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Kaschmir

Solidarität mit dem Streik der Busfahrer!

Interview mit Shakeil Ahmed (Jammu & Kashmir State Road Transport Corporation Workers Union)

Die Beschäftigten der staatlichen Verkehrsgesellschaft im indischen Teil von Kaschmir sind seit mehr als zwei Monaten im Streik. Im Folgenden veröffentlichen wir ein Interview mit, Shakeil Ahmed, dem Vorsitzenden der Jammu & Kashmir State Road Transport Corporation Workers Union. Er wurde von GenossInnen unserer internationalen Strömung, der Liga für die Fünfte Internationale, geführt, die sich gerade auf einer Rundreise durch Indien befinden.

Liga für die Fünfte Internationale (LFI): Wir freuen uns, mit Dir ein Interview führen zu können. Kannst Du uns kurz Eure Organisation beschreiben?

Shakeil Ahmed (SA): Mein Name ist Shakeil Ahmed, Vorsitzender der Jammu & Kashmir State Road Transport Corporation Workers Union. Unsere Organisation ist Teil der All India Road Transport Workers Federation. In Jammu und Kashmir haben wir zur Zeit etwa 4.000 Mitglieder. Ungefähr 40.000 Menschen leben vom Einkommen unserer Mitglieder.

LFI: Wofür kämpft ihr in diesem Streik?

SA: Wir streiken, um die Regierung zu zwingen, ihre Versprechen einzulösen. Im RTC Act 1950 hat sich die Regierung dazu verpflichtet, für die Beschäftigten in den staatlichen Verkehrsbetrieben vernünftige Arbeitsbedingungen zu schaffen, faire Löhne zu zahlen und für die Busfahrer Wohnraum und Reiseunterkünfte zur Verfügung zu stellen.

Indien hat 26 Bundesstaaten. In 25 erhalten die Arbeiter diese Leistungen. Aber wir haben hier seit Mai 09 nicht einmal unseren Lohn erhalten. Nicht einmal unsere Grundbedürfnisse können wir befriedigen. In Kaschmir müssen 9-10 Menschen von einem Lohn leben. Es gibt kein Rentensystem, daher müssen auch Eltern und Grosseltern mitversorgt werden. Unsere Kinder wurden aus der Schule geworfen, weil wir die Schulgebühren nicht mehr zahlen konnten.

LFI: Wie ist generell die Situation Eurer Busfahrer?

SA: Normalerweise bekommen wir zwischen 3.000 und 9.000 Rupien, mehr nicht (ca. 40-120 Euro). In allen anderen Bundesländern liegt der Lohn zwischen 20.000 und 25.000 Rupien. Überstunden werden bezahlt, wie es das Gesetz verlangt. In Kaschmir aber müssen wir bereit sein, rund um die Uhr zu arbeiten, Überstunden werden nicht bezahlt. Auch sonst werden wir gegenüber den anderen Bundesländern benachteiligt. Wir müssen hier wie Esel schuften.

LFI: Zum Beispiel?

SA: Nehmen wir an, ein Busfahrer soll von Srinagar nach Jammu fahren. Die Fahrtzeit beträgt 12 Stunden. Der Fahrer sitzt ununterbrochen am Steuer. In Jammu muss er 2-3 Tage warten, bis er zurückfahren kann. 3 Tage lang ist er von zu Hause fort. Wo soll er schlafen? Wo soll er essen? Wir bekommen nichts zu essen, wir bekommen überhaupt nichts. Wir müssen im Bus schlafen. Wir müssen irgendwo zur Toilette gehen. Das sind doch grundlegende Bedürfnisse eines jeden Menschen. Und dann kommt er zurück und bekommt nicht einmal sein monatliches Gehalt. Die Regierung sagt, die Kassen sind leer, wir können den Lohn nicht zahlen, wir haben kein Geld. Aber in anderen Teilen Indiens geht es doch. Das ist unser Hauptproblem.

Wenn der indische Staat behauptet, demokratisch zu sein, wenn sie behaupten, Wohlstand nach Jammu und Kaschmir zu bringen, warum werden uns und unseren Familien grundlegende Dinge verwehrt?

Wenn Krieg ist zwischen Indien und Pakistan, schicken sie uns zur Armee, um als Soldaten zu dienen. Wenn sie uns brauchen, versprechen sie uns das Blaue vom Himmel. Danach stehen wir wieder mit leeren Händen da.

LFI: Was habt ihr bis jetzt getan?

SA: Heute ist der 67. Streiktag. Alle Busse stehen still. Alle Arbeiter kommen nur zu den Versammlungen und Demonstrationen. Manchmal ziehen wir zum Civil Secretary Government Officer, um dort zu protestieren, wie gestern. Seit 67 Tagen fährt nichts mehr, auch nicht die Busse nach Delhi und in andere Regionen.

LFI: Zur Zeit steht also der gesamte Verkehr still?

SA: Nein, private Busse verkehren noch immer. Das ist das Problem. Die Regierung wird auch von privaten Unternehmen bestochen, damit sie den Streik nicht durch Erfüllung von Forderungen beendet. Private Firmen bringen ihnen das Geld in Brieftaschen. Wie sollen wir das anstellen? Wir bekommen 6.000 - 7.000 Rupien. Wir haben das Geld nicht.

LFI: Wie reagiert die Regierung auf Euren Streik?

SA: Zunächst setzte uns die Regierung stark unter Druck. Jetzt sagen sie: "Kommt an den Verhandlungstisch, lasst uns reden".

Wir hatten 4 Verhandlungsrunden mit hohen Regierungsbeamten, ihr einziges Angebot war jedoch, das ausstehende Gehalt der letzten 6 Monate auszuzahlen. Aber wir brauchen eine Lohngarantie für die Zukunft. Wir wollen nicht in 3 Monaten schon wieder auf die Strasse gehen müssen. Denn die Menschen, die Ladenbesitzer, die Schüler und Studenten, die Unabhängigkeitsbewegung und andere politische Parteien würden zu uns sagen: "Ihr geht doch ständig auf die Strasse und ruft: Mehr Geld, mehr Geld, mehr Geld! Warum löst ihr es nicht ein für alle Mal?"

Wir fordern von der Regierung eine endgültige Lösung. Entscheidet euch, ob ihr die Verkehrsgesellschaft behalten wollt, oder ob ihr sie schließen wollt! Wenn ihr sie schließen wollt, gebt uns unser Geld. Wenn ihr sie behalten wollt, fordern wir monatliche Gehaltszahlung und Lohnerhöhungen.

LFI: Gibt es Solidarität in der Bevölkerung? Bekommt ihr Unterstützung von anderen Gewerkschaften?

SA: Ja, natürlich. Auch andere Gewerkschaften sind auf unserer Seite. Sie helfen uns und spenden Geld. In einer Woche wird es zu unserer Unterstützung einen Streik geben. Alle Regierungsämter werden geschlossen bleiben.

Es gibt auch Solidarität von Seiten der Untergrundorganisationen. Man kann sie Militante nennen, oder "Anti-Indians". Sie haben Erklärungen abgegeben, auch sie unterstützen uns. Sie wollen nicht, dass wir so leben müssen. Wir haben sogar Solidaritätserklärungen aus anderen Teilen der Welt erhalten, z.B. aus Britannien oder von der ILO (International Labour Organisation) in Genf.

LFI: Wie sind die allgemeinen Bedingungen beim Kampf für Arbeiterrechte in Kaschmir?

SA: Die Regierung betrachtet mich als Hardliner. Sie nennen mich einen Hardliner, weil ich für unsere Rechte eintrete. Doch ich möchte keine Marionette der Regierung sein. Lieber würde ich sterben. Ich kämpfe für die Arbeiter. Wir haben hier solche und solche Gewerkschaftsführer. Einige wollen die Arbeiter an der einen und die Regierung an der anderen Hand halten. Die anderen aber bieten der Regierung wirklich die Stirn, sie setzen sich für unsere Interessen ein.

LFI: Gibt es Repression?

SA: Ja, natürlich! Die Polizei prügelt auf uns ein, sie verwenden Tränengas und Wasserwerfer gegen uns. Vor zwei Tagen wurden auf einer unserer Demonstrationen 30 Teilnehmer verletzt, 7 davon schwer. Sie sperren uns hinter Gitter und wir kommen nur gegen Kaution wieder frei. Wenn sie wollen, können sie mich einfach mitnehmen. Sie werden behaupten, ich sei ein pakistanischer Agent: "Nehmt ihn fest, erschießt ihn!" Sie können machen, was sie wollen. Aber wir werden weitermachen - die Menschen stehen auf unserer Seite, sie stehen alle auf unserer Seite.

LFI: Wie reagiert Ihr auf die Angriffe der Polizei? Wehrt ihr Euch?

SA: Nein, wir wehren uns nicht. Wir müssen es ertragen. Nur so erhalten wir die Unterstützung der Öffentlichkeit. Gestern haben uns die Studenten ihre Unterstützung zugesichert. Sie werden an unseren Demonstrationen teilnehmen. Auch Frauen-Colleges unterstützen uns. Auch sie wollen zu unserer Unterstützung Demonstrationen organisieren. Wir müssen die Repression ertragen, sonst verlieren wir den Rückhalt in der Bevölkerung.

LFI: Eure Busfahrer in Kaschmir müssen unter anderen Bedingungen arbeiten als die Busfahrer im Rest von Indien ...

SA: Ja, definitiv. Ein Busfahrer in Delhi bekommt 20.000 Rupien, hier bekommt er 6000. Es gilt dasselbe Gesetz, es ist dasselbe Land ... Warum gibt es diese Unterschiede?! Wir sind nicht wirklich ein Teil von Indien. Wir sind Kaschmiris, doch Kaschmir ist zwischen Indien und Pakistan aufgeteilt. Aber wir wollen vereint sein.

LFI: Was ist Deine Perspektive für die Unabhängigkeit Kaschmirs?

SA: Wir wollen keine Sklaven sein. Jeder möchte frei sein - auch im pakistanischen Teil von Kaschmir. Sie wollen keine Sklaven von Pakistan sein. Kaschmir kämpft für die Unabhängigkeit, doch Indien geht darauf nicht ein. Sie beschuldigen Pakistan, Pakistan beschuldigt Indien. Und die reichen Länder machen Geschäfte damit. Sie machen Geschäfte auf unserem Rücken. Sie verdienen Geld auf dem Rücken der Menschen in Jammu und Kaschmir, auf dem Rücken der Menschen in Palästina, in Bosnien-Herzegowina und in anderen Ländern.

LFI: Ihr seid seit 67 Tagen im Streik. Was denkst Du, wie wird dieser Streit weitergehen?

SA: Es kommt nicht auf 67 Tage an. Entweder wir werden unsere Ziele erreichen oder wir werden für immer unsere Jobs verlieren. Man kann der Regierung einmal, zweimal oder dreimal glauben. Sie hat schon 13 Mal ihre Versprechen gebrochen, diesmal soll das letzte Mal sein. Wir werden diesen Streik nicht beenden, bevor eine endgültige Lösung getroffen wurde.

LFI: Vielen Dank für das Interview. Wir wünschen euch viel Kraft und Erfolg.

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