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COP15

Massiver Protest und massive Unterdrückung

Bericht aus Kopenhagen, Infomail 461, 21. Dezember 2009

Die Proteste gegen den Weltklimagipfel in Kopenhagen beweisen, dass die Debatte um die globale Erwärmung und ihre Konsequenzen anhalten. Eine Bewegung ist entstanden, die gegen imperialistische Gipfel und Kriege in den letzten 10 Jahren schon protestiert hat. Sie vereinigt sich nun mit der UmweltaktivistInnenbewegung in der bislang größten Klimademonstration in Kopenhagen. Die Straßen am 12.12. waren voll mit DemonstrantInnen, als der Zug sich vom Christiansborg Schlossplatz zum Bella Center, dem Ort des Gipfeltreffens, bewegte. Ein ständiger Zustrom aus den Seitenstraßen ließ die Menge auf über 100.000 anschwellen.

Laut Organisatoren beteiligten sich 438 verschiedene Organisationen mit TeilnehmerInnen aus 67 Ländern an dem Protestmarsch. Ein Teil bestand aus den Umwelt-NGOs wie Greenpeace, WWF, Friends of the Earth sowie den reformistischen Parteigliederungen der Dänischen Sozialdemokratischen Jugend oder Sozialisistische Volkspartei. Auch Gewerkschaftsfahnen aus verschiedenen Ländern waren zu sehen. International waren die französische KP, die deutsche und die schwedische Linkspartei vertreten.

Ein antikapitalistischer Pol in der Klimabewegung

In einem anderen Teil der Demonstration marschierten AntikapitalistInnen. Eine große Zahl von linken Gruppen stellte sich hinter dem Transparent ‚Ändert das System – nicht das Klima’ auf. Eine der größten Abordnungen stellte dabei die Enhedslisten, ein dänisches Wahlbündnis von mehreren sozialistischen und antikapitalistischen Organisationen. Die Sozialistische Jugendliga, die als Jugendgruppe mit der Enhedslisten zusammenarbeitet, stellte ebenfalls einen beträchtlichen Block. Außerdem waren verschiedene europäische Strömungen anwesend, wie das Vereinigte Sekretariat IV. Internationale. Das Komitee für eine Arbeiterinternationale CWI marschierte in einem eigenen Block, die Internationale sozialistische Tendenz zeigte sich relativ schwach präsent. Die Autonomen bildeten das Ende des Demonstrationszuges.

Die GenossInnen der Liga für die 5.Internationale demonstrieren mit den GenossInnen von der französischen Neuen Antikapitalistischen Partei, darunter auch dem französischen Präsidentschaftskandidaten Besancenot und AktivistInnen verschiedenener ethnischer Herkunft.

Der Reformismus beherrscht das Rednerpult

Die Präsenz der antikapitalistischen Gruppen spiegelte sich jedoch nicht auf der Rednertribüne wieder. Viele Reden waren ziemlich zahm. Die reformistischen und bürgerlichen Protestführer appellierten an die Gipfeldelegationen, man möge der Bewegung doch zuhören und den Ernst der Lage begreifen. Diese Strategie aber bringt den Kampf gegen den zerstörerischen Klimawandel keinen Schritt voran.

Die politischen Führer des UN-Gipfels wissen sehr wohl, dass die Lage ernst ist. Das Problem liegt vielmehr darin, dass sie Teil eines Systems sind, dass sie daran hindert, die Umweltfrage ernsthaft anzupacken. Unter dem Kapitalismus konkurrieren multinationale Konzerne ständig um höhere Profite, und Staaten konkurrieren um den Zugriff auf natürliche Ressourcen und den weltweiten Arbeitsmarkt. Unter einem solchen System wird unsere Umwelt nur immer als zweitrangig behandelt werden.

Der Kapitalismus ist unfähig, die Klimakrise zu lösen

Was wirklich zählt, sind immer nur die Profite für die Kapitalisten. Dies war während des Kopenhagener Gipfel zu beobachten anhand des Konflikts zwischen der G77-Gruppe, China und den USA. Die Gruppe der meist ärmeren halbkolonialen Länder und Führung des Suanesen Lumumba drängten die USA zur Unterzeichnung des Kyoto-Abkommens und zur einseitigen Reduktionen ihrer CO2-Emissionen. Diese Forderung ist naheliegend, zumal die USA der größte Umweltsünder sind. Die Supermacht gab jedoch nicht nach und weigert sich, irgendwelche bindenden Vereinbarungen zu unterzeichnen.

Der CO2-Ausstoß muss natürlich verringert werden, wenn eine globale Erwärmung gestoppt werden soll.  Das ist eine Überlebensfrage. Wissenschaftler sind sich einig, dass der Temperaturanstieg unter 2 Grad Celsius gehalten werden muss, um einen Dominoeffekt der Zerstörung des ökologischen Systems zu verhindern. Zu diesem Zweck müssen die CO2-Emissionen bis 2020 um 40% gesenkt werden, gemessen vom Ausgangswert 1990. 2007 hat der UN-Klimaausschuss festgestellt, dass der Ausstoß bis 2050 um 90% verringert werden muss, wenn das Temperaturmaß innerhalb von 2 Grad gehalten werden soll.

Dessen ungeachtet haben die USA den Gipfel wissen lassen, dass sie nicht willens seien, diesen Forderungen nachzukommen. Wenige Wochen vor dem Ereignis sagte Präsident Obama, sein Land könne 17% Ausstoßminderung auf Basis der Vergleichszahlen von 2005 akzeptieren. Das bedeutet umgerechnet auf die Werte von 1990 lediglich einen Prozentsatz von 3-4%.  Die EU stellt sich gern als Motor im Kampf gegen den Klimawandel dar und will die Emissionen bis 2020 um 20% drosseln und um weitere 10% aufstocken, falls andere entwickelte Länder vergleichbare und Schwellenländer bedeutsame Anstrengungen unternehmen würden.

Letztlich ist all dieses Geschacher im Vorfeld und auf dem Gipfel nur Makulatur. Die mit riesenhaftem Aufwand an Zeit, Geld und organisatorischem Brimborium betriebene Konferenz hat nur eine Erklärung zustande gebracht, die nicht einmal den Rang eines unterzeichnungsreifen Abkommens erlangt hat, sondern von den Teilnehmern nur ‚zur Kenntnis genommen worden ist’ .Das Abschlussdokument nennt keine einzige konkrete Zahl für den Emissionsabbau noch einen Finanzierungsplan.

Das Debakel von Kopenhagen wird selbst von bürgerlichen Medien nicht schöngeredet. Das Scheitern des Klimagipfels ist ein beredtes Zeugnis für die Unfähigkeit des Weltkapitalismus zur Lösung dieser Herausforderung für die Menschheit. 

Verschiedene Arten des Protests

Neben der eindrucksvollen Massendemonstration vom 12.12. gab es weitere Proteste mit verschiedenen Zielen. Besonders umweltfeindliche Produktionsfirmen waren Zielscheibe von Aktionen ebenso wie die Betonung der Forderung nach offenen Grenzen für Klimaflüchtlinge. Umweltpolitische Alternativen wurden auf mehreren Plena diskutiert, die von AktivistInnencamps rund um Kopenhagen organisiert worden waren.

Am 13.12. demonstrierten am Hafengelände AktivistInnen mit symbolischen Streikposten unter dem Motto ‚Trefft die Produktion’.

Am 14.12 fand eine spektakuläre Aktion statt, als hunderte AktivistInnen einen überdimensionalen Ballon als Erdglobus mitten in Kopenhagen durch die Straßen rollten. Die Polizei kam zu spät, um dies zu verhindern. Damit, dass sie den Globus gegen die Robocops eines kapitalistischen Staats verteidigten, symbolisierten die meist jungen radikalen DemonstrantInnen klar den Kampf für eine Zukunft ohne kapitalistische Zerstörung unseres Planeten.

Am 16.12. schließlich kam es zu einem nochmaligen größeren Versuch unter dem Banner ‚Erobert die Straße’, das Bella-Center zu erreichen, um den Gipfeldelegationen den Unmut der Massen über ihre Politik vor Augen zu führen. Dieser Versuch wurde von der Polizei mit aller Gewalt verhindert.

Eine neue Qualität der Repression

Die herrschende Klasse und ihr Staat sind bereit, verstärkte Repression gegen die Bewegung anzuwenden. Dies zeigte sich in Kopenhagen. Sie versuchten wiederum, die Taktik der Spaltung der radikalen von den gemäßigterten Teilen der Umweltbewegung zu fahren. Der Polizeieinsatz mit Tränengas, Wasserwerfern und selbst Bleigeschossen ist auf Gipfeldemonstrationen überall auf der Welt gang und gäbe.

Neu war in Kopenhagen allerdings die Taktik der willkürlichen Festnahmen, die jetzt durch gesetzliche Verordnungen möglich gemacht wurden. Das gibt einen kleinen Vorgeschmack auf die Entschlossenheit der besitzenden Klassen, mit der sie ihre Interessen zu verteidigen gedenken, gleich ob sie gegen fortschrittliche Protestbewegungen oder Klimaflüchtlinge vorgehen wollen.

Gesetz gegen potenzielle Straftäter

Während des Gipfels verwandelte sich Kopenhagen in eine riesige Durchsuchungszone, wo demokratische Rechte nicht viel galten. Die neue rechte Regierung hatte die dänische Polizei mit einer Reihe von Vollmachten ausgestattet, die sie dazu ermächtigten, ‚vorbeugende Festnahmen’ gegen ‚potenzielle Straftäter’ ohne Angabe von Gründen vorzunehmen. Sie machte ausgiebig davon Gebrauch. Zu den ersten Massenverhaftungen kam es auf der großen Demo am 12.12., als rund 1000 DemonstrantInnen, darunter Mitglieder der CWI sowie der Grünen Partei aus Deutschland sowie selbst AnhängerInnen der Hare Krischna-Sekte, die wohl kaum mit Sympathisanten des „schwarzen Blocks“ verwechselt werden können, in Gewahrsam genommen wurden.

Dies alles geschah, als sie sich in der Nähe einer Gruppe befunden hatten, aus der Steine gegen die Fensterscheiben der Börse und eine Flasche gegen die waffenstarrende Polizei geworfen worden waren.

Folterähnliche Zustände

Hunderte von Leuten, darunter auch viele ältere Menschen, wurden gezwungen, sich auf den frostkalten Boden niederzusetzen und dort an Plastikhandschellen gefesselt mehr als zweieinhalb Stunden zu verharren. Zugang zu Toiletten oder ärztliche Hilfe wurde von den Sicherheitsorganen verweigert  Anschließend wurden sie mit Bussen in das sogenannte Klimagefängnis gekarrt, kleine Käfige mit Sitzbänken, die schnell gefüllt waren mit friedlichen DemonstrantInnen. Auf Fragen, wohin sie nun verbracht würden, teilten die Cops den Festgenommenen mit, sie kämen ins ‚dänische Guantanamo’. 15-20 Menschen wurden auf engstem Raum zusammengepfercht, was zu Ängsten führte und zum Rütteln an den Gitterstäben provozierte. Dies wurde als Widerstand gegen staatliche Autorität ausgelegt und durch den Einsatz von Pfefferspray von Seiten der Polizei ‚befriedet’.

Der Überfall auf das Christiania-Gelände, einem wichtigen Informationszentrum der Bewegung sowie die Zerschlagung der angemeldeten und genehmigten Demonstration am 16.12. mit entspechenden Festnahmen rundet dieses Bild der ‚zivilisierten Gesellschaft’ ab.

Insgesamt wurden und 1500 Leute festgenommen. Nur 27 von ihnen waren überhaupt unter Verdacht, und nur ganzen drei Personen wurde eine konkrete Straftat zur Last gelegt.

Auch Medienvertreter bekamen die Einschränkung ihrer Rechte zu spüren, und sogar Angehörige von Kongressabordnungen machten mit Polizeischlagstöcken sinnliche Bekanntschaft, und wurden am 16.12. mit Gewalt daran gehindert, das Bella-Gelände zu verlassen.

Weg mit den Vorbeugehaftgesetzen

Auch internationale Beobachter wie von amnesty international sind sich darin einig, dass diese Gesetze menschenverachtend sind. Sie müssen verschwinden. Die neue Generation von AktivistInnen darf diese Aufgabe aber nicht der parlamentarischen Bühne überlassen, sondern muss selbst einen Massendruck erzeugen, um die Rücknahme dieser Gesetze zu erzwingen. Keine weiteren Befugnisse für die Polizei! Sie sind Werkzeuge in den Händen der Herrschenden, um demokratische Rechte von Versammlungs-, Organisations- und Pressefreiheit weiter einzuschränken und könnten auch woanders Schule machen. Wenn sie nicht erfolgreich bekämpft werden, werden sie die Bewegung künftig ernsthaft behindern.

Organisiert die kollektive Selbstverteidigung

Wenn wir militante Aktionen organisieren wollen, um den Vertretern der kapitalistischen Weltordnung, die den Planeten zerstört, entgegentreten zu können, müssen wir eine kollektive Selbstverteidigung aufbauen. Die Reformisten suchen immer den Kompromiss mit der herrschenden Klasse und tragen hierzu nicht viel bei. Außer verschwommenen Reden waren sie nicht bereit, die Demonstration gegen die Polizeiattacken zu verteidigen. Eine Möglichkeit, die Versammlungsfreiheit zu schützen, wäre es gewesen, nach der Massenverhaftung von DemonstrantInnen den Zug bis zur Freilassung aller Festgenommenen zu unterbrechen. Das hätte die Polizei zum Rückzug zwingen können. Trotz der massiven Repression während der Gipfeltage wurde kein Versuch unternommen, eine Art von kollektive Selbstverteidigung aufzubauen.

Zwar tragen die reformistischen Führer die Hauptverantwortung für die Unfähigkeit der Bewegung sich selbst zu schützen, aber auch die militante Teile haben dies versäumt. Auch das ist nichts Neues. Als die automomen Gruppen an der Amagerbrogade auf die Polizei trafen, war ihre Selbstverteidigung sehr unwirksam und spontan. Es gab keine Koordination, und gegenüber einem zentralisierten Feind bestand keine Möglichkeit zu wirksamem Widerstand.

Der Mangel an Organisation bedeutete auch, dass eine kleinere Gruppe die Vereinbarung brechen konnte, die mit dem reformistischen Flügel der Bewegung über Vermeidung von Provokationen gegen die Polizei während des Marsches getroffen worden war. Die Angriffe auf das Börsengebäude und der Flaschenwurf lieferten der Polizei einen Vorwand zur Offensive. Selbst wenn die Polizei die Verantwortung trägt und für ihre Gewaltpraxis verurteilt werden muss, war die Aktion ein Fehler. Während streng überwachteter Demonstrationen mit geringen Vorkehrungen zur Verteidigung sind solche Aktionen gelinde gesagt unverantwortlich.

Der Klassenkampf muss mit dem Klimakampf zusammengeführt werden

Alle Kräfte, die die Positionen der antikapitalistischen Bewegung politisch und praktisch, auch auf der Straße, voranbringen wollen, müssen ihre Zusammenarbeit verstärken, um eine gemeinsame kollektive Organisation der Selbstverteidigung aufzubauen und damit die Attacken der Polizei zurückzuschlagen und mehr konfrontative Aktionen durchführen zu können.

Nicht zuletzt hat die Klimabewegung politische Aufgaben. Massive Demonstrationen, um Druck auf die kapitalistische Führer auszuüben, sind das eine, aber reichen alleine nicht aus, genau so wenig wie die weltweit größten Kundgebungen den Krieg der USA gegen den Irak zu verhindern vermochten. Um radikalere Resultate zu erreichen, muss die Arbeiterbewegung die eigene Klasse in kollektiven Aktionen mobilisieren, um Druck für wirkliche und nachhaltige Schritte in die Zukunft zu erzeugen.

Massenstreiks und Lähmung der Ökonomie würde das gesellschaftliche Gewicht der Klimabewegung mit dem wirtschaftlichen Gewicht vereinen. Solche Methoden des Massenkampfs würden auch die Bewegung ausbauen helfen und könnten höhere Ziele setzen als nur gegen einzelne Gipfel zu protestieren. Es könnte die kämpfende Arbeiterbewegung mit dem Kampf für eine nachhaltige Entwicklung verknüpfen. Es könnte der Arbeiterklasse die Macht verleihen, das kapitalistische System als ganzes herauszufordern, dieses System, das wir zu Fall bringen müssen, um unseren Planeten zu retten – den einzigen, den wir haben.

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