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Strategie

Der Bildungsstreik und seine Perspektiven

Gemeinsame Erklärung von Gruppe Arbeitermacht und Jugendorganisation Revolution, 23. November 2009, Infomail 456, 23. November 2009

1. Etwa 90.000 Studierende und SchülerInnen demonstrierten am 17. November in Deutschland. In über 50 Hochschulen sind zentrale große Hörsäle besetzt. In Berlin und Düsseldorf wurde auch je eine Schule besetzt.

Die Bewegung ist jedoch keineswegs eine, die sich „nur“ gegen Missstände und Zumutungen des deutschen Bildungssystems richtet. Es ist eine internationale Bewegung geworden.

In Österreich sind seit fast vier Wochen die Unis besetzt. Dort handelt es sich um eine richtige Massenbewegung. In Italien waren am 17. November insgesamt rund 150.000 auf der Straße. In Frankreich kommen hunderte von Schulen und Unis in Bewegung. Auch ausserhalb Europas fanden Aktionen statt oder sind in Vorbereitung. Wir können also mit Fug und Recht von einer internationalen Bewegung sprechen.

Sie umfasst nicht nur SchülerInnen und Studierende, sondern auch andere im Bildungs- und Erziehungssektor Tätige, so Beschäftigte in Kitas, Jugend- und Freizeiteinrichtungen, LehrerInnen an Schulen, Lehrende - von befristet beschäftigten Lehrbeauftragten und LektorInnen bis hin zum „akademischen Mittelbau“ - sowie „sonstige Beschäftigte“ an den Unis wie Mensapersonal, die sich z.B. als Beschäftigte des Studentenwerks im Arbeitskampf um höhere Löhne und gegen weitere Privatisierungen befinden.

2. Diese Bewegung ist in verschiedenen Ländern - wie könnte es auch anders sein - unterschiedlich weit entwickelt bzw. unter den SchülerInnen, Studierenden, Lehrenden verankert. Es stellen sich aber bei aller Unterschiedlichkeit auch ähnliche Probleme, die nur durch eine klare politische Strategie, durch ein Programm und eine Perspektive für die Bewegung gelöst werden können.

3. Bevor wir uns dieser Frage zuwenden, müssen wir jedoch auf den Charakter der Auseinandersetzung und der Bewegung genauer eingehen.

Die Reaktion der herrschenden Klasse auf die Bewegung

4. Die herrschende Klasse heuchelt Verständnis für die Anliegen der Studierenden, tw. auch der SchülerInnen. Dass es eine „Krise des Bildungssystems“ gibt, dass Reformen, bessere Ausstattung, mehr Personal usw. nötig wären, gilt als Gemeinplatz. Viele Universitätspräsidenten springen den Studierenden scheinbar solidarisch bei. Beim Bachelor hapere es, wenn schon nicht beim „System“, so jedenfalls bei der „Implementierung“. Die große Bedeutung der Auseinandersetzung um Bachelor- und Masterstudiengang (B/M) erklärt auch, warum die Studentenproteste in jenen EU-Ländern so stark sind, die diese „Reformen“ des „Bologna“-Prozesses gerade erst durchführen.

5. Es wäre aber verkürzt, die Proteste nur auf Bologna zurückzuführen, so wichtig dieses Gesamtpaket für die neoliberale Umstrukturierung der Bildungssysteme in Europa auch ist. Der Bologna-Prozess ist nur ein - wenn auch europaweit koordinierter - Angriff auf das Bildungssystem, der einen Umbau zu mehr Privatisierung, größeren direkten Einfluss der Großkonzerne festschreiben soll.

6. Er hat für das Kapital drei Aufgaben. Erstens soll er Teile des Bildungssystems als Anlagesphäre öffnen - teils in Form der Spekulation, teils auch für produktive Kapitale (von diversen Diensten wie Reinigung, Großküche bis hin zu bestimmen Teilen der Schulen und Unis selbst). Dazu ist zweitens eine Vergleichbarkeit der Abschlüsse auf internationaler Ebene - jedenfalls für die EU, USA und Kanada – nötig, damit z.B. ein Bildungsanbieter aus den USA auch wirklich mit „seinem Produkt“ z.B. in Deutschland das Erreichen bestimmter Abschlüsse anbieten kann, die dann auch auf dem Arbeitsmarkt als Qualifikation anerkannt werden. Die Vergleichbarkeit ist aber auch deshalb wichtig, weil damit für eine Reihe von Berufen ein realer EU-weiter Arbeitsmarkt entstehen kann. Drittens geht es darum, die Kosten für das Bildungssystem insgesamt für das Kapital zu reduzieren, also durch verschiedene Maßnahmen die Arbeiterklasse zu zwingen, einen größeren Teil der Bildungsausgaben aus den direkten Lohnfonds zu begleichen.

7. Doch diese Kritik - so richtig sie ist - erfasst ein bestimmendes Moment der aktuellen Krise nicht: die herrschende Klasse selbst verfügt über keine positive Lösung der „Bildungsmisere“. Seit Jahren jagt ein „Bildungsgipfel“, ein „Reformprojekt“, eine „Evaluierung“ die andere. Nach dem Zweiten Weltkrieg (und dann besonders mit der „Explosion“ des Bildungssektors) stieg der Bedarf an höher qualifizierter Arbeitskraft in einem Ausmaß, dass er, um die Erfordernisses des Monopolkapitals erfüllen zu können, staatlicher Eingriffe und Reformen bedurfte: des Ausbaus der Hochschulwesen, diverser ministerieller „Planungseinrichtungen“ usw. Ganze Wissenschaftsdisziplinen wie „Bildungsökonomie“ und „Bildungsplanung“ traten auf den Plan.

Dieses System litt aber immer darunter, dass in der „Bildungsplanung“ der zukünftige Bedarf an Absolventen, sowohl an Arbeitskräften wie an Leitungsfunktionen für eine anarchische, über den Markt vermittelte kapitalistische Ökonomie nur mangelhaft geplant und im Voraus berechnet werden konnte, um den „Überschuss“ wie den „Engpass“ an bestimmten qualifizierten Arbeitskräften zu vermeiden.

8. In den letzten Jahrzehnten machte sich dieser grundlegende und auch unüberwindbare Widerspruch aufgrund der stockenden Akkumulation des Kapitals zunehmend spürbar. In der gegenwärtigen welthistorischen Krisenperiode des Kapitalismus wird das noch deutlicher. Für immer mehr „AbsolventInnen“ des bürgerlichen Bildungssystems gibt es keine sinnvolle, produktive Verwendung selbst als Ausbeutungsobjekte. Das trifft auch einen Teil der Uni-AbsolventInnen. Für die Bachelor-StudentInnen ist der Arbeitsmarkt gegenwärtig besonders unsicher - und wird es angesichts der ungelösten Probleme der Kapitalakkumulation auch bleiben. Doch was heute für den Bachelor-Abschluss gilt, kann morgen genauso für den Master zutreffen, wenn Unternehmen diese Abschlüsse durch billigere Bachelor-Arbeitskräfte ersetzen.

Am drastischsten zeigt sich diese Krise freilich nicht an der Universität, sondern bei den unteren Schichten der Arbeiterklasse und des Kleinbürgertums sowie beim Subproletariat, in der „Krise der Hauptschule“. Fakt ist, dass - je nach Konjunktur - 10 bis 20 Prozent eines Jahrgangs einfach nicht als qualifizierte, ja oft überhaupt nicht als Arbeitskraft gebraucht werden. Das ist die Ursache für perverse „Schulkarrieren“, die mehrere „Berufsausbildungen“ und Abschlüsse einschließen - mit der Gewissheit aller Beteiligten, dass sie in diesen Berufen auf absehbare Zeit nicht arbeiten werden. Hier hilft auch die „Abschaffung der Hauptschule“ nicht weiter. Sie führt bei gleich bleibenden Arbeitsmarktbedingungen nur dazu, dass künftig eine größere Zahl von RealschülerInnen dasselbe Schicksal wie die HauptschülerInnen fristen werden.

Aufgrund der permanenten technischen Umwälzungen sowohl im Produktionsprozess als auch im Dienstleistungsbereich ist ein abgehobenes Bildungssystem nicht in der Lage, eine den Verwertungsbedürfnissen des Kapitals angemessene Bereitstellung von Arbeitskräften zu leisten. Stattdessen wird der Druck auf die Beschäftigten zu ständiger Weiterbildung, Zertifizierung ihrer Qualifikationen und "Training on the job" enorm erhöht. Zuwiderhandlung wird mit Abgruppierung bedroht, weite Teile der Qualifizierungskosten werden auf die Beschäftigten abgewälzt.

Die gewerkschaftliche Auseinandersetzung um Qualifizierungstarifverträge, Eingruppierung gemäß Qualifikation, Anerkennung von Qualifizierungszeiten hinken weit hinter den tatsächlichen Zumutungen des Kapitals auf diesem Gebiet hinterher. Eine Auseinandersetzung mit der Bildungsmisere im Kapitalismus muss diese betrieblichen Auseinandersetzungen mit einbeziehen, will sie die gesamte Arbeiterklasse mobilisieren.

9. Diese Überlegungen verdeutlichen, dass das bürgerliche Bildungssystem in seiner gegenwärtigen Form keine Zukunft hat. Sie verdeutlichen, dass eine wirkliche Lösung dieser Misere nur durch den Klassenkampf gegen die bürgerliche Reformpolitik und für die Reorganisation des gesamten Bildungs- und Ausbildungssystems im Interesse der Arbeiterklasse und aller Unterdrückten und unter ihrer Kontrolle möglich ist. Da es aber bekanntlich kein „emanzipatorisches“, von der Arbeiterklasse bestimmtes und kontrolliertes Bildungssystem im Rahmen einer Gesellschaft, geben kann, deren zentrale Triebfeder die Produktion für den Profit Weniger ist, so geht dieser Kampf notwendig einher mit dem für die Umwälzung der ganzen Gesellschaft durch die Arbeiterklasse, durch die proletarische Revolution.

10. Nur unter der Herrschaft der Arbeiterklasse, nur auf dem Weg zu einer klassenlosen, kommunistischen Gesellschaft ist die Entwicklung eines Bildungs- und Ausbildungssystems möglich, das den Interessen der großen Mehrheit der Gesellschaft dient. Nur, wenn Produktion und Reproduktion der Gesellschaft auf bewusste Weise gemäß ihren Interessen organisiert werden, wird auch ein Ausbildungs- und Bildungssystem tragfähig, realisierbar und funktional sein können, dass die Menschen auf die bewusste Lenkung des gesellschaftlichen Lebens, der Produktion für ihre gemeinschaftlichen Bedürfnisse wie die allseitige Entfaltung der Fähigkeiten der Einzelnen vorbereitet. Dabei gilt, dass ein separates „Bildungssystem“, wie wir es heute kennen, überhaupt nur Bestand haben wird, solange die Reste der bürgerlichen Arbeitsteilung, wie sie in der Übergangsperiode, aber auch in der unteren Phase des Kommunismus, in der sozialistischen Gesellschaft, von der bürgerlichen Gesellschaft herrühren, noch nicht überwunden sind. Im Kommunismus - jener Gesellschaftsformation, in der die Arbeit nicht nur Zwang und Notwendigkeit, sondern auch erstes Bedürfnis ist - wird die Trennung von „Arbeitszeit“ und „Freizeit“ überwunden, aufgehoben; auch das geht mit der Aufhebung der Trennung von „Ausbildungs/Bildungszeit“ einerseits und „Arbeitszeit“ andererseits einher.

11. Wir stellen diese Überlegungen hier voran, weil damit aber auch der falsche Schein der Gemeinsamkeit der Studierenden, der SchülerInnen und „ihrer“ ProfessorInnen, RektorInnen, Uni-PräsidentInnen oder SchuldirektorInnen offenbar wird. Die im Bildungswesen Tätigen haben eben nicht alle dieselben Interessen. Die ProfessorInnen z.B. sind ein integralerer Teil der herrschenden Klasse. Auch wenn sie sich dem Ruf nach mehr Geld für die Unis anschließen, so stellen sie doch erstens nie deren Zweck in Frage, nie deren Kontrolle durch die Uni-Leitungen und auch nicht, dass dieses unter gegenwärtigen Bedingungen vor allem aus den Steuern der Arbeiterklasse oder mehr Staatsverschuldung kommt, das dann ebenfalls durch die Bevölkerung - z.B. durch Einsparungen bei Schulen - bezahlt werden müsste.

Eine proletarische, revolutionäre Politik kann sich daher nicht auf die Frage der Finanzierung, auf die Frage adäquater, fachgerechter, qualifizierter Vermittlung beschränken. Sie muss auch die Frage aufwerfen, was von wem für wen geforscht und gelehrt wird. Daher ist auch die Frage der Kontrolle über das Bildungssystem eine Schlüsselfrage; daher ist auch ein Programm von Übergangsforderungen, das selbst mit dem Kampf um die Kontrolle über die Produktion und einem Programm um die Macht verbunden werden muss, notwendig.

12. Es gilt daher, den Uni-Professoren, den Rektoren, usw. entgegenzuhalten, dass die berechtigten Forderungen der Studierenden und SchülerInnen nicht durch „irgendwen“, sondern durch die Besteuerung der Reichen, der großen Konzerne, der Geld- und Vermögensbesitzer zu finanzieren sind. Die Gelder für ein ausreichendes Einkommen der Studierenden, das erlaubt, das Studium ohne „Nebenjob“ zu machen, müssen ebenfalls von dort kommen. Es gilt hervorzuheben, dass die Lehrpläne, die „Reformen“ der Studien bis hin zur Einstellung der Lehrenden unter die Kontrolle gewählter Ausschüsse der Lehrenden und Lernenden sowie der Gewerkschaften gestellt werden müssen. Letztlich muss der gesamte universitäre und schulische Betrieb einschließlich der Forschung von der Mehrheit der Gesellschaft, also der Arbeiterklasse, durch ihre Organisationen und gewählte Ausschüsse kontrolliert werden. Eine solche Kontrolle würde natürlich noch kein perfektes Bildungssystem schaffen - aber es würde unwillkürlich die Frage aufwerfen, welche Klasse bestimmt. Es würde die Frage der gesellschaftlichen Macht zwischen Kapital und Arbeit stellen - es wäre also eine Übergangsforderung für den Bildungsbereich und dessen vollständige Demokratisierung.

13. Im Kampf im Bildungsbereich unterstützen wir daher jede Forderung, jede Aktion von Studierenden, SchülerInnen, Azubis, Lehrenden wie aller anderen Beschäftigten, die sich gegen die herrschende Klasse richtet und ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen zu verbessern suchen.

14. Aus der Tatsache, dass die Probleme der Unis und Schulen nur im Rahmen einer Klassenperspektive zu lösen sind, ergibt sich auch, dass wir für den gemeinsamen Kampf von SchülerInnen und Studierenden mit der Arbeiterklasse eintreten. In den letzten Monaten hat sich bei vielen Aktionen eine grundsätzliche und sehr fortschrittliche Bereitschaft der Studierenden und SchülerInnen gezeigt, das auch zu tun. So wurden Aktionen von Beschäftigten an den Unis unterstützt, gemeinsame Aktionen mit streikenden ArbeiterInnen (z.B. Streik der GebäudereinigerInnen) durchgeführt. Darin zeigt sich, dass viele fühlen, dass sie gemeinsame Anliegen haben. Aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass das mehr aus einem Gefühl der „Betroffenensolidarität“ folgt, das sicher auch dadurch gestärkt wird, dass ein immer größerer Teil der StudentInnen einer Zukunft als LohnarbeiterInnen entgegensieht. Ein wirklich klares Bewusstsein über die Zusammenhänge fehlt jedoch - was sich auch darin zeigt, dass mitunter der Kapitalismus als Problem, wenn nicht als Ursache der Misere anerkannt wird, nicht jedoch die Notwendigkeit, ihn organisiert zu bekämpfen und zu stürzen. Dieser Mangel an Bewusstheit zeigt sich auch in der oft verbreiteten Organisationsfeindlichkeit, auch gegenüber sozialistischen oder kommunistischen Organisationen..

15. Das zeigt sich aber auch darin, dass SchülerInnen oder Azubis, ganz zu schweigen von arbeitslosen Jugendlichen, nur schwer als gleichberechtigte KämpferInnen anerkannt werden. Das ist umso bedeutender, als sich darin nicht „nur“ mangelndes Bewusstsein, sondern auch die Tatsache widerspiegelt, dass „die StudentInnen“ unterschiedlichen Klassen angehören, vor allem aber das Gewicht und der Anteil der bürgerlichen Klasse, aber auch des Kleinbürgertums und der Mittelschichten unter den Studierenden deutlich höher sind als in der Gesamtbevölkerung. Auch die Proteste gerade unter den Studierenden sind oft von kleinbürgerlichen Standpunkten geprägt. Das geringe Gewicht (z.T. auch die geringe Präsenz) von Azubis, HauptschülerInnen, arbeitslosen Jugendlichen in den Protestbewegungen bringt also auch ein Klassenproblem zum Ausdruck. Es ist kein Zufall, dass dann oft MigrantInnen weniger bis gar nicht vertreten sind, da diese aufgrund der rassistischen Diskriminierung besonders stark von Jugendarbeitslosigkeit betroffen sind oder in die Hauptschulen gezwungen werden. Es ist daher unbedingt notwendig, auch in einer Bewegung wie dieser systematisch unter den Studierenden (wie auch den GymnasialschülerInnen) gegen jede Form von Standesdünkel und Borniertheit zu kämpfen. Das gilt insbesondere auch im Kampf gegen jede Form des Denkens, die sich „neutral“ wähnt gegenüber  „links“ und „rechts“, gegen jede Form, die den studentischen oder „Bildungs“Kampf vom Klassenkampf trennen will.

Die nächsten Schritte der Bewegung

16. Die Schüler- und Studentenbewegung der letzten Monate stellt einen wichtigen Ausgangspunkt im Kampf gegen die Angriffe der Regierung dar. Sie ist eine bundesweite und internationale Bewegung, deren Zentrum in Deutschland heute die besetzten Uni-Hörsäle darstellen. Die Frage ist also: Wie können diese gehalten, gestärkt, zu Besetzungen der gesamten Uni ausgebaut und zugleich mit den Kämpfen der SchülerInnen, von Azubis, von Lohnabhängigen verbunden werden?

17. Bisher existieren die Besetzungen nur als lose, via Internet und „Netzwerke“ verbundene Aktionen. Es gibt jedoch keine Koordinierung, keine gemeinsame Plattform, keinen Plan zur Ausweitung der Aktivitäten über die Blockade der Kultusministerkonferenz am 12. Dezember hinaus. Die bisherigen Treffen - wie z.B. jenes am 18. November in Heidelberg - sind über einen „Austausch“ nicht hinausgekommen und haben sich durch ihr „Konsensprinzip“ auch selbst gelähmt. Dieser Zustand kann nicht lange bestehen, wenn die Bewegung nicht an Dynamik verlieren und auseinander driften soll. Es ist unbedingt notwendig, diese u.a. Schwächen offen anzusprechen und zugleich für eine politische Lösung dieser Problem einzutreten.

18. Die besetzten Hörsäle werden auf Dauer nur gehalten werden können, wenn die BesetzerInnen einen Weg finden, ihre Unterstützerbasis an den Unis selbst zu verbreiten. Dazu ist erstens ein bundesweites Forderungspaket notwendig, das die wichtigsten Forderungen der Studierenden zusammenfasst und mit jenen der SchülerInnen verbindet. Es muss in diesem Kontext auch deutlich werden, wer berechtigte Forderungen, z.B. nach mehr Lehrenden oder besserer Ausstattung, finanzieren soll, z.B. indem die Forderung nach Besteuerung der Reichen erhoben wird.

Als Forderungsprogramm schlagen wir vor:

Freier und kostenloser Zugang zu Bildung für Alle!

Weg mit allen Arten von Studiengebühren! Volle Lehr- und Lernmittelfreiheit an allen Bildungseinrichtungen!

Ausbildungsplätze für alle zu tariflichen Bedingungen, finanziert durch die Unternehmer!

Nein zum Turbo-Abi! Abschaffung des Numerus Clausus!

Mindesteinkommen/Vergütung für alle Studierenden, Azubis, SchülerInnen über 14 von 1.000 Euro netto!

Nein zu BA/MA! Nein zu Bologna und der weiteren Vermarktwirtschaftlichung der Unis und Bildungseinrichtungen!

Nein zu allen Privatisierungen! Ausbau und Sanierung der Bildungseinrichtungen, finanziert durch Besteuerung der Unternehmen und großen Vermögen!

Abschaffung des Bachelor! Schluss mit der Verschulung der Uni, mit Anwesenheitspflichten und Leistungsterror! Kontrolle über die Studienordnung durch Studierende und Lehrende, Kontrolle über Unis u.a. Bildungseinrichtungen durch die Lernenden, Lehrenden und die Arbeiterbewegung!

Gemeinsamer Kampf!

Neueinstellung von 100.000 neuen LehrerInnen an den Schulen bei gleichzeitiger Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohn- und Personalausgleich!

Kein Outsourcing von Mensen u.a. Einrichtungen der Unis! Tarifliche Bezahlung für alle Lehrbeauftragen, Beschäftigten und einen Mindestlohn von 10 Euro netto pro Stunde für Reinigungskräfte, Mensenbeschäftigte usw.!

Für das Recht auf volle politische Betätigung an der Uni ohne Wenn und Aber!

Polizei, Verfassungsschutz und Sicherheitskräfte raus aus Schulen und Unis!

Massenblockaden und organisierte Selbstverteidigung gegen Räumungsversuche!

Aufbau von Besetzungs- und Streikkomitees, die von den Plena und Vollversammlungen (VVs) gewählt werden, diesen verantwortlich und jederzeit abwählbar sind!

Bundesweite Koordinierung der Aktionen, rasche Einberufung einer bundesweiten Delegiertenkonferenz aller besetzten Unis!

Einberufung einer Aktionskonferenz aller im Bildungsbereich Kämpfenden, Verknüpfung mit den Anti-Krisenbündnissen, um die Losung „Vom Bildungsstreik zum Generalstreik!“ Realität werden zu lassen!

19. Zweitens muss von den BesetzerInnen wie auch von Bildungs- und SchülerInnenbündnissen eine systematische Agitation für Besetzungsstreiks gemacht werden. Warum? Erstens haben jahrelange „Reformdiskussionen“ gezeigt, dass von den Uni-Leitungen, den Ministerien usw. nichts zu erwarten ist außer folgenloses und daher nutzloses „Verständnis“. Daher müssen die Aktionen verstärkt werden. Nur Besetzungen an den Unis und Schulen erlauben, längerfristig Druck auszuüben, weil so erstens der Lehrbetrieb lahmgelegt werden kann und so ein wichtiger Teil der Reproduktion in der bürgerlichen Gesellschaft gestört wird. Vor allem aber haben die SchülerInnen und Studierenden so Zeit, nicht ständig Protest und Schule/Studium unter einen Hut kriegen zu müssen. Sie müssen dazu auch fordern, dass ihre Aktionen als „Streiksemester“ anerkannt werden, um so keinen Schaden für ihr Studium zu erleiden. Zweitens erleichtert das aber auch der großen Masse der Studierenden, sich mit Aktionen, Flugblättern an die Bevölkerung zu wenden oder Kämpfe von SchülerInnen und ArbeiterInnen in großer Zahl aktiv zu unterstützen.

20. Zweifellos ist es schwer, wenn nicht unmöglich, unmittelbar zu Vollbesetzungen zu schreiten. Die Besetzungen einzelner Hörsäle selbst haben aber nur eine Perspektive, wenn sie sich die Vorbereitung solcher Besetzungen zum Ziel setzen - ansonsten werden sie früher oder später „bröckeln“ und zum Selbstzweck verkümmern. Aktuell scheuen viele Landesregierungen und Uni-Leitungen eine direkte Konfrontation mit den Besetzungen, sie versuchen eher, diese zu „umarmen“, teils auch für ihre Zwecke anzunutzen. Das bedeutet, dass an vielen Unis Räumungen nicht unmittelbar (also in dieser Woche) bevorstehen. Die Studierenden dürfen sich hier aber auf keine falschen Versprechungen einlassen. Sie können und sollten dieses Zeitfenster zur Stärkung und Ausweitung der Besetzungen inkl. der dazu notwendigen Vorbereitungsarbeit nutzen.

21. Um die Aktionen zu verstärken und besser zu koordinieren, brauchen die Besetzungen politisch verantwortliche Streik- oder Besetzungskomitees, die während der Plena oder VVs die Streikenden nach außen repräsentieren, über taktische Fragen (z.B. Was tun, wenn die Polizei kommt?) entscheiden und die Koordinierung mit anderen Unis/Besetzungen übernehmen.

22. Die Studierenden müssen sich mit den Bündnissen der SchülerInnen koordinieren, mit Kämpfen der ArbeiterInnen, mit Anti-Krisenbündnissen, um mit diesen gemeinsam rasch weitere Aktionen, Demonstrationen, Blockaden usw. zu organisieren, um den Druck der Bewegung zu erhöhen.

23. Um die Dynamik der Besetzungen, der Aktionen zu stärken, sind nicht nur Agitation und Aufklärung an den Unis wichtig. Es müssen auch regelmäßig Aktionen in den Städten erfolgen, um die Bevölkerung zu erreichen und um deren Solidarität zu kämpfen.

24. Um die Aktionen und Proteste im Bildungsbereich zu stärken und besser zu verbinden, schlagen wir die Schaffung einer bundesweiten sowie auch einen internationalen Koordinierung der Proteste im Rahmen von Aktionskonferenzen vor. Für Deutschland sollten die besetzenden Unis rasch eine solche Konferenz einberufen. Als erster Schritt wäre eine Konferenz direkt im Anschluss an die Bonner Bildungsproteste notwendig, zu der auch VertreterInnen aus den Kitas, von ver.di, der GEW, von Beschäftigten der Mensen usw. eingeladen werden sollten.

Die Frage der Führung und Organisierung

25. Die Besetzungen wie die „Bildungsbewegung“ erscheinen oft als „führungslos“. Das ist natürlich eine Fiktion, eine Illusion. Fast alle politischen Gruppierungen an den Unis - außer Rechtsradikalen, RCDS (CDU/CSU-Studenten) und Liberalen Studenten (FDP) - unterstützen die Proteste und ihre Anliegen, während RCDS und Liberale Studenten die Regierungen und Uni-Leitungen der „Kapitulation“ vor den „Chaoten“ bezichtigt haben.

26. Die Asten, also die Vertretungen der Verfassten Studierendenschaft, halten sich bei den Besetzungen vornehm zurück. Sie treten oft nicht offen in Erscheinung, behalten sich aber vor, „hinter den Kulissen“ und über ihre Apparate, Geldmittel und Funktionäre die Kontrolle über die Bewegung zu haben, ohne offen aufzutreten. Sie, bzw. die darin vertretenen Fraktionen von Jusos, Grünen über diverse autonome Inis/Listen und SDS - weigern sich, einen Plan und eine Perspektive für die Bewegung vorzulegen und dafür einzutreten. Das erscheint auf den ersten Blick positiv - als „freiwilliger Verzicht“ auf „Bevormundung“. In Wirklichkeit bedeutet es jedoch nur, dass diese politischen Strömungen ihrer eigenen politischen Verantwortung nicht nachkommen und es ablehnen, den Studierenden eine Perspektive und Strategie vorzuschlagen.

27. Dieses Vorgehen erschwert die Schaffung verantwortlicher Strukturen und der Kontrolle z.B. über die Asten u.a. Apparate. Es fördert den Mangel an politischer Bewusstheit und stärkt die Anpassung an die vorhandenen Stimmungslagen unter den Studierenden.

28. An allen Unis dürfte es eine mehr oder weniger große Minderheit geben, die den Protest auf „realistische“ studentische Belange begrenzen will. Das entspricht auch der Klassenlage der Studierenden - genauer gesagt der Tatsache, dass diese unterschiedliche, ja gegensätzliche Klassenherkunft und Perspektiven haben. Hinter dem Ruf, sich auf „rein Studentisches“ oder „Hochschulpolitisches“ zu begrenzen, hinter der Forderung, „politisch neutral“ zu sein, verbirgt sich eben nicht Neutralität, sondern die kleinbürgerliche Fiktion, dass es eine Uni oder gewichtige Forderungen im Bildungsbereich geben könne, die außerhalb des Klassengegensatzes stünden. Weil diese Forderung jedoch eine Fiktion ist, so erweist sich der neutrale Standpunkt in der Praxis immer wieder als Ideologie, die der herrschenden Klasse zugute kommen muss (unabhängig vom subjektiven Wollen ihrer UnterstützerInnen). Dieses Spektrum reicht politisch gesehen von Teilen der Reformisten, über Grüne, Liberale usw. Objektiv ist es bürgerlicher Protest, weil er bewusst bereit ist, die Probleme „der“ Universität oder „der“ Studierenden ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Konsequenzen zu lösen; weil er bereit ist, eine Lösung der Uni-Probleme auf Kosten der Arbeiterklasse in Kauf zu nehmen.

29. Die dominierende politische Strömung in den Protesten ist das liberätere Spektrum. Anders als die offen „rein studentisch“ ausgerichtete Strömung, möchten diese durchaus die Proteste politisieren, mit dem Kampf gegen Neo-Liberalismus, teilweise auch mit der Kritik am Kapitalismus, mit gemeinsamen Aktionen mit ArbeiterInnen, SchülerInnen, Unterdrückten, MigrantInnen verbinden. Sie treten auch für eine internationale Solidarisierung ein.

Doch sie suchen das Problem etwaiger Bürokratisierung und einer Kampfstrategie und einer Kampfführung durch die Fetischisierung von Kleingruppenarbeit zu lösen. Sie lehnen verantwortliche und entscheidungsbefugte Streikkomitees und Delegiertenstrukturen ab, selbst wenn deren Tätigkeit durch Rechenschaftspflicht transparent gestaltet werden soll und diese von Vollversammlungen gewählt und abwählbar sein sollen. Sie lehnen Mehrheitsentscheidungen zugunsten des Konsensprinzips ab. Politisch umfasst diese Strömung eine Reihe kleinbürgerlicher Demokraten, diverser Strömungen des Anarchismus und Autonomismus, aber auch als „Basisdemokraten“ maskierte Reformisten aus dem SDS.

Für die weitere Entwicklung der Bewegung ist diese „Taktik“ fatal. Sie bietet sie keine wirkliche politische Antwort auf den Neutralismus, weil diese Strömung zwar eine starke, kämpferische Bewegung will, ihre politische Strategie und ihre daraus abgeleiteten Organisationsformen die weitere Entwicklung einer Massenbewegung aber lähmen, unterminieren - und letztlich verhindern müssen.

30. Demgegenüber gilt es eine revolutionäre, klassenkämpferische, kommunistische Führung unter den Studierenden, wie in der Bildungsbewegung insgesamt aufzubauen. Eine solche muss sich - auch wenn sie momentan gering an Zahl ist - nicht nur durch Kritik der bürgerlichen Universität und Bildungseinrichtungen sowie durch den Kapitalismus selbst hervortun, sondern auch praktische Vorschläge darlegen, wie die Bewegung gestärkt und aufgebaut werden kann - wie sie siegen kann. Sie muss ein kämpfender Teil der Bewegung sein.

31. Arbeitermacht und REVOLUTION sind seit Jahren aktiv im Kampf gegen die neo-liberalen Angriffe auf das Bildungssystem. Wir haben aktiv Streiks und Großdemonstrationen der SchülerInnen und Studierenden mitorganisiert, so auch am 17. November. Dabei haben wir immer für eine möglichst große Einheit in der Aktion gekämpft und diese versucht, aktiv herbeizuführen.

Wir sind immer für demokratische Kampfstrukturen der Bewegung (VVs, gewählte und abwählbare Streik- und Besetzungskomitees, bundesweite Koordinierung) eingetreten. Wir propagieren seit Jahren die Schaffung einer dauerhaften, über die einzelnen Protest- und Mobilisierungswellen hinaus gehende Kampforganisation der Studierenden und SchülerInnen: eine StudentInnen- und SchülerInnengewerkschaft. Die Notwendigkeit einer solchen Organisation zeigt sich auch in den aktuellen Protesten sehr deutlich.

32. Aber wir wissen, dass der Kampf gegen Verschlechterungen im Bildungssystem und für Verbesserungen der Lage der SchülerInnen, Studierenden, Beschäftigten in diesem System immer nur zeitweilig erfolgreich sein kann. Daher treten wir dafür ein, diesen Kampf mit dem Kampf um die Befreiung von Ausbeutung und Unterdrückung, mit dem Kampf für die internationale sozialistische Revolution zu verbinden.

Wir rufen alle SchülerInnen und Studierenden, die diese Ziele teilen auf: Tretet mit uns in Kontakt! Kämpfen wir gemeinsam! One solution - revolution!

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