder als „Terroristen“ abzustempeln. Die Verhüllung ist tw. auch ein - verständliches - Symbol der Ablehnung des Sexismus im „westlichen“ Alltag.

Es trifft allerdings durchaus zu, wenn Sarkozy feststellt, dass muslimische Frauen vom gesellschaftlichen Leben oft abgeschnitten sind. Das hat aber kaum mit dem Tragen der Burka zu tun, sondern vielmehr damit, dass diese Frauen - wie die Mehrzahl aller Frauen - patriarchalischen Familienstrukturen unterworfen sind, dass ihre Teilnahme am beruflichen und gesellschaftlichen Leben u.a. dadurch eingeschränkt ist, dass es zu wenige Betreuungsmöglichkeiten für Kinder gibt oder die Entlohnung für Frauen oft schlechter ist als die von Männern. Nicht die Burka oder der Islam an sich sind also die Ursachen für die gesellschaftliche Ghettoisierung von Frauen; die Ursache ist der Kapitalismus bzw. die Bewahrung patriarchalisch-reaktionärer Strukturen aus vorkapitalistischen Verhältnissen, wie sie auch im Islam zum Ausdruck kommen.

Religionsfreiheit

Das Problem der Diskussion um die Burka wie um den „Islamismus“ allgemein sieht sich einem Problem gegenüber: Einerseits ist der Islam (wie jede andere Religion in spezifischer Weise) reaktionär und frauenfeindlich. Insofern ist es auch legitim, ja notwendig, diese reaktionären Seiten, ja jede Religion als solche zu kritisieren. Das bedeutet u.a., für eine strikte Trennung von Staat und Kirche einzutreten und Religion als Privatsache zu behandeln.

Andererseits muss aber auch jeder Einschränkung der Religionsfreiheit entgegengetreten werden – und das im besonderen Maße jener von rassistisch Unterdrückten. Mit Religionsfreiheit ist dabei die individuelle bzw. gemeinschaftliche Teilnahme an religiösen Zeremonien im internen Rahmen der Kirche/Glaubensgemeinschaft gemeint. Nicht gemeint ist damit irgendeine Art von staatlicher Unterstützung der Kirche oder deren offizielles und öffentliches  Agieren im Bildungs- oder Sozialbereich. Nicht gemeint ist aber auch die Einschränkung der Ausübung von Religion - z.B. in Form des Tragens religiöser Symbole - durch den Staat. So ist es durchaus richtig, die offizielle Ausstellung religiöser Symbole wie Christusfiguren, Kreuze usw. in Schulen o.a. offiziellen Einrichtungen zu verbieten. Doch das individuelle Tragen von Kreuz-Anhängern, Kopftüchern usw. darf nicht eingeschränkt werden.

Welche Haltung?

Die Debatte um die Verschleierung ist im Kern keine religiöse Frage. Es geht dabei auch nur vordergründig um die Rechte von Frauen. Vielmehr ist diese ganze Frage Teil der Diskussion um den „Islamismus“, die sehr direkt für politische Zwecke instrumentalisiert wird.

Der Imperialismus ist auf doppelte Weise mit dem „Islamismus“ konfrontiert: einmal liegen viele Länder mit wichtigen Ressourcen (Öl, Gas) und geostrategischer Bedeutung im Nahen und Mittleren Osten - also in „muslimischen“ Gegenden; andererseits ist der Imperialismus gerade dort mit bewaffnetem Widerstand konfrontiert, dessen Führungen und Ideologien stark von Spielarten des Islam geprägt sind - allerdings nicht nur, was meist verschwiegen wird.

Um diesen berechtigten Widerstand zu diskreditieren und der eigenen imperialen Kriegs- und Besatzungspolitik einen humanitär-aufklärerischen Touch zu geben, wird Aggression zur kulturstiftenden und fortschrittlichen Aktion umgedeutet. So diente der Kampf gegen die Frauenunterdrückung unter den Taliban als willkommener Vorwand zum Einmarsch in Afghanistan - die Frauenunterdrückung und v.a. deren soziale Ursachen dort sind freilich immer noch allgegenwärtig.

In Frankreich schlug ein Parlamentsausschuss jüngst vor, das Tragen von Burka und Nikab im öffentlichen Raum inkl. Bussen und Behörden zu verbieten. Diese Idee wird auch von etlichen „Linken“, z.B. von der KP unterstützt.

Die Trennung von Staat und Kirche wird in Frankreich konsequenter umgesetzt als hierzulande (was freilich nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass es sehr wohl Förderungen für Glaubensgemeinschaften gibt, z.B. für die Katholische Kirche). Das führte allerdings auch dazu, dass seit 2004 ein Gesetz SchülerInnen öffentlicher Schulen "das Tragen von Zeichen oder Bekleidung, die betont eine religiöse Zugehörigkeit darstellen", verbietet.

Tragen solche Maßnahmen zum Kampf gegen Frauenunterdrückung bei? Überhaupt nicht, denn erstens ändern sie natürlich genauso wenig an rückständigen sozialen Verhältnissen in den islamischen Ländern wie an den sozialen Benachteiligungen für ImmigrantInnen und besonders für Frauen weltweit. Arbeitslosigkeit oder schlechte Betreuungsmöglichkeiten für Kinder, wodurch Frauen an Haushalt und Familie gefesselt sind, bestehen weiter.

Zweitens führt ein Burka-Verbot nur dazu, dass diese Frauen überhaupt nicht mehr in die Öffentlichkeit wollen bzw. können; ihre Isolation wird also größer, nicht kleiner. Selbst wenn eine Frau ihre Verschleierung aufgeben wollte, so hätte sie dazu real oft wenig Chancen, wenn ihre Familie, sprich: die Männer in der Familie, ihr das verbieten. Aufgrund der sozialen Abhängigkeit von der Familie - viele migrantische Frauen haben kein oder nur ein sehr geringes eigenes Einkommen - können sie nicht einfach „anders“ leben.

Drittens führt jeder Zwang natürlich zu einer umso heftigeren Abwehrreaktion. Das passiert umso mehr, wenn eine Gängelung einer unterdrückten Bevölkerungsschicht durch den Staat unter dem Vorwand des Kampfes gegen Frauenunterdrückung geschieht, während ebendiese Staat mit seiner rassistischen Politik für die Verfestigung eben jener Verhältnisse sorgt, die die Unterdrückung erst hervorbringen.

Ein staatliches Verbot der Burka wird nicht zum Aufbrechen patriarchaler Strukturen führen. Um diese aufzubrechen, müssen die moslemischen Frauen (und, wo möglich, auch die Männer) vielmehr politisch für den Kampf für Gleichberechtigung gewonnen werden, nicht durch eine Bekleidungsvorschrift! Dieser Kampf muss verbunden werden mit dem Kampf gegen rassistische Unterdrückung und soziale Benachteiligung. Er muss mit Forderungen verbunden werden, die dazu betragen, das reale Leben der Menschen zu verbessern.

Nur so, auf freiwilliger, politischer und solidarischer Basis kann es gelingen, das Thema Frauenunterdrückung zu thematisieren und Veränderungen zu erreichen.

Das schließt nicht aus, dass gesetzliche und  strafrechtliche Mittel z.B. gegen Männer, die ihre Frauen schlagen oder vergewaltigen, angewendet werden können und müssen. Doch es ist eine Illusion zu meinen, dass mit Gewalt eines rassistischen Staatsapparates ein grundsätzliches Aufbrechen unterdrückerischer Strukturen möglich wäre. Im Gegenteil: Auch viele fortschrittliche und links eingestellte Menschen begehen den Fehler, auf den bürgerlichen Staat zu setzen, um gegen Frauenunterdrückung, Rassismus usw. vorzugehen.

Diese Logik heißt wahrlich, den Bock zum Gärtner zu machen. Denn der Staat ist schließlich selbst ein Instrument zur Absicherung und Durchsetzung rassistischer oder frauenunterdrückerischer Verhältnisse. Denken wir nur daran, dass Frauen immer noch für die gleiche Arbeit deutlich weniger Lohn erhalten als Männer; denken wir nur daran, dass es der bürgerliche Staat ist, der Flüchtlinge abweist und sie damit oft genug in den Tod schickt.

Wie glaubhaft ist der bürgerliche Staat, der angeblich gegen Frauenunterdrückung kämpft, und dessen Soldaten in Afghanistan zugleich tagtäglich ZivilistInnen umbringen?!

Es ist bezeichnend genug, dass wesentliche Ziele des Feminismus - gesetzliche Gleichheit, gleiche Bildungschancen usw. - in den imperialistischen  Ländern weitgehend verwirklicht sind, Frauen aber gegenüber Männern immer noch real benachteiligt sind.

Die Befreiung der Frauen wie der Kampf gegen Frauenunterdrückung muss Teil des Emanzipationskampfes der Arbeiterklasse sein.

Ein zentraler Fehler des bürgerlichen Feminismus besteht gerade darin, dass er diesen Zusammenhang leugnet. Kein Wunder, dass etliche FeministInnen zu FürsprecherInnen des Staates - eines reaktionären, aggressiven Staates - werden.

Wirkliche Befreiung der Frauen ist nur möglich, wenn die sozialen Grundlagen ihrer Unterdrückung - bürgerliche Familie, Haushalt, materielle Abhängigkeit - überwunden werden. Das ist jedoch weder per Gesetz noch durch vermeintlich fortschrittliche Maßnahmen des Staates möglich - dazu bedarf es einer Revolution, die alle Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse umstürzt!

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