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Amoklauf in Winnenden

Hintergründe einer Tragödie

Martin Suchanek, Infomail 412, 13. März 2009

Die 16 Toten von Winnenden bewegen die Öffentlichkeit. Die tiefe Trauer und Erschütterung der Angehörigen, der Eltern, Geschwister, der MitschülerInnen, FreundInnen und KollegInnen der Toten erweckt wohl in jedem menschlichen Wesen Mitgefühl und Entsetzen.

Das Entsetzliche und scheinbar Unerklärliche ist aber auch ein Medienereignis. Wo die „Freiheit der Meinung“ ein milliardenschweres Geschäft ist, darf keine Fernsehkamera fehlen; statt stiller Trauer erleben wir einen Wald von Kameras und Mikrofonen und Heerscharen von Reportern, die hilflos-„betroffene“ oder gar dämlich voyeuristische „Fragen“ stellen.

Ursachenforschung der bürgerlichen Öffentlichkeit

Doch die Medien und die bürgerliche Öffentlichkeit „berichten“ nicht nur, sie wollen auch erklären. Auf der Suche nach der „Ursache“ muss die Psychologie zu Rat gezogen werden. War der Täter verschlossen, schüchtern, hatte er „Probleme“, spielte er gar Computerspiele?

Der 17jährige in Winnenden ist Amok gelaufen. Die „Suche nach der Erklärung“, die Suche nach der Prävention führt – wie immer - in die Irre. Wer die Ursache dieses o.a. Amokläufe in psychologischen Mustern oder in „Spielgewohnheiten“ sucht, der wird nichts finden außer ebensovielen Spekulationen wie Gegenspekulationen.

Die gesellschaftlichen Ursachen des Amoks werden ausgeblendet, ja müssen ausgeblendet werden. Und damit meinen wir keineswegs nur die schlechten Verhältnisse an den Schulen, den Mangel an Lehrern, Ausbildungsplätzen usw. – also Umstände, die selbst nur Resultat einer krisenhaften Lage der Gesellschaft sind. Der Amok-Lauf eines Schülers ist nur die Spitze des Eisbergs, einer aufgestauten Gewalt und Energie, die selbst Resultat des zunehmenden Drucks auf Jugendliche, auf alle Mitglieder dieser Gesellschaft sind. Er ist ein besonders krasses Ergebnis ständig verschärfter und zunehmend perspektivloserer Zurichtung des Individuums für sein Funktionieren im Kapitalismus.

Während Jugendliche in Zeiten des besseren Geschäfts dafür wenigstens einen Ausbildungsplatz, eine „Zukunftsperspektive“ oder gar eine kleine Karriere vor Augen haben (und das auch erreichen) konnten, so führt der ganze Stress für immer mehr Menschen zu nichts – außer Frustration.

Dass sich Wut, Frustration und Perspektivlosigkeit gerade im Amoklauf von Kindern aus „gutem Haus“, aus „stabilen Verhältnissen“ und gar nicht oder nur selten bei den „Underdogs“ aus den unteren Schichten der Arbeiterklasse oder bei MigrantInnen manifestiert, ist der (klein)bürgerlichen Mediendiagnostik ein unerklärliches Mysterium. Die soziale Herkunft vieler Amokläufer aus den USA und der BRD widerspricht nicht nur offenkundig den gängigen sozialfürsorglichen bis offen rassistischen Deutungen. Sie  verweist auch auf gesellschaftliche Ursachen.

Gerade bei den Angehörigen der Arbeiteraristokratie, der in sich sehr differenzierten Mittelschichten bis hin zu kleineren Kapitalisten – also der „Mitte der Gesellschaft“, den staats- und Demokratie tragenden Klassen und Schichten – äußert sich die Lebenskrise der bestehenden kapitalistischen Gesellschaftsformation in äußersten inneren Gegensätzen.

Einerseits soll das Bestehende irgendwie gerettet werden, schließlich war man „tüchtig“, hat sich etwas aufgebaut, hat an die Gesellschaft geglaubt, will jedenfalls zur Zeit keine grundlegende Veränderung der Verhältnisse, sondern deren Rettung per „Rettungsschirm“, Konjunkturprogramm oder Steuergeschenke.

Andererseits ruiniert die Krise auch diese Schichten. Der Ruin droht nicht nur den Ärmsten der Armen. Er droht auch der „Mitte“. Doch diese Misere erschließt sich ihr wegen ihrer eigenen sozialen Stellung nur schwer. Wo ein ganzes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem Amok läuft, darf der Amoklauf eines Einzelnen damit nichts zu tun haben.

Ein System läuft Amok

Dieser gesellschaftliche Widerspruch – selbst Resultat der Krise, des „Amoklaufs“ der kapitalistischen Verhältnisse – nimmt in der Regel scheinbar „harmlosere“, weil vor allem gegen die eigene Person gerichtete Formen an, gerade bei Jugendlichen. Drogenkonsum, Psychosen, Suizide nehmen unter den gegebenen Verhältnissen zu.

Davor rettet uns keine Drogenprävention, keine Nichtraucher-Kampagne, keine Schülerkontrollen, kein Psycho-Doc auf Krankenschein.

In einer Periode, in der die gesellschaftlichen Verhältnisse selbst aus dem Ruder laufen, hilft nur der Kampf gegen diese Verhältnisse, gegen die Abwälzung der Krisenlasten auf die Arbeiterklasse und auch die Mittelschichten, um der Ausbreitung aller möglichen Formen von selbst-destruktiver oder, politisch weitaus bedrohlicher, autoritärer, rassistischer oder faschistischer „Alternativen“ zu begegnen. Die beste Antwort auf die Vereinzelung von Jugendlichen, auf Depression, Suizid oder gar Amok ist der Kampf für eine andere, von den Zwängen der Kapitalverwertung und bürgerlicher Repression und Enge befreite Gesellschaft – der Kampf für die sozialistische Revolution, für eine Gesellschaft, die nicht mehr gefangen ist in den inneren Widersprüchen des Kapitalismus.

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