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Linkspartei

Die Bernauer Oskarbesoffenheit

Eine kritische Nachbetrachtung von Herbert Keiler, Infomail 264, 15. Juni 2006

Am Montag den 29. Mai holte Dagmar Enkelmann, Linkspartei-Abgeordnete im Bundstag, wieder Politprominenz nach Bernau bei Berlin. Dieses Mal war Oskarchen an der Reihe. Es sollte eine Feier des Reformismus werden mit fadem stalinistischen Beigeschmack.

Oskar musste ganz unvorbereitet mit Anekdoten seiner Jugendstreiche den Reigen eröffnen. Weiter ging es mit den schon hinlänglich bekannten Mythen des einzigen Ossifreunds während des Beitritts der DDR. Oskar hätte nur den Einigungsprozess nicht so schnell gewollt, um uns stark gebeutelte DDR-Bürger vor unserer eigenen Nationalbesoffenheit zu schützen. Besoffen muss auch er gewesen sein, denn ein Zitat von 1989 präsentiert ein völlig anderes Bild: „Ist es richtig, dass wir allen Bürgern der DDR, dass wir all denen den Zugriff auf die sozialen Sicherungssysteme der Bundesrepublik einräumen, Kindergeld,  Kranken und Arbeitslosengeld, Renten?“

So wird schon eher ein Schuh draus, unser Oskar hatte schlichtweg Angst vorm Teilen und schürte die Furcht vor den schmarotzenden Ossis. Das diese unsolidarische Denkweise kein Fehltritt war und das dieser Mann noch heute so denkt, zeigt der Satz aus der Rede in Chemnitz 2006: „Der Staat ist verpflichtet zu verhindern, dass Familienväter und Frauen arbeitslos werden, weil Fremdarbeiter ihnen zu Billiglöhnen die Arbeitsplätze wegnehmen“

Unser Oskar hatte offensichtlich auch keine Probleme, den 1941 vom Reichssicherheitshauptamt für „fremdvölkische Arbeitnehmer“ (Franzosen, Tschechen, Polen) eingeführten Begriff zu benutzen. Bei soviel medienwirksamer und offen ausländerfeindlicher Rhetorik könnte die NPD ganz neidisch werden. Folgerichtig musste er auch dem Vorschlag von Otto Schily (SPD) zustimmen, in Afrika „Auffanglager“ für Flüchtlinge zu errichten. Schily habe Recht mit seinem Vorschlag. Unter den 15 Prozent, die Afrika verließen, seien "nicht die Schwachen, die Alten, die Kranken und die elternlosen Kinder". Es seien in der Regel vielmehr "die Gesunden, die Leistungsfähigen, die nach Europa wollen, um besser zu leben". Dieses Recht auf ein besseres Leben wollte unser Oskar den afrikanischen Flüchtlingen natürlich nicht gewähren. Die „Gefahr“ der Zuwanderung hatte Oskar schon früh erkannt – zusammen mit Björn Engholm kippte er die damalige Ablehnungshaltung der SPD zum neuen Zuwanderungsgesetz und machte so den Weg frei zur faktischen Abschaffung des Asylrechts. Diese Politik auf Kosten von Minderheiten kam natürlich in Bernau nicht zur Sprache.

Wie Oskar aber mit innerparteilichen Minderheiten (?) umgeht, zeigten an diesem Abend seine Äußerungen zu den vom Bundesvorstand rechtswidrig abgesetzten demokratisch gewählten Landesvorständen der WASG von Mecklenburg-Vorpommern und Berlin, nachdem er zuvor noch vollmundig darüber schwadroniert hatte, dass sich das Demokratieverständnis einer Partei dadurch auszeichnet, wie sie mit Minderheiten umgeht. Selbst Rosa Luxemburg musste mit ihrem oft schon missbrauchten Zitat „die Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden“ für den demokratischen Schein herhalten. Der verblasste freilich schnell, als Oskar den Landesvorstand von MeckPomm als „30 Hansel“ wegbügelte, „die gerade mal eine Wirtshaus füllen könnten.“ Erinnert der sich eigentlich daran, dass diese Leute die WASG gegründet und aufgebaut haben, als er noch in der SPD war?? Natürlich galt dasselbe auch für Berlin - eine parteiliche Mehrheit hätte eben das Recht, gegen Minderheitsmeinungen vorzugehen. Freiheit also doch nur für Linientreue!

Unweigerlich musste Oskar nach einem diesbezüglich kritischen und vom Geschrei sich treu bleibender Altstalinisten begleitenden Einwand eines Genossen der Berliner WASG auch Stellung zu Politik der PDS in Berlin nehmen. Er rechtfertigte sie u.a. mit dem Beispiel der durch die Einführung von Hartz IV geringer als anderswo erfolgten Zwangsumzüge - als kleineres Übel. Nach einem Zwischenruf, dass es diese aber trotzdem gibt, argumentierte er, dass linke Politik eben Kröten (!) schlucke müsse. Die Ergänzung eines PDSlers, es wären doch bisher nur (!) 27 gewesen, ließ tief in einen unsolidarischen Abgrund blicken. Es ist doch scheißegal, ob es 27 oder 270 Zwangsumzüge sind: jeder erzwungene Umzug ist und bleibt menschenunwürdig - auch und gerade unter PDS-Regierung!

Aber nehmen wir uns aus aktuellem Anlass ein wenig Zeit für andere Beispiele asozialer Realpolitik der PDS in Berlin. Auf Bundesebene ist die PDS gegen Hartz IV (Motto: „Hartz IV ist Armut per Gesetz“). In Berlin wird es aber widerstandslos umgesetzt. Wirtschaftssenator Harald Wolf meint, die PDS „soll nicht auf mildernde Umstände plädieren, sondern [sich] zum Vorsatz bekennen“ und Berlins SPD-Bürgermeister Wowereit bringt es auf den Punkt: In Berlin ist das ganz anders. Hier macht die PDS eine praktische Politik. Sie arbeitet mit an der Umsetzung von Hartz IV, entgegen dem, was ihre Bundespartei fordert. Da ist die PDS durchaus schizophren.“ (Übrigens blieb für mich nach diesem Abend unverständlich, warum gerade unser Oskar sich als Sozialdiakon der Betroffenen aufspielt?) Wenn Hartz nicht drauf gekommen wäre, hätte es Oskar gemacht, wenn nicht das Ende seiner SPD-Karriere dazwischengekommen wäre. Er zog  schon 1998 als Finanzminister die Richtschnur für den Sozialabbau: „Ich habe gesagt, dass es viele Fälle gibt, in denen jemand hohes Arbeitslosengeld bezieht, obwohl Familieneinkommen und Vermögen da ist. Und ich Frage nun, ob der Sozialstaat nicht besser so konstruiert sein sollte, dass nur die Bedürftigen Nutznießer des Sozialstaats sind.“

Hinzukommen die Einführung von 1-€-Jobs, die Verteuerung des BVG-Sozialtickets und der Ausstieg aus dem kommunalen Arbeitgeberverband. Dies ermöglichte die Erpressung der Gewerkschaften. Es folgten ein Anwendungstarifvertrag, der nur bis 2009 betriebsbedingte Kündigungen ausschließt, und die Absenkung der Bezüge von ArbeiterInnen und Angestellten. Dieser Tarifbruch setzte eine bundesweite Abwärtsspirale in Gang.

Dies blieb aber nicht die einzige Attacke auf die Schicht, die sie eigentlich vertreten wollte: bei der BVG wurden Gehaltskürzungen von 10% durchgesetzt. Neue KollegInnen erhalten weitere 15% weniger Lohn. Beim Krankenhauskonzern Vivantes wurde mit der Drohung einer Insolvenz Urlaubs- und Weihnachtsgeld gestrichen, zudem wird der Leistungsdruck durch Personalabbau (von 17.000 auf 13.000) auf die Beschäftigten weiter verschärft.

Der Aufsichtsrat der Berliner Charité (Vorsitzender des Aufsichtsrates ist PDS-Senator Flierl)  erpresste die Belegschaft mit dem Abbau von 400 Stellen, falls sie nicht bereit sind, noch weitergehende Lohnkürzungen als bei Vivantes hinzunehmen. Außerdem beschloss der Aufsichtsrat, das gesamte Facilty Magement bis zum Jahr 2010 an das private Dussmann-Konsortium zu vergeben. Dieses wird die Gewinne vor allem über massive Lohnsenkungen bei den Beschäftigten und bei den Subunternehmern realisieren.

Beim Verkauf von 65.000 landeseigenen Wohnungen wurde munter weiter privatisiert - mit der zukünftigen Folge steigender Mieten. Einkommensschwache MieterInnen werden so in die Randlagen verdrängt. Doch wer da denkt, die Fahnenstange des Sozialkahlschlags wäre nun endlich erreicht, irrt gewaltig. Auch das Blindengeld wurde um 20% gekürzt, die Lehrmittelfreiheit wurde abgeschafft (pro Jahr und Kind müssen sich Eltern nun mit bis zu 100 € beteiligen), die Kita-Gebühren wurden erhöht (eine Familie mit einem Bruttoverdienst von 2.200 € muss jetzt für die Krippe fast 40%, für die Kita 22% und für den Hort 17% mehr bezahlen). Außerdem wurden die Hilfen zur Erziehung um 128 Mill. € gekürzt (betroffen sind besonders Kinder von Alkoholikern und psychisch Kranken), 75 Mill. € im Universitätsbereich gestrichen (mit folgendem Abbau von 10.000 Studienplätzen und 216 Professuren) sowie massiven Streichungen im Kulturbereich.

Auf der anderen Seite lehnte das Land Berlin eine Erhöhung der Gewerbesteuer auf Potsdamer Niveau von 410 auf 450 % ab. Dagmar Enkelmann erklärte auf einer Veranstaltung an der FH-Eberswalde, dass dies nur Investoren und Unternehmen abgeschreckt hätte. Bleibt die Frage, wie dies dann auf Bundesebene funktionieren soll. Das Kapital würde sich dann ebenfalls zweimal überlegen, in diesen „teuren“ Standort zu investieren.

Asozialer Knüller war aber die Risikoabnahme für die Fondzeichner der Bankgesellschaft in Höhe von 21,6 Mrd. € per Landesbürgschaft. So wurde die Pleite allein auf die BerlinerInnen abgeladen (anstatt priv. Fondzeichner und Anteilseigner, sowie westdeutschen Großbanken und dem Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen). Nach Schätzungen des Finanzsenators wird das Land vermutlich zusätzlich zwischen 4 und 6 Milliarden € zur Sicherung der Renditen privater Fondszeichner aufbringen müssen. Das vom Bürgerbündnis initiierte Volksbegehren zur Rückabwicklung der Bürgschaft wurde untersagt -  so sieht Demokratie aus. Das sind also die Kröten, die wir schlucken müssen, damit die PDS regierungsfähig bleibt. Auch auf der Bernauer Veranstaltung war das Gejammer über die Sachzwänge groß, die Verschuldung Berlins lasse nun mal keine andere Wahl.

Liebe PDS: Sachzwänge gibt es nur dann, wenn man sie als unumstößlich akzeptiert. Tut man dies nicht, ist man unweigerlich gezwungen, den außerparlamentarischen Protest und Widerstand zu organisieren und meinetwegen auch in Form von knallharter parlamentarischer Opposition. Wer sich aber an bürgerlichen Regierungen beteiligt - und bürgerliche Regierungen sind immer Machtinstrument der herrschenden Klasse, des Kapitals - darf sich nicht wundern, wenn auch nur bürgerliche und nicht sozial(istisch)e Politik herauskommt.

Schon im kommunistischen Manifest heißt es: „Die moderne Staatsgewalt ist nur ein Ausschuß, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisie verwaltet.“

Aber unser Oskar ist eben ein echter Reformist und so denkt und spricht er auch. So verklären seine Tiraden gegen den Neoliberalismus ihn als bloße Entgleisung, anstatt ihn als das zu charakterisieren, was er wirklich ist: systemimmanent!

Sein angeführtes Beispiel der heutigen 95% Spekulation und nur 5% Investition in der globalen Weltwirtschaft zeigt nicht die Verkommenheit einzelner Kapitalisten, sondern einfach, dass die Gewinne im produktiven Sektor geringer sind als im spekulativen. Es zeigt vor allem auch die Krise des Systems, die Grenzen der kapitalistischen Produktion und die Erschöpfung des Kapitalismus. Somit ist die Attacke auf den Sozialstaat (inklusive der Einverleibung öffentlicher Güter) für das Kapital das letzte Gefecht gegen seine Verwertungskrise.

Anstatt aber deshalb die Systemfrage zu stellen, will unser Oskar nur am Astwerk rumschnippeln, anstatt die Wurzel zu kappen! An diesem Abend offenbarte sich erneut, dass so manche Scheinsozialisten im Publikum es auch nach 16 Jahren real existierendem Kapitalismus noch nicht geschafft haben, ihren Verstand einzuschalten und erneut in einem kritiklosen Personenkult aufgehen: der Oskar, der Oskar, der hat immer Recht!

Dem wachen Betrachter erwies sich die auch von der PDS gebrauchte Worthülse „Sozialismus“ als ein ideologisches Chaos, als richtungs- und strategielos! Aber was soll auch anderes dabei herauskommen, wenn man sich vom Marxismus so gut wie verabschiedet hat.

Kurz vor Schluss wurden noch zwei Fragen gestellt, die das groteske Bild einer Veranstaltung mit Kaffeefahrtcharakter abrundeten: Der böse Anschiss der Springerpresse beim Volke wegen Oskars Villa (Baukosten 2 Mill. €), was nur zeigt, dass dieser Mann sich auf Kosten der Steuerzahler den Arsch vergolden ließ und jetzt den großen Sozialzampano markiert.

Immerhin: Oskar stimmte mit seiner Ankündigung, auch artig Vermögens- und Erbschaftssteuer zahlen zu wollen, dann doch noch versöhnlich. Die zweite Frage - nach dem Titelgewinner bei der nächsten Fußballweltmeisterschaft - rundete den bizarren Eindruck dieser Talk-Show ab.

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