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Bolivien Vor dem Bürgerkrieg

Für eine Arbeiterrepublik zur Einheit des Landes

Infomail 324, 22. September 2007

Bolivien wird durch die eigene Kapitalistenklasse zerrissen. Angesichts der rechten Offensive befindet sich die Regierung unter Evo Morales in der Krise. Nur die Arbeiterklasse kann die Pläne der Rechten durchkreuzen.

Entwicklung der letzten Monate

Am 15.8.2007 stand das Leben in der bolivianischen Stadt Sucre durch Massendemonstrationen, deren Hauptziel es war, den Sitz der Regierung von La Paz nach Sucre zu verlegen, still. Das war ein Schlag gegen Regierungschef Morales und seine Bewegung für den Sozialismus (MAS). Am 28.8. wurde von den Rechten ein Streik organisiert und damit Cochabamba lahm gelegt, das als Hochburg der MAS und der Volkskräfte gilt.

Nach einer das ganze Jahr währenden Kampagne durch die Finanz- und Grundbesitzeroligarchie des Landes, die die Arbeit der Konstituante behindert und demoralisiert hat, steht Bolivien jetzt am Rande einer größeren politischen Krise. Während dieser Periode haben Morales und die MAS den rechten Kräften wiederholt Zugeständnisse gemacht.

Nun hat er zu einer Demonstration von 100.000 ArbeiterInnen, Bauern und der indigenen Bevölkerung für den 10. September aufgerufen. Sie soll Druck auf die Rechten ausüben, damit sie ihre Blockade und Sabotage gegen die Konstituante und ebenso ihre Pläne zur völligen Abtrennung der an Rohstoffen reichen Süd- und Ostprovinzen, die unter dem Namen Halbmond (media luna) geläufig sind, aufgeben sollen.

Mitten in dieser Krise hat die bolivianische Arbeiterklasse begonnen, sich politisch zu organisieren. Sie muss Verteidigungsmaßnahmen ergreifen, um die von den Rechten und der US-Botschaft vorbereitete Konterrevolution zu bannen und zu zerschlagen.

Die Rechten in der Offensive

Fast ein Jahr haben die rechten Organisationen und Machtzentren innerhalb der Konstituante und auf den Straßen der Provinzen, die sie beherrschen, die Wünsche der bolivianischen Bevölkerung nach deutlicher Verbesserung ihrer Lebensumstände durch Maßnahmen der Konstituante torpediert. Dazu gehören die vollständige Verstaatlichung der bolivianischen Gas- und Ölvorräte, stark erweiterte Rechte für die indigene Bevölkerungsmehrheit Boliviens sowie die Landfrage.

Die Rechten haben Morales bereits zu Beginn seiner Amtszeit ein Zugeständnis abgerungen, dass die Konstituante nur mit Zweidrittelmehrheit Artikel für die neue Verfassung beschließen darf. Seitdem haben sie dies benutzt, um Referenden zu einigen wichtigen Punkten zu fordern. Darüber hinaus muss die Konstituante die Dauer ihrer Tagungen, ihre Erweiterung und andere Prozeduren von der bestehenden Nationalversammlung genehmigen lassen. Somit ist die Konstituante keineswegs eine eigenverantwortliche Körperschaft, sondern räumt der rechten Minderheit Vetorechte ein. Zudem können die Rechten mit der Androhung der Abtrünnigkeit „ihrer Provinzen“ Morales erpressen.

Der jüngste dieser Sabotageakte war die Forderung, dass die Konstituante eine Verlegung des Regierungssitzes nach Sucre debattieren sollte. Sucre ist der amtliche Sitz der gesetzgebenden Gewalt, wo die Konstituante zusammentritt, während alle Regierungsämter in der Hauptstadt La Paz angesiedelt sind. Hiermit wird die Absicht verfolgt, in der Bevölkerung Uneinigkeit zu säen. Einige Kräfte möchten gern einträgliche Ämter der Zentralregierung in die kleinere Stadt verlegt haben.

Doch der wahre Beweggrund hierfür ist die Nähe von La Paz zum verarmten Andenhochplateu, dem Altaplano, und der riesigen Armutsstadt El Alto mit mindestens 800.000 EinwohnerInnen.

El Alto ist das Zentrum der Arbeiterklasse und der radikalen Bewegungen mit Rückhalt in der Bevölkerung. Sie sind in der FEJUVE vertreten und werden von ihr geführt, dem spanischen Kürzel für den Verband der Nachbarschaftsausschüsse. Geführt von Fejuve gelang es den Massen von El Alto, zwei rechte Regierungen und Präsidenten während der vergangenen Jahre zu stürzen. Es ist klar, warum die Rechten die Regierung aus dem Umkreis des revolutionären Drucks seitens der Massen herausholen wollen.

Im Juli schlug dieser Manipulation der Massenprotest von mehr als einer Million Menschen in El Alto entgegen, die zur Wahrung der nationalen Einheit zusammenkamen. Präsident Morales nannte diese Demonstrationen ‚historisch’, AnhängerInnen des Umzugs nach Sucre nannten sie eine ‚ungesetzliche Drohung’. Als am 15.8. eine große Demonstration für den Umzug stattfand, entschied die Konstituante, darüber nicht zu diskutieren. Daraufhin verließen etwa 50 rechte und Abgeordnete der Sucre-Region die Konstituante, einige gingen sogar in den Hungerstreik.

Aber trotz ihres bekundeten Widerstandswillens machten Morales und die MAS den Rechten große Zugeständnisse. Zunächst führten sie in der Konstituante ein verzwicktes System ein, dass der rechten Minderheit eine Menge Gelegenheiten eröffnet, die Forderungen der ArbeiterInnen zu unterlaufen. Zweitens sind sie in der Frage der Rohstoff-Gesetze zurück gewichen. Druck von den Oligarchien, der brasilianischen Lula-Regierung und die Feigheit der bolivianischen Regierung haben das Gesetz abgeschwächt, das dem Staat mehr Kontrolle über die Profite der  Konzerne ermöglicht hätte. Die Regierung hat den Firmen hinter vorgehaltener Hand zu verstehen gegeben, dass sie ungeachtet aller öffentlichen Bekundungen gegen sie ‚durch Gesetz und guten Glauben’ nichts unternehmen wird.

„Ausländische Bergbauinvestoren glauben, dass die von der bolivianischen Regierung angekündigte Rücknahme von Bergbaugesetzen weder drakonisch noch einnehmend im Sinne von höheren Steuerlasten sein wird und betreiben demzufolge weiter mit Nachdruck ihre Projekte.“ (Wirtschaftsdiensteinheit, Bolivien, Landesprofil 2006)

Unterdessen hat das „Bürgerkomitee“ von Santa Cruz, der Hochburg der Oligarchie, ein Dokument geschrieben, worin die absolute Kontrolle über Land, Vorräte, Justiz, Polizei und Armee verlangt wird. Es ist praktisch eine Unabhängigkeitserklärung, wenn dort steht: „La Paz spielt für Santa Cruz keine Rolle“.  Diese Stelle löste die millionenfache Demonstration gegen die Autonomie aus.

Neben diesen gesetzgeberischen und gesetzlichen Vorstößen ist das starke Aufkommen von halbfaschistischen Gruppen zu beobachten, die ihre Basis bei den StudentInnen aus reicherem Elternhaus haben und die die linken und MAS-AnhängerInnen attackieren. Ähnliche Banden gibt es auch in anderen Provinzen, z.B. in Cochabamba, wo 2003 der Kampf gegen die Privatisierung des Wassers geführt worden ist. In der Massenkampagne gegen den Gouverneur Manfred Reyes Villa entstand eine Kommune als Alternative zur staatlichen Versammlung. Aber attackiert von den rechten Kräften und verraten von Morales und der MAS, die sich weigerten, diese Organisierungen anzuerkennen und zu bewaffnen, hatte die Kommune nur wenige Tage Bestand. Seitdem sind viele ihrer AktivistInnen verfolgt und von der Polizei verhaftet worden.

Statt die Oligarchie beschwichtigen zu können, haben die Zugeständnisse von Morales und der Regierung die Reaktion noch ermutigt, den Weg der Unabhängigkeit weiter zu treiben. Bolivien ist praktisch zerrissen zwischen den Halbmondprovinzen unter Kontrolle der Oligarchie und den Hochlandgegenden mit El Alto, wo die MAS noch dominiert.

Wie weiter?

Um den Prozess der Zersplitterung der Kräfte der Bevölkerung und den Rückzug zu stoppen sowie die Rechten zurückzuwerfen und den Massen in Cochabamba und anderen Regionen beizustehen, bedarf es einer massenhaften landesweiten Mobilisierung der Bevölkerung; also all jener, die für die Vergesellschaftung der natürlichen Ressourcen, der Bergwerke und die Landverteilung gekämpft haben. Ein massiver Generalstreik mit Blockaden und Landbesetzungen, wie es Bolivien bereits zweimal in diesem Jahrzehnt erlebt hat, muss her, um die Rechten zurückzuschlagen!

Die Verfassungsgebende Versammlung muss sich unter dem Dauerdruck der ArbeiterInnen und Bauern zusammenfinden, am besten in El Alto, und sich völlig unabhängig von der Nationalversammlung, von der Gesetzgebung und vor allem von Polizei und Armee erklären. Sie muss die Massen mobilisieren und bewaffnen, die durch Fejuve u.a. Organisationen organisiert wird, um diese Souveränität zu verstärken. Sie muss rasch die Maßnahmen ergreifen, die von der Bevölkerung gewünscht werden.

Wer jedoch wird einen solchen Entscheidungskampf gegen die Rechten führen? Sicher nicht Evo Morales und die MAS, weil sie als Volksfrontpartei die Oligarchie nicht besiegen können. Die MAS ist eine Partei, die die Kapitalisten, Mittelschichten, Arbeiter und Bauernorganisationen in sich vereinigt und die Kontrolle der Partei letztlich der Bourgeoisie überlässt. Dieser Widerspruch ermöglicht der Reaktion, das Heft des Handelns zu ergreifen, während die meisten linken Kräfte an die MAS gebunden sind, die nicht willens ist, ernsthaft den Kampf gegen die reaktionären Gruppen zu führen.

Dennoch organisieren sich Teile der Arbeiterklasse jetzt. Im Oktober 2006 hat der Kongress der FabrikarbeiterInnen Boliviens ein Dokument verabschiedet, das einen ‚endgültigen Sieg der sozialistischen Revolution’ verlangt. Der Kongress fordert revolutionäre Führung, unabhängige und militante Maßnahmen der Arbeiterklasse, ein politisches Instrument (gemeint ist eine Partei) und eine gesellschaftliche Umwälzung.

Anfang dieses Jahres bekräftigte der Verband der bolivianischen ArbeiterInnen (COB) die Forderung nach Schaffung eines ‚politischen Instruments’ für die Arbeiterklasse. Sie hat ihren Ursprung vor zwei Jahren, wurde aber nach der Wahl von Morales zum Präsidenten und der MAS als stärkste Partei zurückgestellt. Im Frühjahr allerdings nahm der COB sie wieder in korrekter Einschätzung auf, dass die versöhnlerische Politik der MAS die ‚Konterrevolution in Santa Cruz gestärkt’ habe. Neben den COB stehen auch Organisationen wie die COR-(El Alto-)Gewerkschaften kritisch zur MAS.

Die Organisationen, die mit der MAS brechen und zu einer neuen Arbeiterpartei aufrufen, müssen eine Konferenz einberufen, die demokratische Strukturen und eine dringliche Debatte über das Programm jener Partei eröffnen. Die daran beteiligten Kräfte wie die FabrikarbeiterInnen, COB und COR-Gewerkschaften scheinen schon darin überein zu stimmen, dass die Partei antikapitalistisch sein und für den revolutionären Umsturz der Eigentumsverhältnisse eintreten muss. Nur eine revolutionäre Partei auf Grundlage der Organisationen der Arbeiterklasse und nicht eine Volksfront aus gegensätzlichen Klassen kann eine mutige Führung hervorbringen, die die Massen im Kampf gegen die rechte Konterrevolution wirklich gebrauchen können.

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