Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Frankreichs Nein zur EU-Verfassung

Arbeiterklasse sagt "Non!"

Infomail 213, 7. Juni 2005

In einer historischen Volksbefragung haben die französischen Massen mit einer Mehrheit von 54% das europäische Verfassungsabkommen abgelehnt.

Es sollte dazu dienen, die neoliberale Politik als Kern des EU-Projekts festzuschreiben. Mit ihrer Stimmabgabe hat die Bevölkerung zugleich ihre tiefe Unzufriedenheit mit Ministerpräsidenten Chirac und Premier Raffarin ausgedrückt, welche dieselbe Politik auf nationaler Ebene zementieren wollten.

Im vergangenen Jahr führte Chirac die Volksbefragung als politisches Manöver mit zwei Zielsetzungen ein. Er hoffte, wie zuvor in Spanien, auf ein klares Ja. Damit sollte seine Stellung als politisches Oberhaupt Frankreichs gefestigt und seine bonapartistische Herrschaft noch einmal demokratisch legitimiert werden. Zugleich wollte Chirac die Spaltungen in der Sozialistischen Partei Frankreichs (PS) in Befürworter und Gegner der Verfassung vorantreiben.

Die Rechnung ist jedoch nur im zweiten Fall aufgegangen. Nach einer innerparteilichen Abstimmung waren die PS-Flügel der Fürsprecher unter Hollande (56%) und der Widersacher unter Fabius (44%) zerstrittener denn je.

Aber Chirac hatte die Rechnung ohne die französischen Massen gemacht, die den rechten, arbeiterfeindlichen und rassistischen Kurs, der seit 2002 durchgezogen wurde, ablehnten. Diese Politik wurde forciert, nachdem Chirac nach seinem klaren Sieg gegen den Halbfaschisten Le Pen als Präsident wiedergewählt wurde.

Seit 2003 haben mehrere Wogen des Klassenkampfes das Land erschüttert, zuerst in einer militanten Bewegung gegen die Rentenreform, dann in einer Reihe von radikalen Streiks gegen die prekäre Beschäftigung an Theatern, Fernsehsendern usw. schließlich gegen die Privatisierung der Schulen, in einer Bewegung gegen die Reform der sozialen Sicherungssysteme.

Im Januar 2004 drängten neue Fragen auf die Tagesordnung. Nach mehr als einem Jahrzehnt eingefrorener Löhne spürten die Gewerkschaften den Druck ihrer Basis und organisierten große Kundgebungen für Lohnerhöhungen. Die Euro-Einführung hat den Anstieg der Lebenshaltungskosten verschleiert und Millionen von ArbeiterInnen an den Rand der Armut getrieben. Gleichzeitig schwangen sich die Profite der französischen Großkonzerne wie des Energieriesen Total (gebildet aus Total, Fina und Elf) in Schwindel erregende Höhen von mehreren Milliarden Euro. Trotz der breiten Bewegung schufen die Gewerkschaften keine organisierten Strukturen nach den erfolgreichen Demos im März. Die Bürokratie sah die Gefahr einer gesellschaftlichen Bewegung nach der Verfassungsabstimmung und einer Politisierung der Massen.

CGT-Führer Thibaut, eine der Schlüsselfiguren des Eisenbahnerstreiks 1995, wurde innerorganisatorisch angefochten, als er eine weiche Linie zum Referendum ähnlich der pro-europäischen Gewerkschaft CES und seinen neuen Freunden innerhalb der PS durchdrücken wollte. Nach einer Abstimmungsniederlage auf dem Bundesrat der CGT beschwerte sich Thibaut über den 'Mangel an Demokratie' in seiner Gewerkschaft. Er meinte ganz klar die Pseudo-Demokratie des Stalinismus. Dann versuchte er, jeden ernsthaften Kampf gegen die Verfassung zu sabotieren. Das Frühjahr brachte neue Klassenkämpfe. Zunächst kämpften OberschülerInnen Monate lang gegen die neue Reform. Dann brach eine Reihe von Teilstreiks um Lohnerhöhungen und gegen Fabrikschließungen im Privatsektor aus (Carrefour, Total usw.). Dies erzeugte ein militantes Klima gegen den Liberalismus in seinen verschiedenen Spielarten.

Einer der Hauptgründe für das Abstimmungs-Nein war aber die von BasisaktivistInnen ins Leben gerufene Kampagne von PCF (KP Frankreichs) und der Sektion der IV.Internationale LCR sowie vielen GewerkschafterInnen, die Büchertische, Flugblätter und hunderte von gut besuchten Veranstaltungen in den meisten französischen Städten arrangierten. Ihnen schloss sich zuletzt auch Attac sowie der PS-Abweichler Fabius an, der ironischerweise unter Mitterand Anfang der 80er Jahre Premierminister war, als dieser den berüchtigten Sparkurs einleitete und die Versprechen der PS, das Leben der ArbeiterInnen zu erleichtern, widerrief, indem er einer eindeutig bürgerlich-liberalen Regierung vorsaß.

Die Medien waren alle auf Seiten der Verfassungskonformisten und ließen keine erdenkliche Verdrehung aus: "Ein Nein bedeutet das Ende von Europa.", "Es gibt keinen Ersatzplan für die EU.", "Der soziale Fortschritt ist nur mit einem Ja möglich, ein Nein bedeutet den Rückfall in das neoliberale Nizza-Abkommen.", "Die Faschisten Le Pen und de Villier sind die Anführer der Neinstimmen."

Die militante Basiskampagne hingegen erzeugte eine lebhafte Debatte, politisierte die Arbeiterschaft (viele Wähler haben zumindest Teile der Verfassung gelesen) und trug dazu bei, dass die Linke mit Nein stimmte. Die LCR schlug vor, die Arbeit der tatkräftigen 'Kollektive' fortzusetzen, die die Kampagne auf Orts- und Bezirkskonferenzen orientierten.

Sicher stimmt es, dass das ablehnende Votum der rechtsradikalen Front National, von rückständigen ländlichen und nationalistischen Schichten das Stimmergebnis beeinflusst hat. Aber weder Le Pen noch der reaktionär-nationalistische de Villier waren Führer der Kampagne. Die Hauptlosungen waren weder nationalistisch noch rassistisch. In vielen linken Veranstaltungen waren Abgeordnete aus anderen EU-Ländern anwesend. Antieuropäische Losungen waren nirgendwo zu hören. Dies schlug sich auch in der Wahl nieder. Die Furcht vor Arbeitslosigkeit, die allgemeine Unzufriedenheit und die Forderung nach Nachverhandlungen des Verfassungsvertrags waren die Hauptgründe für die Ablehnung.

Das Nein zeigt den tiefen Riss, der durch Frankreich geht. In Paris stimmten die Viertel mit bürgerlicher und Mittelschichtsbevölkerung mit Ja, während die Gegenstimmen in den proletarischen Außenbezirken überwogen. Im nordfranzösischen Industriegürtel, der besonders stark von Fabrikschließungen und Auslagerungen betroffen ist, stimmten 81% der Industriearbeiter, 60% der Gesamtbeschäftigten und 79% der Arbeitslosen gegen die Verfassung.

Der neue Premier de Villepin wird eine neue Runde von Angriffen auf die Arbeiterklasse, den öffentlichen Bereich, die Einwanderer und die Jugend eröffnen. Um sie zurück zu schlagen, ist der von der LCR vorgelegte 10 Punkte-Plan völlig unzureichend. Er enthält zwar notwendige Maßnahmen wie voller Lohn für alle ArbeiterInnen, gleich ob beschäftigt oder nicht, oder die Öffnung der Grenzen, aber er zeigt nicht auf, wie die ArbeiterInnen sich selbst organisieren können, um diese Ziele durchzusetzen. Die LCR wird sich nicht dafür einsetzen, dass die Kampagnenkollektive in Kampforgane gegen die Bosse und die Regierung umgewandelt werden. Sie bereiten lediglich eine mögliche Koalition zwischen KPF und einem PS-Flügel auf einem linksreformistischen Programm vor.

Die Aufgabe von RevolutionärInnen heute ist es, der Arbeiterklasse ein revolutionäres Aktionsprogramm in die Hand zu geben und in den Kollektiven, den Gewerkschaften, im Betrieb, unter StudentInnen und der Jugend für eine neue Arbeiterpartei einzutreten, die sich dieses Programm zu eigen macht.

Leserbrief schreiben   zur Startseite

Wöchentliche E-News
der Gruppe Arbeitermacht

:: Archiv ::