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Nach acht Wochen Streik

Ver.di fährt Teilniederlage ein

Infomail 254, 12. April 2006

Die Streikziele seinen in Hamburg, Niedersachsen und nun auch in Baden-Württemberg „in beachtlichem Maß“ erreicht worden – meint jedenfalls verdi-Chef Bsirske. Eine gewagte Aussage angesichts der wirklichen Abschlüsse.

Nach neun Wochen Streik wurde bei den Kommunen in Baden-Württemberg abgeschlossen:

Ab 1.5.2006 beträgt die Wochenarbeitszeit 39 Stunden für alle Beschäftigten, auch für diejenigen, die seit dem 1.12.2005 mit  40 Stunden eingestellt wurden.

Für Auszubildende, Schülerinnen  und Schüler in der Gesundheits- und Krankenpflege usw. sowie Praktikantinnen und Praktikanten beträgt die Wochenarbeitszeit weiterhin 38,5 Stunden

Teilzeitbeschäftigte mit Stundenverträgen haben Anspruch auf Aufstockung ihrer Arbeitszeit, um finanzielle Einbußen zu verhindern.

Der Tarifabschluss darf nicht 1 zu 1 durch Stellenabbau umgesetzt werden. Die halbe Stunde Mehrarbeit soll vielmehr zur weiteren Verbesserung der Qualität kommunaler Dienstleistungen genutzt werden.

Laufzeit bis 31.12.2009

Wenn ver.di mit der Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände auf Bundesebene eine längere Arbeitszeit vereinbart, kann der KAV Baden-Württemberg diese Regelung übernehmen.

Ein umfassendes Maßregelungsverbot wird vereinbart.

Bei der Urabstimmung haben sich 68,7 Prozent für dieses Ergebnis ausgesprochen, fast ein Drittel stimmte dagegen. Wir meinen, letztere Kolleginnen und Kollegen haben Recht.

Warum wir den Abschluss ablehnen

Der Abschluss bringt eine Verlängerung der Arbeitszeit. Der Zug fährt weiter in Richtung längere Arbeitszeiten, wie sich der Verhandlungsführer der Kommunen ausdrückte. Der Zug fährt auch weiter in Richtung Arbeitsplatzvernichtung. Da werden die Versicherungen, dass die Arbeitszeit nicht 1:1 in Arbeitsplatzvernichtung umgesetzt wird, nichts aufhalten.

Die "Meistbegünstigungsklausel" im Tarifvertrag öffentlicher Dienst sichert den Kommunen schon zu, dass längere Arbeitszeiten übernommen werden, wenn die Länder diese abschließen. Jetzt ist dies auch der Fall, wenn der Bundesverband der Kommunen, solches vereinbart.

Damit kommt Ver.di immer tiefer in die Zwickmühle: Einerseits werden die kampfstarken Bereiche, die Kommunen, aus dem Konflikt genommen und in die Friedenspflicht geschickt, während Beschäftigte bei den Ländern und in den Kommunen der anderen Länder im Regen stehen bleiben. Diese schaffen allein keinen Abschluss oder nur einen schlechteren, der sich gegen alle wendet.

Statt gemeinsam für den Erhalt der 38,5 zu kämpfen, kommt es zu einer weiteren Zersplitterung der Tarife zwischen Ländern und Kommunen (Hamburg, Niedersachsen, Baden-Württemberg).

Der Abschluss ist ein erneutes Zurückweichen vor dem politischen Generalangriff des Kapitals auf alle sozialen und gewerkschaftlichen Errungenschaften. Selbst wenn jetzt bis 2010 Ruhe an der Arbeitszeit-Front bliebe, ermutigt dieser Erfolg die Unternehmer zu neuen Angriffen auf Arbeitsbedingungen und Löhne. Weitere Privatisierungen drohen, die zur Zerschlagung öffentlicher Versorgung führen, zu schlechteren Arbeitsbedingungen der Beschäftigten und zu einer drastisch verschlechterten und verteuerten Versorgung der Bevölkerung.

Mit diesem Abschluss wurde die Chance vertan, den Abwehrkampf über die einzelnen Regionen und die Branche des Öffentlichen Dienstes hinaus zu verallgemeinern.

Nun steht die IG Metall in ihrer Tarifrunde vor einem Streik. Das hätte die beste Gelegenheit sein können, endlich zu gemeinsamen massiven Mobilisierungen zu kommen, wie sie in Frankreich gerade so erfolgreich waren. Ja, es hätte sogar die Chance bestanden, den Konflikt mit dem Kampf in Frankreich, aber auch mit den Abwehrkämpfen gegen neo-liberale Angriffe in ganz Europa zu verbinden.

Diese Chancen wurden verspielt und damit sind auch die positiven Entwicklungen, die es gab, bedroht. Werden die vielen Neueingetretenen bleiben, wenn sich in den nächsten Jahren zeigt, dass die 40 Stunden nur kurz aufgehalten worden sind? Wird die Entschlossenheit der Aktiven in Resignation umschlagen? Acht Wochen Kampf - und doch verloren? Verloren wegen einer Führung in Ver.di, die mit Zugeständnissen im TVöD die 38,5 Stunden retten wollte, den Streik nicht wirklich vorbereit hat und auch jetzt die Kampfbedingungen nur verschlechtert!

Alle Schönfärberei wird nichts nutzen. Die Unternehmerverbände haben einen Teilerfolg errungen und schon weitere Angriffe angekündigt - 40 und mehr Stunden bei den Ländern, die Kommunen wollen schärfere Regeln durchsetzen usw.

Wir müssen uns auf weitere unverschämte Angriffe vorbereiten – und sicher schon vor 2009. Diese Vorbereitung ist nur möglich, wenn wir heute die Lehren aus dem Streik ziehen.

Warum wurde der Kampf nicht konsequenter geführt?

Das liegt in erster Linie an der Führung. Natürlich wollten oder konnten auch Teile der Mitglieder und der Beschäftigten nicht mehr. Aber das ist kein Wunder. Eine Führung, die 14 Jahre lang jedem Konflikt mit den Regierungen und dem Kapital ausweicht und immer vertritt, dass durch Nachgeben letztlich mehr zu erreichen wäre, prägt die Mitgliedschaft in diesem Sinne.

Der wichtigste Erfolg dieses Arbeitskampfes ist es, dass deutlich wurde, dass es eine Schicht von AktivistInnen an der Basis gibt, die diesen Weg nicht mehr mitmachen wollen. Sie waren diejenigen, die die Aktivitäten getragen haben, die gelernt haben, wie ein Kampf auch aus einer schlechten Position heraus begonnen werden kann, wie KollegInnen überzeugt und organisiert werden können.

Natürlich sind auch sie in Gefahr zu resignieren. Diese Gefahr ist umso größer, als es keinen über die einzelnen Betriebe hinausgehenden Zusammenschluss dieser AktivistInnen gegen die Bürokratie gibt.

Dagegen helfen zwei Dinge: Diese BasisaktivistInnen müssen sich organisieren und sie müssen die richtigen Lehren aus dem Streik ziehen. Sie müssen verstehen, warum die Führung so handelt, wie sie es tut, damit sie diese bekämpfen und letztlich ersetzen können.

Warum handelt die Führung so?

Diese Bürokratenkaste in den Gewerkschaften steht voll hinter diesem System. Auch wenn der Kapitalismus immer weniger Perspektive für die Menschheit bietet, für die Bürokraten gibt es keine Alternative. Sie haben gelernt, für die Arbeitenden etwas herauszuholen, aber wenn das Kapital nichts geben will - oder aufgrund der verschärften Konkurrenz nicht geben kann, dann sind sie auch bereit, den Arbeitenden etwas wegzunehmen.

Ihre Treue zum System geht noch weiter. Gerade im Öffentlichen Dienst soll die Funktionsweise des Staatsapparates nicht in Frage gestellt werden. Der Staat ist aber immer der Staat der Herrschenden und deshalb nicht neutral. Wenn GewerkschaftsführerInnen den Unternehmern versichern, dass diese doch bitte den sozialen Frieden bewahren sollen, schwingt immer mit, dass sie es als ihre Aufgabe ansehen, diesen Staat zu schützen und alles zu tun, damit er nicht infrage gestellt oder gar durch Machtorgane der Klasse zerschlagen und ersetzt wird.

Wie schon beim letzten Streik im Öffentlichen Dienst 1992 haben IG Metall und ÖTV/Verdi alles getan, um gemeinsame Aktionen in der Tarifrunde zu vermeiden - das könnte den sozialen Frieden gefährden. In der Praxis führt diese Einbindung ins bürgerliche System dazu, dass die Gewerkschaftsbürokratie zum verlängerten Arm der Herrschenden in der Arbeiterklasse und in den Gewerkschaften wird.

Diese Verpflichtung auf das System zeigt sich auch immer dann, wenn die Kontrolle der Bürokratie in Gefahr gerät. Da sind nicht nur ihre - durchaus geschätzten - Privilegien und Fleischtöpfe in Gefahr, sondern auch die ganze Republik.

Auch bei diesem Abschluss ist die "Demokratie" unter die Räder gekommen. In Hamburg reichte mit 43 Prozent eine Minderheit bei der Urabstimmung, um den Abschluss anzunehmen.

Die Verhandlungen um den "Kompromiss" wurden gestartet, ohne die Belegschaften vorher zu informieren, zu diskutieren usw. Diese wurde auf Kundgebungen auf diesen Kompromiss vorbereitet, ohne Chance für andere Ansichten, zu Wort zu kommen. Nach der Verhandlung ging’s ruckzuck zur Urabstimmung, ...

Was tun?

Mit einer klassenkämpferischen Basisbewegung kann es gelingen, diese Politik und Machenschaften der Apparate zu durchbrechen und letztlich eine neue Führung zu erkämpfen. Dazu müssen wir uns selbst organisieren und zugleich in unseren Dienststellen für eine saubere Aufarbeitung des Streiks ohne Schönrederei eintreten. Dabei darf es nicht nur um unmittelbare Interessen einzelner gehen, also der Beschäftigten in einer Stadt/Region bzw. der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst: wir müssen die Lage der gesamten Arbeiterklasse betrachten. Keiner wird sich retten können, wenn die Offensive unserer Gegner weitergeht.

Einerseits müssen wir weiter an der Basis KollegInnen in der Gewerkschaft organisieren, zugleich müssen wir Verbindungen zu anderen knüpfen und die Kämpfe verbinden - gerade auch gegen die immer größere Zersplitterung in Tarife und Einzelbelegschaften.

Ohne eine politische Antwort auf den Kapitalismus, der die Menschheit in eine Sackgasse geführt hat, werden wir die Bürokraten in den Gewerkschaften nicht schlagen können und ihre Logik, sich den Sachzwängen dieses Systems zu beugen.

Wir brauchen die politische Organisierung, eine politische Partei - eine neue Arbeiterpartei. Eine Partei, die Kämpfe bündelt, führt, aber auch die Bürokratie kritisiert. Das wird nicht einfach. Doch die Abwendung von der SPD und die Entstehung der WASG zeigen, dass es ein Potential dafür gibt. Sie zeigt aber auch, dass man sehr schnell in die alten Gleise kommt, wenn man mit den sozialdemokratischen Traditionen nicht brechen will.

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