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Bilanz

Die „Randalierer von Strasbourg“ und die Propagandalügen der bürgerlichen Presse

Martin Suchanek, Infomail 417, 7. April 2009

Die Story der (deutschen) bürgerlichen Presse ist einfach: Während „Randalierer“ in Strasbourg die halbe Stadt platt gemacht haben sollen, hätten die NATO und v.a. US-Präsident Obama die Welt mit „Friedensbotschaften“ beglückt.

Frankreich ist in die große NATO-Familie zurückgekehrt, Kroatien und Albanien wurden aufgenommen. Die Türkei soll eine größere Rolle als Vasall im Nahen und Mittleren Osten spielen – was im Gegenzug wohl auch freie Hand für den türkischen Staat in Kurdistan bedeutet. Auch mit Russland soll die Kooperation wieder intensiviert werden. Mit dem Dänen Rasmussen konnte sogar ein neuer Generalsekretär bestellt werden.

In Prag verspricht Obama ein Programm zur weltweiten Abrüstung und zur Abschaffung der Nuklearwaffen. Beginnen soll damit natürlich Nordkorea, dem deshalb weitere Boykottmaßnahmen, Erpressung bis hin zur Intervention angedroht werden.

Außerdem sollen weitere 5.000 Mann NATO-Truppen (davon 600 aus Deutschland) nach Afghanistan geschickt werden, um dort ihre „Friedensmission“ zu erfüllen und der pro-imperialistischen Marionettenregierung und etwaigen überlaufenden „gemäßigten Taliban“ – also jenen, die sich vom Westen haben kaufen lassen – zu helfen.

Der NATO-Gipfel von Strasbourg war ein Gipfel der Heuchler, der wirklichen „Randalierer“, der größten Terroristen der Welt, die in Zeiten einer historischen Krise des Kapitalismus, wachsender Instabilität, Unruhe und Widerstand ihre Interessen mit allen Mitteln verteidigen.

Die Beschlüsse der G 20 wie des NATO-Gipfels bringen die Gegensätze zwischen den großen Staaten und Blöcken zum Ausdruck, aber auch die unbedingte Bereitschaft der USA, der führenden EU-Nationen Deutschland und Frankreich sowie der anderen Mächte, die kapitalistische Weltordnung zu verteidigen. Und hier ist die NATO für den Westen noch immer alternativlos. Daher muss sie auch gefeiert und verteidigt werden.

Repression

Die Proteste gegen den G 20-Gipfel in London und gegen die NATO-Feierlichkeiten wie gegen Obamas Besuch in der Türkei zeigen, dass die imperialistischen Weltbeherrscher nicht willkommen sind, dass ihre Legitimität ins Wanken gerät.

Sie zeigen aber auch, dass diese daher zu einer Verschärfung der Repression wie schon bei früheren Gipfeln greifen.

In London starb ein Passant bei den Protesten. Zuerst hieß es, er hätte einen Herzinfarkt erlitten. Als sich jedoch herausstellte, dass der Mann eine Kopfwunde hatte, versuchten die Polizei und die Boulevardpresse seinen Tod den DemonstrantInnen in die Schuhe zu schieben.

Auch im Vorfeld der Aktionen in Strasbourg kam es zu massiven Polizeikontrollen. Vielen AktivistInnen wurde die Einreise verweigert, an den Grenzen fanden schikanöse Untersuchungen statt.

Die deutsche Polizei, die bürgerliche Presse und der Staat rechtfertigen diese drastische Einschränkung elementarer demokratischer Rechte nun zynisch damit, dass so die „Proteste“ in Baden-Baden und Kehl weitgehend „friedlich“ geblieben seien, während in Frankreich „Chaos“ geherrscht hätte. Sie werfen den professionellen Tränengaswerfern von der französischen Polizei Laschheit, zu wenig Überwachung und zu wenige Festnahmen im Vorfeld vor. Jetzt soll auch der französische Polizeiapparat am deutschen Wesen genesen.

Diese „Kritik“ an der Taktik der französischen Bullen enthält nicht nur jede Menge deutschen Chauvinismus, sie verkennt auch die Lage. Trotz „Chaos“ hatten die französischen Bullen die Lage zumeist im Griff. Dass sie ein leeres Zollamt auf einer Insel und ein Hotel abfackeln ließen, hat seinen Grund in einer anders gearteten Polizeitaktik – nicht darin, dass es für sie prinzipiell unmöglich gewesen wäre, mit größeren Verbänden direkter einzugreifen. Das „flächendeckende“ Beschießen von ganzen Demos mit Tränengas und anderen Mitteln ist vielmehr ihre spezifische Art, Menschenmengen und Demos aufzusplittern und zu zermürben, ohne die „eigenen Einsatzkräfte“ ins Gemenge schicken zu müssen.

Schließlich darf auch nicht vergessen werden, dass es deutschen wie französischen Sicherheitskräften gelang, die internationale Großdemonstration auf eine Kundgebung in Kehl und eine Demonstration auf einer fast unbewohnten Insel in Strasbourg zu verbannen. Selbst dort – abseits von der Innenstadt - wurde der Zugang massiv behindert. Stundenlang wurden die Rheinbrücken gesperrt und DemonstratInnen am Zugang zum Ort der Auftaktkundgebung gehindert (und zwar rund eine Stunde länger als ursprünglich angedroht).

Trotzdem ließen sich mehr als 20.000 Menschen – insgesamt wohl 15.000 in Strasbourg, über 6.000 in Kehl – und viele Tausende, die wegen Kontrollen, Schikanen usw. nicht oder nicht mehr rechtzeitig ankommen konnten, nicht einschüchtern. Sie beteiligten sich aktiv an Blockaden am Morgen des 4. April, gingen danach zum Auftaktplatz der Demonstration - Tränengaseinsatz, Blendgranaten oder Gummigeschosse konnten sie nicht abschrecken.

Kritische Bewertung der Proteste

Trotzdem müssen wir auch eine kritische Bewertung der Proteste vornehmen. Die Anzahl der DemonstrantInnen in Baden-Baden, Kehl und Strasbourg blieb trotz der enormen symbolischen Bedeutung des NATO-Gipfels und trotz des Wiedereintritts Frankreichs in die NATO deutlich kleiner als erwartet und als möglich gewesen wäre.

Repression und Einschüchterung im Vorfeld bedeutet sicher, dass viele abgeschreckt wurden. Es erklärt aber keineswegs, warum die Mobilisierung so deutlich hinter vergleichbaren Gipfelprotesten – z.B. dem G8-Gipfel in Heiligendamm zurückblieb.

Sicherlich ist auch die Tatsache, dass viele ArbeiterInnen mehr von den Auswirkungen der Wirtschaftskrise berührt sind, dass es in Frankreich mehr Betriebsbesetzungen und zwei Generalstreiks gab, dass in Deutschland über 50.000 am 28. März auf der Straße waren, ein Faktor, der es etlichen AktivistInnen erschwerte, auch noch nach Strasbourg zu kommen.

Aber die Massenorganisationen der Arbeiterbewegung - die Gewerkschaften, die reformistischen Massenparteien wie DIE LINKE oder die KP Frankreichs und selbst die zentristische NPA, die immerhin 10.000 Mitglieder zählt, mobilisierten mit angezogener Handbremse.

Die reformistische Führung in der Sackgasse

Die reformistische Führung der Anti-Kriegsbewegung, die von Organisationen wie der Linkspartei, der DKP, der KPF, Teilen der Gewerkschaftsbürokratie und linken Sozialdemokratie bis hin zu den Grünen und kirchlichen Organisationen gestellt wird, verfolgt im Grunde folgende Strategie:

Die Kriegspolitik der NATO und der imperialistischen Staaten soll durch den „Druck der öffentlichen Meinung“, durch die Gewinnung „friedlicher“ und fortschrittlicher Teile der herrschenden Parteien gestoppt werden. Daher ist ihr Hauptmittel auch nicht der Kampf auf der Straße, geschweige denn politische Streiks gegen die konkreten Kriegsanstrengungen und die Besatzung oder gar die offene Solidarität mit dem Widerstand gegen imperialistische Kriege und Okkupation.

Ihre Strategie unterstellt, dass auf dem Boden des imperialistischen Systems eine andere, „friedliche“ kapitalistische Großmachtpolitik verfolgt werden könne, indem sie die Kritik am Kapitalismus von der am Militarismus und am imperialistischen Krieg trennt.

Zugleich hoffen sie, durch die Beschränkung ihrer Aktionen auf pazifistische Formen, die „öffentliche Meinung“ für sich zu gewinnen. Doch das ist eine Illusion! Die „öffentliche“ Meinung - sprich die von den bürgerlichen Medien veröffentlichte Meinung - wird schließlich letztlich von derselben herrschenden Klasse, von der Kapitalistenklasse, kontrolliert, in deren Interesse der Staat auch Krieg führt oder demokratische Rechte einschränkt.

Sie hoffen so, die „fortschrittlichen“ oder „nicht-militaristischen“ Teile der herrschenden Klasse zu gewinnen, indem sie den Kampf um die „Medienhoheit“ führen – die Hoheit über eben jene Medien, die den Berlusconis oder den bürgerlichen Staaten gehören.

Diese sollen „wohlwollend“ über ihre Kritiker berichten. Allein das zeigt, dass die pazifistische und reformistische Führung der Anti-Kriegspolitik ihre Strategie nicht auf eine Analyse des Klassencharakters der bürgerlichen Öffentlichkeit stützt, sondern auf Fiktionen, die regelmäßig wie Seifenblasen zerplatzen.

Allerdings nimmt diese Führung ihre Fiktion so weit ernst, als sie jeden, die bürgerliche Öffentlichkeit störenden Protest, jede Aktionsform, die über das „Erlaubte“ hinausgeht, zu unterbinden versucht.

So wollte die Mehrheit des Internationalen Koordinierungsgremiums der Demonstration am Freitag schon die Einschränkungen der Demonstrationsroute - das Verbot, in der Innenstadt in Gipfelnähe zu protestieren - einfach akzeptieren. Sie wollten nicht abwarten, ob es aufgrund der Masse und Militanz der TeilnehmerInnen eventuell durchbrochen werden könnte.

Es war vor allem dem Eingreifen von VertreterInnen der Interventionistischen Linken, des antikapitalistischen Blocks auf der Demonstration – darunter auch GenossInnen der Gruppe Arbeitermacht/Liga für die Fünfte Internationale – wie auch britischen und griechischen Delegierten zu verdanken, dass nicht schon am Freitag eine vorauseilende Kapitulation beschlossen wurde. Beschämend und auffällig war an dieser Stelle allerdings das Verhalten der NPA, die sich zu dieser Frage vornehm „zurückhielt“ und schwieg.

Dabei steht die Führung der Bewegung in einem schreienden und offenen Widerspruch zur großen Masse der AktivistInnen und DemonstrantInnen auf diesen Manifestationen.

Doch die Stärke der reformistischen Führung liegt zugleich auch in der politischen Schwäche – sei es im Opportunismus oder im Sektierertum – linkerer Kräfte.

Ein Teil der radikalen Linken – wie die NPA in Frankreich – akzeptiert offenkundig die „Führungsrolle“ der Reformisten in diesen Gremien und stellt ihnen keine Alternative entgegen - trotz ihrer Popularität und linken Proklamationen.

Ein anderer Teil, wie die französischen AnarchistInnen, wiederum sucht sein Heil darin, die Frage der Führung, des Kampfes um eine politische Linie der Gesamtbewegung durch die „direkte Aktion“ bis zu ihren absurdesten Formen zu „lösen“, wenn z.B. Bushaltestellen oder parkende Privatautos in Banlieues (Vorstädten) „angegriffen“ werden.

Dahinter steht die phantastische Vorstellung, dass die reformistischen Führungen der Massen durch die „reine Aktion“, durch das einfache „Ausleben“ der Radikalität überwunden werden könnten.

In Wirklichkeit heißt das nur, dass der reformistischen Spitze der Bewegung durch den Verzicht auf die koordinierte gemeinsame Aktion, die nichtrevolutionären, von reformistischen Gewerkschaften und reformistischen Parteien oder kleinbürgerlichen Organisationen geführten Massen praktisch überlassen werden.

So bildet der Anarchismus wie auch der „Schwarze Block“ in Wirklichkeit keine Alternative zur reformistischen Führung, weil er im Voraus jede Taktik ablehnt, die diese Führung in Frage stellen könnte. Er verzichtet im Voraus auf jede Vermittlung seiner politischen Ziele an die Massen, weil er der Illusion aufsitzt, dass die „reine Aktion“ für sich spreche.

Er bildet somit kein Alternative, sondern das „linksradikale“ Pendant zur reformistischen Abwiegelei. Während die Reformisten den Legalismus fetischisieren, fetischisiert der „Schwarze Block“ den Pflasterstein.

Vor diesem Hintergrund scheiterten die Bemühungen des „antikapitalistischen Blocks“ auf der Demonstration, den auch Arbeitermacht und REVOLUTION unterstützten, der Militanz einen organisierten Ausdruck zu geben und zugleich größere Massen in den Kampf für die Durchsetzung einer Demo-Route in die Innenstadt einzubeziehen. Trotzdem war dieser Ansatz politisch richtig; er muss jedoch bei zukünftigen Aktionen besser vorbereitet und organisiert verfolgt werden.

Politische Lehren

Die Aktionsbereitschaft vieler AktivistInnen in Strasbourg – aber auch schon davor – zeigt, welches Potential sich in Europa und international im Kampf gegen die Krise formiert. Sie droht jedoch ins Leere zu laufen, wenn die subjektiv revolutionären AktivistInnen nicht in der Lage sind, eine politische Alternative zur reformistischen Führung der Bewegung wie auch zum pseudolinken Anarchismus und Autonomismus aufzubauen.

Diese muss erstens vom Charakter der gegenwärtigen Periode als einer historischen Krise des Kapitalismus ausgehen und der daraus folgenden dramatischen Verschärfung des Klassenkampfes, der Angriffe der Herrschenden – aber auch der Möglichkeiten und der Notwendigkeit revolutionärer Gegenwehr.

Zweitens müssen der Kampf gegen die ökonomischen Auswirkungen der Krise und imperialistische Kriegspolitik wie gegen verschärfte Repression als eine Einheit aufgefasst werden.

Drittens bedeutet es, dass wir eine revolutionäre Alternative nicht nur zur reformistischen Führung der Bewegung, zu deren Anbiederung und Pazifismus, aber auch zu den politisch hoffnungs- und nutzlosen Taktiken der Anarchisten brauchen. Das kann nur eine revolutionäre Arbeiterpartei und Internationale sein, eine neue Fünfte Internationale, die - gestützt auf ein Programm von Übergangsforderungen - in der Bewegung wirkt und für eine revolutionäre Führung, Strategie und Taktik kämpft.

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