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Streik im Öffentlichen Dienst:

Verdis letzte Chance?

Infomail 146, 13. Februar 2006

Seit Montag läuft der Streik der kommunalen Beschäftigten in Baden-Württemberg. Seit Mittwoch auch im Saarland. Weitere Länder werden folgen. Die Urabstimmung zeigt mit Werten an die 95%, dass die Leute die Schnauze voll haben von Verzicht und der Doppelzüngigkeit der Politiker, die ständig vom Erhalt der Arbeitsplätze reden und sie so schnell wie möglich vernichten.

Die Beteiligung an den Aktionen in den verschieden Städten war gut, aber die Stimmung nicht überschäumend. Die ver.di-Sekretäre berichten von Hunderten neuer Mitglieder. Das ist ein gutes Zeichen angesichts der Gegenkampagne, die in allen Medien läuft. Aus den Reihen der Sozialdemokraten ist kein einziges Wort der Unterstützung zu vernehmen. In der Bevölkerung ist die Stimmung uneinheitlich, viele haben Verständnis. Andere aber, vor allem im Osten, fragen sich, ob 40 Stunden denn so schlimm sind.

Um was geht’s?

Am 1. Oktober war der Tarifvertrag Öffentlicher Dienst, TVöD, in Kraft getreten, ausgehandelt hatte ver.di ihn schon vor etwa einem Jahr. Dieser TVöD wurde den Mitgliedern der Gewerkschaft als Kompromiss verkauft, und es war einer der übelsten Sorte. Außer umfangreichen Verschlechterungen wurde die Arbeitszeit von 38,5 Stunden von mehreren Seiten angreifbar gemacht:

jede Kommune kann bis zu 40 Stunden aushandeln;

sollten die Länder, die dem neuen Vertrag noch nicht beigetreten sind, mehr als 38,5 erhalten, würde dies auch für alle Kommunen gelten;

die Arbeit“geber“ bekamen das Recht, die Klausel zur Arbeitszeit sofort nach in Kraft treten des TVöD zu kündigen - was sie denn im letzten Herbst auch taten.

Die ver.di-Führung unter Bsirske hat also ermöglicht, dass der Angriff auf die Arbeitszeit und damit auch auf die Arbeitsplätze so laufen kann. Dafür gibt es drei Erklärungen: Sie hatte gehofft, dass alles nicht so schlimm kommen würde. Doch wer so was glaubt, der ist ein kompletter politischer Analphabet! Oder sie hatten die damalige Situation zu kämpfen für schlechter gehalten als heute. Doch das Gegenteil hat sich herausgestellt:

Heute wird nur defensiv für die Verteidigung von 38,5 gekämpft. Damals hätten auch andere Verschlechterungen mit abgewehrt werden können. Das hätte mehr Mobilisierungsmöglichkeiten gegeben. Gerade die Teile der Arbeitenden, die heute kein Verständnis aufbringen, z.B. weil sie selbst viel länger arbeiten, könnten sich mit dem Widerstand gegen den Generalangriff auf Löhne, Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen viel leichter solidarisieren!

Damals hätten auch die Beschäftigten der Länder mit in den Kampf gezogen werden können, die heute ohne Tarifvertrag dastehen, da die Länder frech genug waren, selbst Bsirskes faulen Kompromiss abzulehnen.

Die dritte Erklärung für Bsirskes Handeln ist der offene Verrat: Vielleicht sollte Rot-Grün nicht gefährdet werden, vielleicht die "Modernisierung" des alten Tarifvertrags und der Arbeitsbedingungen der öffentlich Beschäftigten nicht gefährdet werden.

Auch heute bekämpft Bsirske jene Teile der Gewerkschaft und die Beschäftigten, die in die Offensive wollen. Gegen die Forderung von betrieblichen FunktionärInnen in Stuttgart, jetzt Arbeitszeitverkürzung zu fordern, setzte er das Nein des Vorstands. Umgekehrt hat die Führung nichts getan, um diesen Konflikt durch eine breite Kampagne in der Öffentlichkeit vorzubereiten.

Die Politik der Führung hat also die Situation verschlechtert und ver.di in eine echte Existenzkrise getrieben:

Ein Nachgeben käme einer verheerenden Niederlage gleich. Der Mitgliederverlust von ver.di ist alarmierend und auch die neuen Mitglieder wären sofort weg. Es gäbe keine große Branche mehr, in der ver.di Kampffähigkeit in der Fläche hätte. Mittelfristig droht das Ausfransen der Organisation: einzelne Belegschaften und Berufsgruppen werden ihr Heil in der Selbstständigkeit suchen, wie der Marburger Bund oder die Fluglotsen - eine Entsolidarisierung als Folge des Verrats der ver.di-Spitze.

In dieser Situation schwankt Bsirske. Er hält morgens kämpferische Reden und signalisiert abends Kompromisse: z.B. die gestaffelte Wochenarbeitszeit nach Alter. Mit diesem Herumeiern ist ver.di zu nicht retten und schon gar kein Arbeitskampf zu gewinnen. Was ist nötig?

Eine Generalmobilisierung gegen den Generalangriff!

Es hilft überhaupt nichts, sich Illusionen über Konfliktbegrenzung zu machen. Auch deshalb nicht, weil die Kampfbereitschaft real vorhanden ist.

Gegen die Angriffe müssen offensive Forderungen her: Arbeitszeitverkürzung, Verteidigung der Arbeitsbedingungen, Stopp den Privatisierungen und Ausgliederungen, Neueinstellungen usw.

Der Kampf der kommunalen Beschäftigten muss mit dem der Beschäftigten bei den Ländern verbunden werden. Da diese momentan in einem tariflosen Zustand sind, könnten sie sofort mitmachen!

Mit anderen Branchen und anderen vom Sozialraub der Regierung Betroffenen muss der Schulterschluss gesucht werden - mit dem Handel, mit den MetallerInnen, mit den Belegschaften, die sich gegen Arbeitsplatzvernichtung wehren wie AEG, Telekom u.a. sowie mit den ALG-II-EmpfängerInnen.

Gegen das Diktat der leeren Öffentlichen Kassen hilft kein Gesundbeten, sondern nur die Forderung, dass die zu zahlen haben, die diese Kassen geplündert haben: das Großkapital und die Reichen!

Angesichts des Ernstes der Lage kann und darf die Organisierung des Kampfes, können und dürfen etwaige Verhandlungen usw. nicht einfach dem ver.di-Vorstand überlassen werden!

Schon 1992 – beim letzten großen Flächenstreik im Öffentlichen Dienst – hatte die damalige ÖTV-Spitze den Kampf schmählich ausverkauft und sich mit Manipulationen einfach über Mitglieder-Entscheidungen und die ÖTV-Satzung hinweggesetzt.

Um den Kampf auszuweiten und unter eigener Kontrolle zu führen, ist es daher notwendig, dass betriebliche Streikkomitees gewählt werden, die den Streikenden rechenschaftspflichtig und von ihnen jederzeit abwählbar sind.

Das gleiche gilt für die Mitglieder der Tarifkommission. Es darf keinen Abschluss, keine Verhandlung hinter den Rücken und ohne die Ausdrückliche Zustimmung der Streikenden geben.

Gegen den Einsatz von Streikbrechern müssen die Streikposten durch Solidaritätskomitees anderer GewerkschafterInnen, von AktivistInnen der sozialen Bewegungen, der politischen Linken, von WASG und PDS unterstützt werden.

Vor allem aber braucht es eine politische Koordinierung, einen politischen Zusammenschluss aller jener, die den Kampf konsequent führen und jeden Ausverkauf von Bsirske und Co. verhindern wollen: Daher muss der Streik auch genutzt werden, eine klassenkämpferische, anti-bürokratische Basisbewegung in den Betrieben und in der Gewerkschaft aufzubauen, die sich auf die AktivistInnen des Streiks stützt und eine Alternative zur kompromißlerischen ver.di-Spitze darstellt.

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